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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

687-689

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Selvatico, Pietro, u. Doris Strahm

Titel/Untertitel:

Jesus Christus. Christologie.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich – Edition NZN bei TVZ o. J. (2010). 349 S. 8° = Studiengang Theologie, VI.2. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-290-20061-9.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Shults, F. LeRon, and Brent Waters[Eds.]: Christology and Ethics. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2010. VII, 224 S. gr.8°. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-4509-2.


Der in der Reihe »Studiengang Theologie« erschienene Teilband »Jesus Christus« geht auf Pietro Selvaticos Vorlesungsmanuskripte zurück, die nach dessen Tod von Doris Strahm erweitert wurden. Das gut lesbare und sehr handhabbare Studienbuch ist – wie die gesamte 16-bändige Reihe – hervorgegangen aus einem berufsbegleitenden Studiengang, den die katholische Bildungsinstitution (»theologiekurse.ch«) »theologisch interessierten Männern und Frauen in der deutschsprachigen Schweiz anbietet« (5). Erwähnenswert ist diese Genealogie, weil Literatur wie diese in einer Zeit zunehmenden Bildungsinteresses an Grundfragen christlicher Theologie nachgefragt wird.
Die gut 300 Seiten starke Studie lässt sich inhaltlich in drei große Bereiche gliedern. Den breiten und informativen ersten großen Abschnitt machen die zentralen Fragen nach dem historischen Jesus aus: »Auf der Suche nach der Identität Jesu« (11 f.); »Jesu Verkündigung von der Gottesherrschaft« (59 ff.); »Glaube, Wunder und Vollmachtsanspruch Jesu« (105 ff.113 ff.129 ff.) sowie Fragen »Wie es zum Tod Jesu kam« (143 ff.) oder der Komplex zentraler Fragen nach dem leeren Grab »Die Auferweckung Jesu« (149 ff.). In diesem ersten Teil des Buches wird didaktisch elementarisiert, theologisch differenziert und zentrale christologische Fragen werden auf dem neuesten Forschungsstand diskutiert. Ökumenisch anschlussfähig ist die vorgelegte Christologie nicht zuletzt deshalb, weil – wie ein roter Faden – Gerd Theißen (und seine Schule) als wissenschaftliche Hauptzeugen angeführt werden. Interessant sind auch die wiederkehrenden Diskurse zur feministischen Christologie, die Doris Strahm beisteuert (etwa bei der Frage der ersten Osterzeugen). In einem eigenständigen Exkurs werden alle lateinamerikanischen Befreiungstheologien am Ende des Bandes vorgestellt (263–288) und kritische Anfragen an die Kreuzestheologie u. a. aus feministischer Perspektive (289 ff.) diskutiert.
Der zweite größere Teil des Buches ist ein christologiegeschichtlicher Exkurs: von den Anfängen der »Christologie im Neuen Testament« (199 ff.) über »Grundzüge der Christologie in der Alten Kirche« (213 ff.) bis zu »Einflussreiche[n] christologische[n] Konzepte[n] vom Mittelalter bis in die Moderne« (243 ff.). Im letzten Teil des Buches werden Schlussfolgerungen der Christologie für den interreligiösen Dialog gezogen und Grundfragen einer Theologie der Religionen diskutiert (307–326). Würdigend hervorzuheben ist die Tatsache, dass der Wahrheitsfrage bei diesem Thema nicht ausgewichen wird. Die Autoren schließen sich der (u. a. durch Reinhold Bernhardt vertretenen) Position innerhalb der Pluralismusdebatte an, wie sie in konstruktiver Auseinandersetzung mit der Pluralistischen Religionstheologie gewonnen wird.
Insgesamt handelt es sich um ein lesbares und für Studienzwecke (etwa im BA-Studiengang) empfehlenswertes Einführungswerk. Die Gewichtung und Anordnung der Einzelthemen birgt manche Hypothek. So werden die zentralen Fragen nach Person und Werk Jesu Christi gegenüber den Fragen nach dem historischen Jesus eher zurückhaltend thematisiert: Christologie und Soteriologie werden nur in den theologischgeschichtlichen Exkursen behandelt.
Der von F. LeRon Shults (Norwegen) und Brent Waters (Everston, USA) edierte Sammelband »Christology and Ethics« ist von anderem Charakter – weniger homogen, aber deutlich positionierter, mit Konferenz-Beiträgen von zum Teil international renommierten Theologen. Nach Auffassung der Herausgeber müsse das Verhältnis zwischen Christologie und Ethik, das im angelsächsischen Raum disziplinär strikter unterschieden wird als in der deutschsprachigen Theologie (wo in der Disziplin »Systematische Theologie« gerne Dogmatik und Ethik zusammengefasst werden), neu bedacht werden. Entsprechend lauten die Leitfragen des Sammelbandes: »What is the relation between faithful teaching about the reality of Christ and teaching faithfulness to the way of Christ? How is christological doctrine related to theological judgements about normative human agency?« (1) In den Beiträgen werden diese Leitfragen multiperspektivisch ausgeleuchtet (dogmatisch, etwa die Eröffnungsbeiträge von Brent Waters und John Webster 5–31 und 32–55; biblisch-theologisch, etwa 127–148; philosophisch, etwa 179–211; evolutionstheologisch, etwa 149–178), wobei bestimmte aus der Theologiegeschichte überkommene Zuordnungsmuster vermieden werden sollen, wie u. a. eine Individualisierung der Soteriologie; die Loslösung der Soteriologie von Christologie oder die Abkoppelung einer Tugend- und Wertelehre von der Christologie, die Shults in der Scholastik sieht (2–3).
Bei der Lektüre des an Gedanken und Anregungen überaus reichen Sammelbandes fallen besonders diejenigen Beiträge auf, die exemplarisch, geradezu fallstudienartig den inneren Zusammenhang zwischen Christologie und Ethik an konstruktiven Vorbildern und damit verbundenen Themen erarbeiten, wie u. a. der Beitrag von Bernd Wannenwetsch zu »Dietrich Bonhoeffer’s inspiration for the ›Christology and Ethics‹ discourse« (75–98) sowie derjenige zu Hanna Arendt und dem Konzept der Vergebung von Lois Melcom, »Forgiveness as New Creation: Christ and the Moral Life Revisitited« (99–126). In diese Kategorie lässt sich auch der Beitrag von Kathryn Tanner, Chicago, einordnen, der kritisch und zum Teil schonungslos Analogie(kurz)schlüsse zwischen Trinitätslehre und Ethik aufdeckt (wie sie u. a. in der politischen Ethik und der Befreiungstheologie leitend waren und teils noch sind). Da der Beitrag »Trinity, Christology and Community« von Tanner (56–74) in der Beurteilung der Anschlussfähigkeit der Christologie für die Befreiungstheologie implizit einen kritischen Kontrapunkt zum oben besprochenen Christologie-Lehrbuch setzt, soll auf diesen Beitrag näher eingegangen werden.
Tanner geht zunächst auf die auch im deutschsprachigen Diskurs gängige Analogiebildung zwischen der Beziehung der ewigen Personen innerhalb der Trinität und der sozialen Interaktion zwischen Menschen ein. Neben Jürgen Moltmann und Miroslav Volf nennt Tanner Leonardo Boff als Hauptzeugen für eine Auffassung, nach der die Analogie u. a. auf der Gleichheit der Personen (equality of persons) ruht. Rigoros dekonstruiert Tanner (ohne in jeder Hinsicht den differenzierten Konzeptionen von Volf und Moltmann gerecht zu werden) die befreiungstheologischen Analogiebildungen als verfehlte analogia entis mit zum Teil verblüffend einfachen Beispielen: »Despite their intense relationality, trinitarian persons, moreover, remain irreducibly distinct from one another in ways that human beings cannot imitate. Father and Son remain absolutly different from one another in the Trinity, so to speak, because, unlike the case of human fathers and sons, here the Father has never been a Son … and the Son never becomes the father in turn« (67).
Statt von einer Gleichheit in der Relationalität der Personen auszugehen, erscheint es nach Tanner ethisch viel eher geboten, die Unterschiedlichkeit zu betonen. »Direct translation of the Trinity into a social program is problematic because, unlike the peaceful and perfectly loving mutuality of the Trinity, human society is full of suffering, conflict and sin.« (68) Wirkliche Hoffnung auf Überwindung von Leid, Sünde und Krieg werde aber genährt durch ein Aushalten der Differenz zwischen göttlicher und menschlicher Interaktion. »The difference between the Trin­ity and us holds out for hope for a radical improvement of the human condition. The Trinity is not brought down to our level as a model for us to imitate; our hope is that we might one day be raised up to its levels.« (70)