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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

684-685

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Höffner, Michael

Titel/Untertitel:

Berufung im Spannungsfeld von Freiheit und Notwendigkeit.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. XI, 338 S. 8° = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 47. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03090-2.

Rezensent:

Markus Mühling

Die Arbeit von Michael Höffner stellt dessen für den Druck überarbeitete Promotionsschrift an der Gregoriana zu Rom dar. Der Vf. macht sich zur Aufgabe, das Thema der personalen Berufung, das weitgehend von der Systematischen Theologie vernachlässigt werde, mit Mitteln der Phänomenologie und Transzendentalanalyse neu zu klären. Das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Notwendigkeit wird dabei als Raum ausgewiesen, innerhalb dessen der Begriff zu klären sei.
In einem ersten Teil wird unter der Überschrift »Provocatio« dieses Feld beschrieben. Neben Klärungen des Verhältnisses zwischen Freiheit und Notwendigkeit, die auf eine im weiteren Sinne kompatibilistische Option hinausläuft (17–32), werden Voraussetzungen der Gotteslehre geklärt, indem für ein Gottesbild im Rahmen der trinitarischen Renaissance im engen Anschluss an z. B. Greshake plädiert wird, das genügend Raum lässt, auch den Freiheitsgedanken zu denken (33–55), sowie der exegetische Befund zum Thema genannt (55–91). Dieser erste Teil wird geschlossen mit einer Verortung des Themas im Spannungsfeld neuzeitlicher Philosophie zwischen Moderne und Postmoderne, wobei besonders die »Philosophie der Lebenskunst« Wilhelm Schmids einen deutlich kritisierten Anknüpfungspunkt darstellt. Der zweite Hauptteil, »Evocatio«, besteht aus der phänomenologisch-transzendental­theoretischen Explikation des Berufungsbegriffs (127–175), ergänzt um die getrennt behandelten Aspekte des Berufungsvorgangs der Nachahmung von Vorbildern (175–201) sowie der Freilegung des Rufs im Gebet (202–227). Ein dritter Teil, »Advocatio« fragt nicht nach dem Ursprung des Rufes oder dessen Aneignung im Subjekt, sondern nach dessen notwendiger Proexistenz im Rahmen der Gemeinschaft. Die Themen der Stellvertretung (228–251), des Zeugnisses (252–274) und der Räte Gehorsam, Armut und Keuschheit als Kandidaten einer »christlichen Lebenskunst« werden hier besprochen (275–297). Die Arbeit schließt mit Exemplifikation zur Berufungstheorie des Vf.s am Beispiel der Berufung Romano Guardinis (298–310).
Ort der Berufung ist für den Vf. der durch die Strukturanalogie Heinrich Rombachs erschlossene Situationsbegriff, der Berufung als längeren Prozess erweist. Dieser Prozess wird im genannten Spannungsfeld als Freiheitsprozess verstanden, der folgende As­pekte bzw. Stadien aufweist: 1. Weckruf der Freiheit: Die alltägliche Erfahrung mit der Erfahrung erhält durch eine unverfügbare Unterbrechung die neue Qualität einer Tiefendimension, die als Erfahrung des Heiligen beschrieben wird, die noch ohne Antwort oder Imperativ den Menschen vor eine Aufgabe stellt, so dass er das fascinosum und tremendum der Freiheit erlebt. 2. Freiheit als Unterscheidung: Der Mensch tritt nun in einen inneren Dialog mit der Wirklichkeit, in Abstand zu sich selbst. Es kommt zu einer Umwertung der inneren Möglichkeiten und im Idealfall zu einer Konsonanz von Innen und Außen im Einklang mit der Erfahrung des Heiligen. 3. Angeblickte und vor-gesehene Freiheit: Hier findet eine religiöse Kontextualisierung statt, indem der Mensch den Indi­-kativ der Rechtfertigung durch das Angeblicktwerden von Jesus Chris­tus erfährt. Dieser durch den Christus der Schrift vermittelte Anblick stellt den Menschen in seiner Situation mit Huizing vor die Schönheit göttlicher Liebe, so dass der Mensch Christus als die passende Antwort auf seine Erfahrung des Heiligen erfährt, in der sich der »freiende« (im Sinne von werbende und befreiende) Gott zeigt. 4. Aufgerufene Freiheit: Im Verlaufe dieses Dialogs kommt es zum Angesprochenwerden durch Christus, das nun primär imperativischen Charakter hat. In der Auseinandersetzung zwischen Gewissen und Anruf erfährt sich das Subjekt als von sich entfremdet, um sich für Andere zurückzugewinnen. Der Imperativ beruht dabei auf der Autorität des als bittenden gerade lockenden Gottes. 5. Kirchlicher Widerhall: Hier entdeckt der Mensch um seiner Freiheit und um Christi willen die Notwendigkeit des Mediums der communio der Kirche. Erst im Dialog in und mit ihr kann es zum Prozess der Wandlung und Läuterung des Menschen kommen, so dass er sich nun neu der Wirklichkeit seines Lebens stellen kann. 6.Freiheit zum »magis«: Indem nun eine Indifferenz über die Wertungen der Wirklichkeit vor dem Anruf des Heiligen und eine Versöhnung mit der Wirklichkeit in einem Freisein von Zwängen und Ängsten erfahren wird, kommt es zur Vorentschiedenheit, das eigene Leben Christus zu widmen und zum ersten Mal tritt das Thema der Berufung hervor. 7. Freigabe ins Wagnis: Da sich zum nun konkreten Ruf in der Lebenssituation aber immer noch Alternativen durch die Verschränkung von innerem Determinationssystem des Subjekts und seiner Situation auftun, bedarf es nun auch des Wagnisses in Analogie zur Verendlichung der Inkarnation, damit sich die Berufung bewähren kann (127–159).
Des Vf.s Berufungstheorie trägt, wie ihm auch selbst bewusst ist, deutliche Ähnlichkeiten zu den ignatianischen Exerzitien. In seiner theologischen Rezeption ist er sehr offen, bezieht gerne auch protestantische Theologien in seine Überlegungen ein, allerdings keine direkten zum Thema des Berufs oder der Berufung. Kritisch zu betrachten sind eine Reihe von Fragen: Setzt jede Berufung zwangsläufig eine Krisis voraus? Oder zeigt sich darin nicht gerade das römisch-katholische Profil dieser Berufungstheorie, in der die Berufung im »Reich zur Linken« im Alltag nicht wirklich thematisiert werden kann? Ist es wirklich sinnvoll, den noch präthema­tischen Anruf einerseits mit dem Ottoschen Theoriekonstrukt des »Heiligen« zu bezeichnen, das gerade so letztlich ein theoretischer und gerade kein phänomenaler Begriff ist? Und ist es andererseits wirklich sinnvoll, die so aufgedeckte Situation der eigenen Freiheit mit den Epitheta des fascinosum und tremendum zu bezeichnen? Spielt nicht das Handeln des Heiligen Geistes und der durch ihn verliehenen Charismen, kurz die Pneumatologie, besonders im Verhältnis zur Ekklesiologie, eine unterbelichtete Rolle? Engt der beschriebene, länger dauernde Prozess nicht zum Teil hermeneutisch ein, etwa wenn biblische Berufungserfahrungen so exegetisiert werden, dass sie zur eigenen Theorie auch gegen den neutes­tamentlichen Befund passen? (Beispiel Paulus, 82 ff.). Die Kritikpunkte könnten noch deutlich vermehrt werden. Fragen ergeben sich u. a. an die Kohärenz der Methode zwischen Phänomenologie und Transzendentaltheorie, an die Beschreibung des Fürseins, die deutlich konfessionellen Charakter trägt, und an die Sorgfalt der Drucklegung, in der es nicht gelungen ist, ohne ein Beiblatt sämtliche griechische Typographie lesbar darzustellen.
All diese Anfragen dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Der Vf. hat sich tatsächlich einem Thema gewidmet, das über die Konfessionsgrenzen hinweg in der zeitgenössischen Theologie er­staunlich selten reflektiert wird, obwohl seine Explikation in den pluralistischen Gesellschaften der Gegenwart dringend zu wünschen wäre. Dass der Vf. sich dieser wichtigen Arbeit nicht mit einer sorgfältigen Bestandsaufnahme von vorhandenen Positionen und deren Abwägung, sondern mit der pointierten Formulierung einer eigenen Position widmet, und so Anfragen und Kritiken weckt, sollte eher als Tugend denn als Laster gewertet werden.