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Ausgabe: | Juni/2011 |
Spalte: | 671-672 |
Kategorie: | Christliche Kunst und Literatur |
Autor/Hrsg.: | Reinmuth, Eckart [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Ernst Barlachs Dramen. Theologische und kulturwissenschaftliche Kommentare. |
Verlag: | Berlin-Münster: LIT 2010. 165 S. m. Abb. 8° = Rostocker Theologische Studien, 20. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-643-10204-1. |
Rezensent: | Folkart Wittekind |
Zum 70. Todestag von Ernst Barlach veranstaltete die Universität Rostock ein Gedenksymposion, das den Dramen des Künstlers gewidmet war. Der vorliegende Band enthält die dort gehaltenen Vorträge. Sein Untertitel verrät bereits die Disparatheit der Sammlung. Wendet man sich den religionstheoretisch bzw. literaturtheologisch orientierten Beiträgen zu, so muss leider gleich der inhalts- und umfangreichste außer Betracht bleiben. Er stammt vom Berliner Kunst- und Kulturwissenschaftler Elmar Jansen und untersucht werk- und rezeptionsgeschichtliche sowie biographische Aspekte des Verhältnisses von Brecht und Barlach. Das Gleiche gilt für die Überlegungen des Dramaturgen Marc Steinbach, wie Barlachs Dramen heute inszeniert werden könnten.
Hingegen religionstheoretisch gemeint ist die Untersuchung von Barlachs Gottesbild, die der Bremer Literaturwissenschaftler und Autor Wolfgang Beutin beisteuert. Allerdings argumentiert er vor psychoanalytischem Hintergrund religionskritisch und löst so alle Gottesaussagen der Dramen funktional auf. Sie seien bloß Ausdrucksgestalten, mit denen Barlach seine Elternbeziehung durcharbeitet. Inhaltlich diagnostiziert Beutin eine idealisierte Bindung an den früh gestorbenen Vater, die durch eine genauso stilisierte negative Beziehung zur Mutter konterkariert werde. Sei es mit dem biographischen Sachverhalt, wie es wolle, aber welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspricht es, wenn der Dramentext und jede personale Äußerung in ihm nur als Steinbruch für Selbstaussagen angesehen werden, mit Hilfe derer der Autor auf die Couch gelegt wird? Ein solcher Umgang ist nicht nur religionstheoretisch, sondern auch literaturwissenschaftlich unbefriedigend.
Bleiben die beiden theologischen Aufsätze, deren ersten der Herausgeber und Neutestamentler Eckart Reinmuth beisteuert. Ihm geht es explizit um die Eröffnung einer neuen Fragestellung. Die alte Frage nach der Religion bzw. dem christlichen Glauben des Autors soll verabschiedet und stattdessen der Text auf seine Bezüge zum biblischen Text hin untersucht werden. Im chronologischen Durchgang durch die Dramen kann Reinmuth erhellende sze-nische und dramaturgische Anklänge und Kontrafakturen zu bib-lischen Texten nachweisen. Er verzichtet am Ende bewusst auf eine einheitliche Deutung dieses Sachverhalts, stellt aber fest, dass Barlach ein eigenwilliger Bibelleser gewesen sei. Damit wird die Inter textualität doch wieder autorenintentional eingeschränkt. Gewinnbringend wäre es, werkimmanent weiter zu fragen, welche Bedeutung die aufgezeigten intertextuellen Bezüge für die Konstitution des literarischen Werkes haben, auch über welche rezeptionsgeschichtlichen Zwischenschritte sie vermittelt sind und wie sie in den kulturellen Kontext der Zeit passen. Reinmuths Beobachtungen können dafür als Ausgangspunkt stehen.
Der systematische Theologe Stephan Schaede analysiert eines der dramatischen Hauptwerke Barlachs, den ›Findling‹ von 1922. Erlösungs-, Stellvertretungs- und Gottesanspielungen beherrschen den Text. Doch sind sie religiös gemeint? Zu Recht stellt Schaede gegenüber einer vorschnellen theologischen Eingemeindung Barlachs die kritische und literarische Funktion der christlichen Bilder heraus: kritisch zum einen gegenüber einer als ›bauchreligiös‹ diagnostizierten Gegenwart, kritisch zum anderen gegenüber der Sprache selbst, die sich als Vermittlungs- und Konstruktionsinstanz des verborgenen Gottes in den Vordergrund schiebt. Auch wenn Schaede selbst am Ende Barlachs Gottesbegriff an dem Luthers und Barths messen zu müssen meint, so mahnen seine genauen Beobachtungen am Text die Literaturtheologie, zwischen literarischer Gestaltung und theologischer Bedeutung, zwischen Kunst und Religion präziser zu unterscheiden – auch christliche Wörter und Bilder (wie ›Gott‹) in modernen literarischen Texten haben zunächst einmal eine literarische Funktion.