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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

666-671

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kühlmann, Wilhelm, u. Roman Luckscheiter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Moderne und Antimoderne. Der Renouveau catholique und die deutsche Literatur. Beiträge des Heidelberger Colloquiums vom 12. bis 16. September 2006.

Verlag:

Freiburg i. Br.-Berlin-Wien: Rombach 2008. 608 S. m. Abb. gr.8° = Catholica, 1. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-7930-9546-0.

Rezensent:

Klaus Unterburger

Der im Wesentlichen auf eine Heidelberger Tagung zurückgehende Sammelband möchte die »bemerkenswerte Diskrepanz« zwischen weit fortgeschrittener Erforschung des modernen Katholizismus und »literaturgeschichtlicher Marginalisierung der katholischen Literaturbewegung des 20. Jahrhunderts« anzeigen und schließen helfen (9). Doch auch in kirchenhistorischer Hinsicht ist die Erforschung des Renouveau catholique ein lohnenswertes Unternehmen, so wenn man der Frage nachgeht, was Ende des 19. und in der erste Hälfte des 20. Jh.s Intellektuelle und Schriftsteller, häufig Konvertiten oder Revertiten, anziehend an der katholischen Kirche fanden, so dass sich ihr literarisches Schaffen aus katholischen Wissens-, Wert- und Traditionsbeständen speiste, und was sie an ihr ablehnten. Kennzeichen des Renouveau catholique ist dabei, dass Frankreich zeitlich und besonders als wirkmächtiger Prototyp eine signifikante Priorität zukam und es sich beim deutschen Renouveau catholique vielfach um ein durch Rezeption und produktive Adaption gekennzeichnetes Phänomen gehandelt hat. So wird dem Phänomen der transformierenden deutschen Aneignung des französischen Vorbilds im Sammelband besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Ein in Frankreich wirkmächtiger Konvertit und Kunsttheoretiker war Joris-Karl Huysmans (1848–1917), der sich vom Naturalisten zum Symbolisten und schließlich zum katholischen Dichter entwickelte. Achim Aurnhammer zeigt, wie das Werk des Malers Matthias Grünewald dabei in allen Schaffensphasen ein Leitmotiv bildete, in dem sich seiner Meinung nach Naturalismus und supranaturale Mystik kreuzten und in dem er immer mehr das religiöses Erleben gegen die banale Moderne erkennen wollte; so hatte er an der Entstehung von Grünewald-Rezeption und Grünewald-Kult in Deutschland erheblichen Anteil.
Der Wiener Literaturkritiker und Schriftsteller Hermann Bahr (1863–1934) war einen ähnlichen Weg von Naturalismus über Décadence hin zur Konversion gegangen. Prägend für ihn war – so zeigt Stephanie Arend – der Lothringer Maurice Barrès mit seiner »Liaison zwischen Katholizismus und Nationalismus«, obwohl sich Bahr von Charles Maurras und auch vom Rassenantisemitismus abgrenzte. So ließ er sich auch nicht von Barrès politisch vereinnahmen und votierte für eine grenzüberschreitende katholische Kultur. Während Bahr die religiöse Erfahrungstiefe im Katholizismus bewunderte, verachtete er die Kirche als weltlich-konservatives und autoritatives System der Ordnung. Hingegen war für den Literaturkritiker Franz Blei (1871–1942), so Barbara Beßlich, der Katholizismus ein Mittel, die Moderne mit einem auf Autorität gegründeten gesellschaftlichen Ordnungsmodell zu überwinden. Nicht die existentielle Erfahrung von Sünde und Gnade, sondern die traditionale Ordnungsmacht des Katholischen interessierte ihn bei seiner Übersetzung des Renouveau catholique, dabei Carl Schmitt verwandt. Andererseits war Bleis Hinwendung zum Renouveau catholique nicht einfach reaktionär; er schätzte die ästhetische Attraktivität des Katholizismus und stand dem Expressionismus nahe. Dies verbindet ihn mit dem elsässischen Lyriker Ernst Stadler (1883–1914), der Francis Jammes und Charles Péguy übersetzte, den Roman Luckscheiter vorstellt. Unter dem Eindruck der Philosophie Bergsons war die katholische Religion für diesen gerade Ausdruck pulsierenden religiösen Lebens und Erlebens. Die Franziskusbegeisterung und -deutung in Frankreich und in Deutschland stand in diesem Kontext. Jammes stand für Stadler für »heidnische Sinnlichkeit und katholische Mystik«, Péguy für »Anarchismus und Mystik«, je auf Distanz zur Amts- und Machtkirche und zur bürgerlichen Ordnung. Mystik, religiöses Erlebnis und Antimodernismus, dazu Kampf gegen das bürgerliche Spießertum prägten aber vor allem das Werk von Léon Bloy (1846–1917). Gerade für Carl Schmitt war deshalb Bloy einer der wichtigsten Gewährsmänner, der ihn, so Maximilian Gröne, im Kontext seiner negativen antirepublikanischen Brille und seiner antirepublikanischen Betonung eines starken Staats rezipierte. Bloys symbolisch-heilsorientierte Ge­schichtsdeutung tröstete schließlich mit Verspätung auch Ernst Jünger (1895–1998) im 2. Weltkrieg. Nach 1945 stellte Bloy für Schmitt und Jünger das Deutungsangebot bereit, ihre Isolation als christliches Martyrium in einer gottlosen Ge­sellschaft zu deuten. Bloys antibürgerlicher radikaler Kampf für die Armen und Ausgestoßenen hat aber auch Heinrich Böll (1917–1985) tief beeinflusst (vermittelt vor allem über Karl Pfleger), was Gerhard Sauder zeigt. Bereits in frühen Erzählungen Bölls kann er Bloys »Mystik der Armut« (Le Sang du Pauvre) als Motiv ausmachen, das sich bis zum Schluss bei ihm durchgehalten hat und einen Grundstock für Bölls Kritik des Kapitalismus und des katholischen Milieus der Adenauerzeit gelegt hat. Auch andere Autoren des Renouveau catholique bestärkten ihn in seinem moralischen Rigorismus.
Im deutschsprachigen Raum war der ambitionierte literarische Katholizismus ab etwa 1900 durch zwei jeweils Zeitschriften nahestehende konkurrierende Kreise, den um das »Hochland« Karl Muths und den um den »Gral« Richard von Kraliks geprägt.
Friedrich Vollhardt zeigt, wie das »Hochland« seinen Namen einer Nähe Muths zur Heimatkunst gegen einen großstädtischen Naturalismus und gegen den katholischen Tendenzroman verdankt. Dessen Programm war aber ganz dem Anliegen des französischen Renouveau catholique verpflichtet, für den das »Hochland« eines der wichtigsten Vermittlungsorgane (nicht aber von englischsprachiger Literatur) wurde. So war man literarisch einem Antinaturalismus verpflichtet, der die echte religiöse Dramatik des Lebens authentisch darstellen sollte, in weltanschaulicher Hinsicht einem Katholizismus, dessen erfahrungsgesättigte Tiefendimension der Moderne ein alternatives und überlegenes Sinnangebot bieten könne. Mit dem »Hochland« verwandt und doch durch ein konkurrierendes Programm geprägt war der vor allem österreichische »Gralbund« um Richard von Kralik, den Rolf Parr vorstellt. Dieser knüpfte vielfach an die Romantik an und lehnte Muths Bejahung der Weimarer Klassik ab; eine Affinität zur antiken Kunst und zu einer germanisch-deutschen Volksidentität ist in vielen Beiträgen ebenfalls unverkennbar. So war man in der Rezeption des als ästhetizistisch-oberflächlich verdächtigten französischen Renouveau catholique sehr viel zurückhaltender als Muth (der frühe Huysmans gilt Kralik als Beispiel für Dekadenz); dennoch kommt es zu einer partiellen Rezeption, die zunimmt, als der »Gral« in den 1920er Jahren sich stärker in Richtung Völkerverständigung öffnet.
Einer der wichtigsten Vermittler des Renouveau catholique in Deutschland war der dem »Hochland« nahestehende Bonner Ro­manist Hermann Platz (1880–1945), der als frankophiler Katholik 1935 aus dem Lehrkörper entfernt wurde. Thomas Pittrof stellt diesen von Herman Schell geprägten frühen Verfechter einer christlichen Demokratie vor, der mit anderen katholischen Intellektu­ellen stark durch die Liturgische Bewegung Beuroner Prägung bestimmt war und der eine auf europäische Einigung zielende Abendlandsidee vertrat. Der Renouveau catholique faszinierte Platz, da er das Ungenügen von Materialismus und Positivismus durchschaute, den Glauben aber nicht als traditionale Routine, sondern als persönliches spirituell in die Tiefe gehendes Erleben, als Drama zwischen Sünde und Gnade, erfasste, und so neben Ernst Robert Curtius (1886–1956) ein wichtiger Katalysator der Rezeption wurde.
Andere wichtige Vermittler, den später in Münster lehrenden Philosophen Peter Wust (1884–1940) und den Elsässer Pfarrer Karl Pfleger (1883–1975), stellt Wilhelm Kühlmann vor. In ihrer Skepsis gegen die Moderne und ihrer Sympathie für einen antibürgerlichen existentiell-mystisch geprägten Katholizismus, wie er im Renouveau catholique als lebensbestimmende Macht dargestellt wurde, stimmten beide überein und waren so wichtige Mittler und Anreger auch für deutsche Schriftsteller. Die Wustsche »Auferstehung der Metaphysik« nimmt hingegen Richard Faber kritisch ins Visier, der hinter den katholisch-metaphysischen und geschichtstheologischen Deutungen zahlreicher im Rheinland beheimateter Rezipienten des Renouveau catholique die Verherrlichung natürlich-traditionaler Lebenswelten und ihre Überhöhung als ewige gültige Ordnungen ausmacht und so von einer paganen Verklärung volksfrommen Brauchtums bei diesen Vertretern (auch Haecker, Ball, Adam, Grosche, Peterson u. a.) spricht. Dem »Hochland« stand zunächst auch der symbolistisch-enigmatische Dichter und Kunstkritiker Konrad Weiß (1880–1940, bis 1920 dort Redakteur) nahe, der sich in der Weimarer Zeit von der liberal-bürgerlichen Kultur distanzierte und so wiederum für Carl Schmitt ein Gewährsmann und ständiger Dialogpartner wurde. Wilhelm Kühlmann analysiert deren Verhältnis, vor allem auch den Einfluss von Weißens Epimetheus aus dem Jahr 1933, der Schmitt darin bestärkte, dass nicht der parlamentarische Katholizismus, sondern das Katholische als eschatologisch-konservative Revolution die Alternativen zur aufgeklärt-bürgerlichen Nivellierung des Transzendenzbezuges der staatlichen Macht sei.
Zahlreiche Beiträge beschäftigen sich mit dem »Katholischen« bei prominenten, dem Katholizismus des 20. Jh.s zugerechneten Literaten.
Ralf Georg Czapla beschreibt Leben und Wandlungen des ka­tholischen Arbeiterdichters Heinrich Lersch (1889–1936), der, literarisch weitgehend Autodidakt, zunächst den 1. Weltkrieg christlich verklärte, sich dann aber immer mehr hiervon pazifistisch distanzierte, in der Weimarer Zeit dem Katholischen Volksverein nahestand und expressionistisch die Welt der Maschine beschrieb, schließlich 1933, auch aus wirtschaftlicher Not, als Mitläufer im Nationalsozialismus gelten kann. An der Lyrikerin und Bildhau­erin Ruth Schaumann (1889–1975), die 1924 konvertierte und den Hochland-Schriftleiter Friedrich Fuchs (1890–1948) heiratete, will Wolfgang Braungart zeigen, dass der kulturelle Katholizismus im 20. Jh. noch immer durch Moderne-Verweigerung bestimmt gewesen sei. Ihr Werk sei durch naive, problemfreie und affirmative Innerlichkeit bestimmt, dem Anspruch der Moderne stelle sie sich nicht. Marcel Krings geht in seinem Beitrag davon aus, dass Alfred Döblins (1878–1957) Rede aus dem Jahr 1943, in der er mit seiner Konversion zur katholischen Kirche bekannt machte, von anderen Schriftstellern als peinlicher Eklat aufgefasst wurde. Er analysiert, wie sich das Katholische im Spätwerk Döblins spiegelt, das gerade deshalb sich in der deutschen Nachkriegsliteratur schwer etablieren konnte.
Im 20. Jh. war es gerade das Werk Paul Claudels (1868–1955), das eine vielschichtige und tiefgreifende Wirkung auf die deutsche Literatur ausübte. Zu den großen Vermittlern und Übersetzern ist dabei besonders der katholische Theologe Hans Urs von Balthasar (1905–1988) zu zählen, der im Renouveau catholique Antworten auf die Problematik der Moderne in existentieller wie in ästhetischer Hinsicht erkannte und insbesondere Claudel, aber auch Bernanos und Péguy, übersetzte und populär zu machen suchte. Balthasars Bedeutung in der Claudel-Deutung liegt gerade darin, dass er in einer gewissen Nähe zu Albert Béguin, so Volker Kapp, dessen religiöse Überzeugung bewusst nicht marginalisiert, sondern als Deutungsschlüssel ernst genommen hat. Grundsätzlicher mit der Rezeption Claudels im deutschen Nachkriegsdrama beschäftigt sich Wolf Gerhard Schmidt, der die Auseinandersetzung mit dem Franzosen in diskursive Adaption oder Differenz und ästhetisch-formale Adaption oder Differenz einteilt, wobei sich nicht jeder Rezipient leicht in dieses Raster integrieren lässt. Spuren der Lektüre Claudels finden sich auch, so Hartmut Cellbrot, in den Werken der Österreicher Robert Musil (1880–1942) und Rudolf Kassner (1873–1959). Musil erkannte Claudel literarische Qualität zu, vermisste aber »konstituierte Innerlichkeit«, Kassner lehnte gegen­­-über Hugo von Hofmannsthal diesen ab, da dessen Katholizismus Mächte hinter den Menschen sehe, was mit der menschlichen Subjektivität nicht übereinstimme. Als Verehrerin von Claudel ebenso wie von Bernanos hat sich an ihrem Lebensende Elisabeth Langgässer (1899–1950) bekannt. Daniel Hoffmann kann aber zeigen, wie zwischen beiden gerade in der Geschichtsdeutung (Auslegung von Röm 8) ein großer Gegensatz zwischen Langgässers Pessimismus und Claudels affirmativer Weltanschauung besteht. Andererseits hilft Claudels Deutung des Judentums als Hintergrund gerade zu verstehen, dass Langgässer im »Unauslöschlichen Siegel« nicht antisemitisch schreibt, sondern das Judentum als weiterhin positiv von Gott geliebt und erwählt deutet, in der Darstellung Belfontaines hingegen gerade die Amtskirche kritisiert, die den modernen Menschen in seinen Glaubensnöten alleine lasse. Immer wieder hat, so Carsten Dutt, Langgässer für ihr Werk das Adjektiv »modern« beansprucht, da es eben das bisherige, bürgerlich-liberale Zeitalter hinter sich lasse, während sie deshalb das Werk eines Thomas Mann als letztlich veraltet betrachtete. Formal entschied sie sich so, gerade durch den Glauben inspiriert und in Ablehnung eines nur epigonalen christlichen Dichtens, für ein nachrealistisches, psy­chologische Realitäten hinter sich lassendes Erzählen, das Raum und Zeit allegorisch und transpersonal immer wieder durchbricht.
Als weitere dezidiert katholische Dichterin des 20. Jh.s gilt Gertrud von Le Fort (1876–1971), die bei Ernst Troeltsch studiert hatte und 1926 in Rom konvertierte; trotz ihres Eingebundensein in katholische Netzwerke kann Joël Pottier aber stringent zeigen, dass der französische Renouveau catholique beinahe keinerlei Einfluss auf ihr Werk ausgeübt hat und ihr Denken auch ohne ihn verstanden werden kann. Ihre Konversion jedenfalls hat der Renouveau catholique nicht beeinflusst und auch später nimmt sie ihn nur sehr rudimentär zur Kenntnis; ihren Übertritt zum Katholizismus deutete sie dementsprechend gerade nicht als eine Abkehr von Troeltsch.
Als einer der wichtigsten und einflussreichsten Dichter des literarischen Katholizismus im 20. Jh. gilt Reinhold Schneider (1903–1958). Dabei hat auch er prominente Vertreter des Renouveau catholique erst spät, so Theodor Verweyen, zur Kenntnis genommen. Er vergleicht Schneiders »Las Casas vor Karl V.« mit Heinrich Manns (1871–1950) »Die Vollendung Königs Henri Quatre« und zeigt dabei, wie beide Werke einem der literarischen Ästhetik noch vorgeordneten Wert, dem der Menschenrechte, vor dem Hintergrund des Dritten Reichs verpflichtet sind. Dem Thema der religiösen Programmatik bei Reinhold Schneider widmet sich der Beitrag von Burckhard Dücker. Schneider wollte das Religiöse als geschichtsmächtige Instanz, die nicht nur Innerlichkeit, sondern soziale Praxis verlange, darstellen, so dass er immer wieder den Zusammenstoß von radikal christlichem Ethos und weltlicher Macht zur Darstellung brachte. Das Religiöse bildet dabei gegenüber in­stitutionalen Formen von Religion ein Erneuerungsreservoir, das an das Leben einen absoluten Anspruch stellt, ohne sprachlich-dogmatisch und in einer historisch konkreten Form ganz aufzugehen, und das in ständiger Spannung zu Macht und Gewalt bleibt. Eine ganz eigentümliche Faszination haben das Katholische und der Renouveau catholique schließlich auch auf Klaus Mann (1906–1949) ausgeübt, die in Konversionsplänen gipfelte, so Thomas Richter. Im Exil wurde Mann politischer und sah im Katholizismus einen potentiellen Verbündeten im Kampf für eine alternative gesellschaftliche Ordnung, war freilich vom konkreten Verhalten der Hierarchie, beeinflusst von Dempf und Mauriac, im Dritten Reich auch enttäuscht. Mauriacs »Leben Jesu« faszinierte Mann, der aber im kirchlichen Verständnis von Sexualität und besonders Homo­-sexualität die Grenze der Gemeinsamkeit sah. Gegen Lebensende war Klaus Mann von der Kirche deshalb weitgehend ernüchtert, was sich etwa in seiner Gide-Biographie spiegelt. Hierarchiekritische Züge macht Wilhelm Kühlmann auch in der Analyse des autobiographischen Synesios-Romans von Stefan Andres (1906–1970) aus, dessen Marginalisierung durch den deutschen Literaturbetrieb nach dessen Tod er beklagt. In der Rolle des spätantiken Chris­ten Synesios deutet Andres die eigene Existenz als spätantike, philosophisch-christliche Lebensform, die von einer reflexionslosen vulgär-christlichen Masse nicht mehr verstanden werde; er zielt auf eigentliche Christlichkeit gegen einen klerikalen und entspiritualisierten Kirchenapparat und gegen die in seinen Augen bildungsfeindliche und latent totalitäre Mentalität der 68er-Revolte.
Der Sammelband leistet Beachtliches. Er belegt zunächst eindrücklich und perspektivenreich, dass die Marginalisierung der katholischen Autoren im literaturwissenschaftlichen Interesse zwar der Erosion des katholischen Milieus entsprach, aber nicht der Bedeutung und dem Einfluss des Renouveau catholique gerecht werden kann. So wird er Anstöße für eine nachdrücklichere Be­schäftigung damit liefern können. Überdies stellt sich die Frage, was die Intellektuellen, Dichter und Künstler im Katholizismus suchten und fanden, den sie meist erst mühsam entdecken oder wiederentdecken mussten. Die Ablehnung einer kleinbürgerlichen, am Gelderwerb primär orientierten Existenzform und damit zentraler Aspekte der modernen Gesellschaft wird hier ein weit verbreiteter gemeinsamer Nenner gewesen sein, verbunden mit der Erfahrung der mystisch-transzendenten Dimension des Katholischen, des Einbruchs der Gnade und der Übernatur in die menschliche Existenz und deren Ringen zwischen Sünde und Gnade. Dass die ersten Anregungen von Frankreich ausgingen, wird bei der dortigen scharfen Konfrontation zwischen liberal-bürgerlichem Staat und katholischem Milieu nicht verwundern. Dabei war der Renouveau catholique kein absoluter Antimodernismus, sondern ein vielschichtiges Phänomen in zahlreichen Ausdrucksformen, das heimelige Naivität oder die Betonung eines starken und autoritären Staates beinhalten konnte, aber auch radikale quasi­sozialistische Kapitalkritik oder ästhetizistischen Avantgardismus. Weit verbreitet hingegen war die Kritik an einer klerikalen und verbürgerlichten Kirche, deren Machtstrukturen und Transzendenzvergessenheit den Menschen den Glauben aus der Seele reiße; auch dieser Punkt ein Element einer seismographischen Zeitdeutung.