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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

655-657

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Strohschneider, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Literarische und religiöse Kom­munikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2009. XIX, 1055 S. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 148,00. ISBN 978-3-11-020061-4.

Rezensent:

Martin Ohst

Das hier dokumentierte Symposion fand unter germanistischer Generalregie statt, war aber eine eindrucksvolle interdisziplinäre Heerschau der gegenwärtigen kulturalistisch ausgerichteten Mediävistik und Frühneuzeitforschung. Es wurden in vier Sektionen keine Vorträge gehalten, sondern Vorlagen diskutiert, deshalb enthält der Band »nur« 27 Beiträge, deren Umfang sich zwischen den Dimensionen normaler Aufsätze und denen kleiner Monographien bewegt. Die Einleitungen des Herausgebers und der Sektionsleiter sowie die knappen Berichte über die Diskussionen bezeugen mit teilweise hohem theoretischem Begründungsaufwand das Bemühen, die Einzelbeiträge begrifflich dem Generalthema zuzuordnen. Dessen Tauglichkeit allerdings wird von Klaus Grubmüller (»Autorität und Meisterschaft. Zur Fundierung geistlicher Rede in der deutschen Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts«, 689–711) vielleicht noch allzu schüchtern in Zweifel gezogen (689 f.), denn wo gibt es eigentlich im westlichen Christentum eine wirklich fixierte Abgrenzung zwischen den beiden Sphären? Ähnliche Fragen stellen sich auch angesichts des Beitrags von Mireille Schnyder (»Kunst der Vergegenwärtigung und gefährliche Präsenz. Zum Verhältnis von religiösen und weltlichen Lesekonzepten«, 427–452): Haben die von ihr plastisch geformten Lektüre-Typen je außerhalb der normbildenden Phantasie von Seelsorgern existiert?
Für den schlichten, mediävistisch interessierten Kirchenhistoriker sind diese systematischen Fragen von vergleichsweise geringerer Bedeutung; er freut sich vielmehr am historischen Ertrag der einzelnen Beiträge: Kaum einen von ihnen liest man ohne Gewinn! Einige wenigstens seien kurz charakterisiert, und zwar in Anlehnung an gängige kirchengeschichtliche Fragestellungen und Themen. – Zum Thema Predigt findet sich neben dem Überblick von Bernhard Lang (»Predigt als ›intellektuelles Ritual‹. Eine Grundform religiöser Kommunikation kulturwissenschaftlich betrachtet«, 292–323) die höchst lesenswerte Detailstudie von Burkhard Hasebrinkmitewürker gotes. Zur Performativität der Umdeutung in den deutschen Schriften Meister Eckharts«, 62–88). Sie zeigt in subtilen Analysen, wie es die Texte des Dominikaners versuchen, ihren Leser/Hörer in die von ihnen dargelegten geistig-religiösen Bewegungen hineinzuziehen.
Breiten Raum nimmt das Themenfeld »Messe/Eucharistie« ein. In seiner Analyse des Messkommentars des Wilhelm Durandus (»A maioribus tradita. Zur Kommunikation von Mythos und Ritus im mittelalterlichen Messkommentar«, 324–370) führt Thomas Lentes mehrschichtige Bedeutungszuschreibungen vor: In der Messe vergegenwärtigt sich einerseits in der Wandlung Jesus Christus selbst; zum andern zeigt ein allegorisches Verständnis des gesamten Rituals, dass hier die gesamte Heilsgeschichte, insbesondere der Weg Jesu Christi, in Abbreviatur inszenierend vergegenwärtigt wird. Gänzlich ungestellt bleibt die Frage, inwiefern es zu einer Einbeziehung des »Zuschauers« bzw. Kommunikanten in diesen ganzen Handlungszusammenhang kommen kann. Diese Befunde finden in zwei weiteren Beiträgen Fortsetzungen: Nach Michael Stolz (»Kommunion und Kommunikation. Eucharistische Verhandlungen in der Literatur des Mittelalters«, 453–505) konkurrierten Deutungen der Messe als der sakramentalen Selbstvergegenwärtigung Christi und solche, die diese eher als die Geschichte repräsentierende Inszenierung verstanden, auch in nichttheo­logischen literarischen Kontexten. Sodann zeigt Jutta Ehming (»Ma­rienklagen im Passionsspiel als Grenzfall religiöser Kommunikation«, 794–816), wie die reich ausgeführten literarischen Texte, welche Maria unter dem Kreuz in den Mund gelegt wurden, um deren Leid um den Sohn zu bezeugen, die Absicht verfolgten, die Zuschauer und -hörer zum möglichst intensiven emotionalen Nach- und Miterleben der Passion anzuregen.
Von besonderem Reiz sind die Beiträge aus dem Themenkreis »Heiligenverehrung/Hagiographie«, denn sie zeigen, wie unterschiedlich die Kontexte sind, in welche dieser Phänomenbereich hineinspielt. Christian Kiening (»Hybriden des Heils. Reliquie und Text des Grauen Rocks um 1512«, 371–410) schildert, wie der »Heilige Rock« zu Trier zunächst einerseits als stoffliche Reliquie verehrt wurde und wie sich dann erzählende Literatur an den Leinenmantel heftete, welche den bloßen Gegenstand selbst tendenziell in den Hintergrund drängte.
Cristina Andenna (»Heiligenviten als stabilisierende Gedächtnisspeicher in Zeiten des religiösen Wandels«, 526–573) führt vor, wie Viten von Kloster- und Ordensgründern des 11./12. Jh.s so geformt wurden, dass sie Konflikte der 2./3. Generation zu entscheiden bzw. zu befrieden vermochten. – Nikola von Merveldt (»Transgression und Transzendenz. Der Skandal der fabliaux dévots aus der Vie des Pères«, 712–732) und Hans Jürgen Scheuer (»Schwankende Formen. Zur Beobachtung religiöser Kommunikation in mittelalterlichen Schwänken«, 733–770) erinnern an Texte, in welchen hagiographische bzw. romanhafte Formen sich mit grotesken, ja zotenhaften Inhalten füllten. Ob man, wie die beiden es je auf ihre Weise tun, hier ernsthafte religiöse oder gar theologische Anliegen postulieren sollte, ist mir fraglich geblieben – nicht zuletzt etwa angesichts des Schwanks vom abgeschnittenen »zagel« eines Ritters, der unversehens zu einem monströsen Eigenleben erwachte und das Begehren der Nonnen eines Klosters entzündete, nachdem er dort ein Jahr lang ruhig und unbeachtet unter der Treppe gelegen hatte (755). Dass in dieser Geschichte neben Zügen der Elia-Erzählungen auch ein Motiv der Alexius-Legende parodierend aufgenommen wird (758), steigert doch schlicht den subversiven Unterhaltungswert der ganzen Erzählung, den Reiz der kalkulierten Verletzung von Scham- und Tabugrenzen.
Die Frage, ob nicht ein bitter satirischer Text in der modernen Deutung theologisch überdeterminiert wird, mag sich auch angesichts der Studie von Andrew James Johnston stellen (»Chaucers Pardoner – die Geburt der Literatur aus dem Geist der Orthodoxie«, 817–843): Mit äußerst subtilen Analysen unternimmt er den Versuch, die zynische, verlogene Gestalt des Ablasspredigers in den Canterbury Tales als apologetische Instanz zugunsten der papstkirchlichen Rechtgläubigkeit zu deuten.
Mit Nachdruck sei abschließend auf Klaus Schreiners magistrale Untersuchung zum Thema »Siegbringende Marienbilder. Formen und Funktionen bildhafter Kommunikation in militärischen Konflikten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit« (844–903) hingewiesen. Er macht es wahrscheinlich, dass die Praxis, von Maria und anderen Heiligen mittels bestimmter Bilder wunderhafte Hilfeleistungen zu erflehen, ursprünglich in die byzanti­nische Frömmigkeit gehörte und aus dieser erst nachträglich in den Westen übergegangen ist (849 f.). Wie diese Frömmigkeitsformen praktiziert, propagiert und legitimiert wurden, illustriert eine lange Reihe von Fallbeispielen aus Ungarn, den Habsburgischen Erblanden, Bayern und Rom, die sich zeitlich vom 13. bis ins 18. Jh. erstreckt. Interessant ist, wie mittelalterliche Phänomene in der Neuzeit zur Legitimation von entsprechenden Erwartungen be­müht wurden. Theologisch wusste man die Rechtgläubigkeit zu wahren: Maria sei beileibe keine heidnische Siegesgöttin, sondern erwirke lediglich, bewegt durch die verdienstlichen Bitten ihrer Verehrer, die militärischen Siege durch ihre erhörungsgewisse Fürbitte bei Gott (868). Dennoch gab es immer wieder Kritik an der populären Zuschreibung von Wundertaten an die Bilder selbst; sie argumentierte mit deren Verweischarakter (882 ff.).