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Ausgabe: | Juni/2011 |
Spalte: | 643-645 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Popp, Thomas |
Titel/Untertitel: | Die Kunst der Konvivenz. Theologie der Anerkennung im 1. Petrusbrief. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. XII, 589 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 33. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-02758-3. |
Rezensent: | Gudrun Guttenberger |
Mit seiner 2009 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Halle als Habilitationsschrift angenommenen Arbeit zum 1. Petrusbrief (Erstgutachter: Udo Schnelle) legt Thomas Popp auf der Grundlage des Konvivenz-Konzepts Sundermeiers und mittels des Begriffs der Anerkennung eine theologisch profilierte Auslegung des neutestamentlichen Textes vor, die dessen »theologische Konzeption … im Kontext gegenwärtigen Wirklichkeitsverständnisses als zukunftsrelevante Sinnbildung für Kirche und Gesellschaft« (1) zur Geltung zu bringen beansprucht. P. stellt sich damit der zunehmend dringlichen (kirchen- und hochschulpolitischen) Anforderung, einerseits die Relevanz universitärer neutestamentlicher Wissenschaft für das kirchliche Leben und die kirchliche Arbeit neu zu erweisen und andererseits ihren Vernetzungsgrad in die nicht-exegetischen theologischen Fächer, insbesondere in die Systematische und Praktische Theologie, zu erhöhen.
Das Anliegen spiegelt sich in der Grobgliederung des Buches: Der exegetische Mittelteil, in dem der 1Petr kursorisch ausgelegt wird (105–455), wird von einem programmatischen ersten Teil, in dem das Konvivenz-Konzept sowie der Anerkennungsbegriff, wie er in verschiedenen Disziplinen verwendet wird, vorgestellt werden (Aktuelle Annäherungen, 17–63), sowie von einem mit »Zusammenschau« überschriebenen letzten Teil (458–515) gerahmt, der die Interpretation des Briefes als »Anerkennungstheologie« (z. B. 458) an den traditionellen theologischen loci orientiert expliziert und mit Theoremen aus dem ersten Hauptteil verbindet. Vorangestellt ist eine kurze Einleitung (1–6); zwischen den ersten Hauptteil und den exegetischen Teil ist ein Kapitel gestellt, das die mit dem Terminus »Anerkennung« gemeinte »Sache« im Kontext antiker Kultur thematisiert (65–104). An den Schluss ist ein kurzer Ausblick gestellt, der erneut die wesentlichen Aspekte der »konvivalen Theologie der Anerkennung … gebündelt auf ihre Aktualität hin« (517) befragt. Es folgt ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Die Benutzung des Buches wird durch das Fehlen von Indizes erschwert.
Im Einleitungskapitel wird die Forschungsgeschichte zum Ersten Petrusbrief in großer Kürze thematisiert (3–5). Deutlich wird bereits hier, dass P. vorzüglich der Interpretation des 1Petr von Feldmeier verpflichtet ist, dessen Arbeit er als »Leuchtfeuer« (3) der Forschungsgeschichte charakterisiert. Der folgende Abschnitt dient einer Einführung in die Begriffe der Konvivenz (P. Freire, T. Sundermeier und K. Berger), der Anerkennung (Goppelt und Feldmeier für 1Petr, Reinmuths Anthropologie; Markusinterpretation Jochum-Bortfelds) und der Demut (Wengst, Guttenberger, Theißen, Zemmrich). Die These der Arbeit, die Theologie des 1 Petr erschließe sich durch die genannten drei Begriffe, Konvivenz, Anerkennung und Demut (11), wird erstmals ausdrücklich formuliert und als innovativ behauptet. Der methodische Zugriff erfolgt durch die Ausmessung semantischer Felder, durch die Berücksichtigung der soziopolitischen Situation sowie des zeitgenössischen Sprachgebrauchs (11 f.); weiterhin sollen kulturanthropologische (B. Malina) und mentalitätsgeschichtliche Theoreme berücksichtigt werden. Die Verbindung des sprachlich orientierten Zugangs mit dem mentalitätsgeschichtlichen Konzept erfolgt in Anschluss an Sellin (13); die Zuordnung der Berücksichtigung der soziopolitischen Verankerung wird theoretisch nicht reflektiert. Abschließend wird eine Begründung der Textauswahl für die Rekonstruktion des zeitgenössischen Sprachgebrauchs versucht, für den sich P. auf Plutarch, Epiktet und Seneca sowie im Bereich jüdischer Literatur auf das Proverbienbuch beschränkt. In dieser sehr schmalen Auswahl verwundert insbesondere die Berücksichtigung Epiktets, dessen Schriften kaum als zeitgenössisch gelten können, sowie die Senecas, der sich wegen der Sprachgrenze über die gewählte Leitmethode nur vermittelt zuordnen lässt. Bedauerlich ist angesichts der Strategie des 1Petr, alttestamentlich-jüdische Traditionen als Kern der Identität seiner Adressaten und Adressatinnen zu konstruieren (vgl. besonders 1Petr 2,9 f.), die Beschränkung auf das Proverbienbuch.
Der erste Hauptteil, in dem P. einleitend fordert, Theologie müsse sich am »akademisch und gesellschaftlich vitalen Diskurs um Anerkennung … beteiligen und im Dialog mit anderen Wirklichkeitsdeutungen ihr eigenes Profil und ihre Anschlussfähigkeit zeigen« (28), stellt zunächst das Konvivenz-Modell Sundermeiers vor (17–27). P. verbindet den Konvivenz-Begriff mit dem der Lebenskunst, der für die antike Philosophie und für die gegenwärtige Philosophie und Theologie (W. Schmid, M. Schibilsky und P. Bubmann) anschlussfähig sei. In einem zweiten Anlauf skizziert P. zunächst die Verwendung des Begriffs der Anerkennung in den Theorien des Literaturtheoretikers T. Todorov, der Sozialphilosophen J. Habermas und A. Honneth sowie des Kulturwissenschaftlers J. Rüsen. Anschließend fragt P. nach theologischen Zugängen zum Anerkennungsbegriff und stellt dessen Verwendung bei K. Barth, E. Jüngel und J. Werbick dar. Der Teil schließt mit der Bilanz: » Die Anerkennungstheorie gibt es nicht … Was Anerkennung bedeutet, hängt von der jeweiligen Disziplin und der zugrundegelegten erkenntnistheoretischen und ethischen Position ab. Der große Vorteil besteht darin, dass in diesem Begriff anthropologische, philosophische, geschichtstheoretische und theologische Gehalte vereinigt sind.« (61)
Die Lektüre der Referate der einzelnen Ansätze ist durchweg anregend; die Darstellung dokumentiert die Weite des Anerkennungsbegriffs und darüber hinaus die breiten Kenntnisse P.s. Bezogen auf den Ansatz der Arbeit muss man jedoch fragen, ob die Ambiguität des Begriffs Anerkennung mit hinreichender Konsequenz berücksichtigt wird, ob es methodisch möglich ist, einen spezifischen Anerkennungsbegriff außerhalb seiner ihn jeweils konstitutierenden Theorie zu verwenden, eine »Anwendung« auf den 1Petr es mithin erfordere, zusammen mit einem Anerkennungsbegriff auch die ihn hervorbringende Theorie für den Brief fruchtbar zu machen, und schließlich, ob Anschlussfähigkeit an einen Diskurs dadurch suffizient erreicht werden kann, dass man denselben Begriff verwendet.
Das zur Auslegung des 1Petr überleitende Kapitel, das sich mit der »Sache« der »Anerkennung« in antiker Kultur beschäftigt, charakterisiert diese zunächst als »agonistische Ehrenkultur« (66) und versucht anschließend, den seman-tischen Gehalt der Lemmata τιμ*, δοκ* und ἕπαιν* bzw. λογ* ὁνο* und λαυ* bei Epiktet, Plutarch und Seneca zu umreißen, indem Belege knapp aneinandergereiht wiedergegeben oder paraphrasiert werden. Der Abschnitt führt nicht über den in der neutestamentlichen Wissenschaft rezipierten Gehalt hinaus, erreicht dessen Umfang und Differenzierungsgrad oft nicht einmal. Methodisch ist kritisch anzumerken, dass die Belege weitgehend unabhängig von ihrem Kontext befragt werden und die Differenzen der einzelnen Begriffe im Hinblick auf die postulierte Zugehörigkeit zum Anerkennungsbegriff nicht beachtet und sogar nivelliert werden. Auswertungen fehlen.
Der große der Auslegung des 1Petr gewidmete Mittelteil der Arbeit beginnt mit einer knappen Skizze der Einleitungsfragen und einer Spezifizierung des methodischen Zugriffs. Die Bearbeitung der Einleitungsfragen folgt leider durchgehend der Sekundärliteratur und verzichtet auf die Diskussion der weiterhin umstrittenen und für die Auslegung – wie P. eigens hervorhebt (105) – eminent relevanten Fragen. Der 1Petr sei ein um 90 entstandenes, an überwiegend griechisch-römische Adressaten gerichtetes offen pseudepigraphes, konsolatorisches Schreiben, das durch die Anforderungen des Kaiserkults und die daraus hervorgegangene »prekäre Situation« der Christinnen und Christen (109) bestimmt sei. Der Einleitungsabschnitt ist in Umfang, Gehalt und Vorgehen enttäuschend und für die Belastbarkeit der Textauslegung eine schwere Hypothek.
Die Auslegung erfolgt abschnittsweise; auf eine eigene Übersetzung wurde verzichtet; eingangs wird jeweils der Ausschnitt der Begrifflichkeit genannt, die relevant wird. Der Schwerpunkt liegt auf dem Anerkennungsthema (z. B. 133); es werden immer wieder Brückenschläge zu den im ersten Hauptteil dargestellten Ansätzen versucht. Dazwischengestreut sind Petitabsätze, die begriffs- oder motivgeschichtlich veranlasst Religions- und Traditionsgeschichtliches bzw. Verweise auf andere frühchristliche Texte hinzufügen, überwiegend mit der Absicht, die »Anschlussfähigkeit« petrinischer Aussagen an zeitgenössische Vorstellungen und Mentalitäten aufzuzeigen. Auslegungskontroversen werden nur selten argumentativ aufgenommen (z. B. 139 zur Taufe). Der Akzent liegt eher auf philosophisch motivischen Untersuchungen als auf philologischen Fragen. Insgesamt will P. herausstellen, dass der 1Petr um der missionarischen Verantwortung willen darauf beharrt, dass die Christinnen und Christen sich von ihrer nichtchristlichen Umwelt weder abkapseln noch sich ihr assimilieren, sondern im gemeinsamen Leben durch ihr Tatzeugnis Menschen gewinnen sollen (vgl. z. B. 248.297), auch und gerade dann, wenn damit Leiden verbunden ist (vgl. z. B. 275.282.390). Ermöglicht werde ihnen ein solches Verhalten aufgrund der Anerkennung durch Gott, wie sie grundlegend in der Taufe erfolgt (vgl. z. B. 138 f.271.455). Der Auslegungsteil ist insgesamt sehr lesenswert, auch wenn der Text eher harmonisierend interpretiert wird, philologische Probleme zuweilen übergangen werden und die Diktion P.s zuweilen übermäßig anschlussfähig wirkt (z. B. »Ethik der Exzellenz«, 221).
Im letzten Teil bindet P. seine systematisierende Zusammenschau an einzelne für das theologische Thema besonders relevante Verse zurück (z. B. Theologie: 1Petr 1,1; Eschatologie, 1Petr 1,7; Anthropologie: 1Petr 2,11) und zielt zugleich auf einen ausdrücklichen Bezug auf im ersten Hauptteil dargestellte Theoreme (z. B. 459). Zuweilen dominieren in diesem Teil dogmatische Überzeugungen die Textauslegung (z. B. trinitätstheologische Ansätze, 463).
In der Gesamtschau ist sich die Rezensentin nicht klar darüber, ob P. eine exegetische Arbeit, die die Auslegung des 1. Petrusbriefes voranbringen will, oder einen systematisch-theologischen Entwurf, der in vorbildlicher Weise am neutestamentlichen Text anknüpfend einen theologischen Beitrag zum interdisziplinären Anerkennungsdiskurs leisten will, vorgelegt hat. P. würde vermutlich für ein inklusives »oder« plädieren. Die Rezensentin zweifelt an der durchgängigen Solidität eines so weiten Brückenschlags, erkennt aber mit Respekt an, dass ebensolches versucht werden muss.