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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

641-642

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kim, Kyong-Shik

Titel/Untertitel:

God Will Judge Each One According to Works. Judgement According to Works and Psalm 62 in Early Judaism and the New Testament.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2010. XIV, 294 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 178. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-024776-3.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Diese überarbeitete Fassung einer in Aberdeen von Kyong-Shik Kim eingereichten Dissertation nimmt ihren Ausgangspunkt in der Beobachtung, dass die jüngere Forschung, vor allem die new perspective on Paul, die Bedeutung von Psalm 62,13 (LXX: 61,13) für die Vorstellung des Gerichts nach den Werken nicht angemessen bewertet hat (23). An der 1999 erschienenen Arbeit von Kent L. Yinger zum gleichen Thema (Paul, Judaism and Judgement According to Deeds, SNTSMS 105) kritisiert K., dass Ps 62,13 hier ausschließlich in einer Fußnote erwähnt sei (12). Im Blick auf Ed P. Sanders und andere Vertreter der new perspective wird betont, dass in frühjüdischer Literatur die Werke sehr wohl in Beziehung zur endzeitlichen Rechtfertigung stehen und nicht auf den Aspekt der ethischen Demonstration der Bundeszugehörigkeit reduziert werden dürfen (21). K. möchte die Verwendung von Ps 62,13 innerhalb der frühjüdischen und neutestamentlichen Literatur ausführlich aufarbeiten und darstellen, da dies bislang nicht geschehen sei. Es gehe bei diesem Unterfangen zugleich darum, die Stichhaltigkeit der Paulus-Interpretation der new perspective zu überprüfen (4 f.). Ihr gegenüber betont K. »that both Jews and Gentiles would be equally judged on the basis of their works which prove their faith in God who works through Christ« (266).
Im Bereich der auch von Yinger zugestandenen Anspielungen auf ein Gericht nach den Werken in frühjüdischer Literatur erkennt K. in folgenden, auch von Yinger untersuchten Texten und ihren Kontexten eine Verwendung von Ps 62,13: Sir 11,26; 16,12.14; 1Hen 95,5; 100,7; PsSal 2,16.34 und 17,8; LAB 3,10; weitere Anspielungen werden in Sir 32,24–26 und 11Q5 22,10 gefunden. Über das Gericht nach den Werken werde also nicht ohne einen Verweis auf einen alttestamentlichen Text gesprochen (so allerdings Yinger), sondern gerade in direkter Bezugnahme auf Ps 62,13. Überdies werde in diesen frühjüdischen Texten auch der literarische Kontext von Ps 62,13 herangezogen und dessen Vokabular zur Bezeichnung der Gerechten und der Frevler innerhalb der frühjüdischen Texte verwendet. Die wesentliche These des Buchs lautet also, dass das Thema des Gerichts nach den Werken aus Ps 62,13 herausgezogen worden sei.
In dem Appendix IV des Novum Testamentum Graece (27. Aufl.), der die Loci Citati vel Allegati aufführt, sind zu Ps 62,13 zwei Zitate im Neuen Testament verzeichnet (Mt 16,27; Röm 2,6) und zwei Anspielungen (2Tim 4,15; Offb 2,23). Dass 2Tim 4,15 im NTG ein Druckfehler ist und es 2Tim 4,14 heißen muss, erkennt der Rezensent erst durch K.s Arbeit. Über diesen Textbestand hinaus verweist K. auf weitere Anspielungen auf Ps 62,13 in 1Petr 1,17(–21); Offb 22, 12 und Offb 20,13. Die Begründung hat stark hypothetischen Cha­rakter. Im Blick auf 1Petr 1,17–21 wird etwa darauf verwiesen, dass 1Petr 1,17 durch κατὰ τὸ ἑκάστου ἔργον eine Anspielung auf Ps 62,13LXX (κατὰ τὰ ἔργα αὐτοῦ) und 1Petr 1,21 durch ἐλπίδα εἰς θεόν eine Anspielung auf Ps 62,9LXX (ἐλπίσατε ἐπ᾽αὐτόν) biete. Auch PsSal 2,32–37 beziehe sich auf Ps 62 in vergleichbarer Weise wie 1Petr. Da PsSal und 1Petr nicht in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, beziehe sich 1Petr auf eine frühjüdische Interpretation von Ps 62. Auch die behauptete Anspielung in Offb 22,12 bleibt fragwürdig, wenngleich diskutabel. Bei Offb 20,13 hingegen besteht im­merhin mit κατὰ τὰ ἔργα αὐτῶν ein weitgehender, wenn auch nicht exakter Wortzusammenhang, der die Bewertung ›Anspielung‹ verdient. Ob die Rückführung der frühjüdischen und neu­-testamentlichen Belege stets eindeutig auf Ps 62 vorzunehmen ist, möchte ich anfragen. Hans Hübner, Vetus Testamentum in Novo 2, 1997, hat zu Röm 2,6 auch auf Prov 24,12LXX hingewiesen (ὅς ἀποδίδωσιν ἑκάστῳ κατὰ τὰ ἔργα αὐτοῦ).
Die Auslegung von Röm 2,6 legt Wert auf den Hinweis, dass sich die Argumentation in Röm 2,1–11 auf Juden und Heiden bezieht (2,10 f.) und dass folglich nicht Juden und Heiden auf Gerechte und Frevler aufgeteilt werden können, was Ps 62 nahelegen möchte. Daher bestehen ohnehin keine jüdischen Vorzüge gegenüber dem Heiden im Endgericht. Paulus lehre in Röm 2 ein Gericht nach den Werken, welches sich entweder auf Glauben an Gott oder auf Rebellion gegen Gott bezieht (196).
Der Wert dieser Arbeit besteht darin, das Vorkommen von Ps 62,13 in Zitaten und Anspielungen in der frühjüdischen und neutestamentlichen Literatur aufgearbeitet und dargestellt und dabei das bisher bestimmende Spektrum der Rezeption um einige mögliche Texte erweitert und korrigiert zu haben. Die Methodologie seines Verfahrens behandelt K. einleitend ausführlich, ebenso werden die textlichen Grundlagen zu Ps 62(61) im Blick auf den hebräischen und griechischen Text klar dargestellt. Der Arbeit fehlt ein Abschnitt, der die detaillierten Ergebnisse zu den herangezogenen Stellen in die urchristliche Theologie einordnet. In gewisser Weise vermittelt K. den Eindruck, als sei das Thema Gericht nach den Werken für das Urchristentum überhaupt erst durch die Vorgabe von Ps 62,13 wichtig geworden.