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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

635-636

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brändl, Martin

Titel/Untertitel:

Der Agon bei Paulus. Herkunft und Profil paulinischer Agonmetaphorik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XIII, 523 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 222. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-149129-0.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Diese Monographie von Martin Brändl, eine überarbeitete Fassung einer Dissertation, die durch Peter Stuhlmacher betreut und 2005 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen angenommen wurde, stellt im Wesentlichen und ähnlich der Untersuchung von U. Poplutz (2004), mit der sich B. besonders auseinandersetzt (19–24), eine motivgeschichtliche Studie zu einem semantischen Feld der Paulusbriefe dar. B. bezeichnet diese Semantik, die sich in nahezu allen authentischen und pseudepigraphen Briefen des ›Paulus‹ findet und daher keineswegs randständig ist, sachgerecht als »Agonmetaphorik« – Anmerkungen zur Metaphern theorie finden sich allerdings nur am Rande (233–235).
Während Poplutz in ihrer Studie die paulinische Rezeption und Verwendung von Agon-Sprache von der Nähe zur kynisch-stoischen Diatribe hergeleitet hat, versucht B. – in bewusster Abgrenzung von dieser Herleitung (70–75) –, den jüdisch-hellenistischen Hintergrund des Metaphernfeldes zu beleuchten (z. B. 24–27.411) und dabei besonders auch die paulinische Prägung durch die Sprache und Gedankenwelt der LXX hervorzuheben (z. B. 414–417). B. rückt hierfür die Traditionen vom ›leidenden Gerechten‹ in den Vordergrund (76–136.419) und wertet sie so aus, dass der enge Zusammenhang zwischen paulinischer Biographie und Theologie deutlich wird (z. B. 421): »Paulus hat … nicht nur seine apostolische Existenz im Licht der alttestamentlich-jüdischen Tradition vom leidenden Gerechten gesehen, sondern hat zu ihrer Beschreibung auch die agonistischen Metaphern aufgegriffen, die sich im frühjüdischen Schrifttum mit Motiven der Tradition des leidenden Gerechten verbunden hatten.« (419) Gerade der so pointiert hervorgehobene Zusammenhang von Biographie und theologischer Sprach- und Argumentationsbildung stellt ein Gebiet der Paulusforschung dar, in dem weitere exegetische Arbeit und methodische Überlegungen nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll, wenn nicht notwendig sind.
Die Untersuchung enthält – nach einer forschungsgeschichtlichen Einführung (1–27) – drei Hauptteile: Im ersten wird diskutiert, ob und wie die paulinische Semantik durch die antike Agon-Metaphorik, sowohl in ihrer pagan-griechischen (32–75) als auch in ihrer hellenistisch-jüdischen (76–137) Färbung, beeinflusst ist. B. stellt Paulus hier – in Parallelität zu Philo – in erster Linie in die Vorstellungswelt des hellenistischen Judentums hinein. Im zweiten Hauptteil fragt B. nach der paulinischen Prägung durch die eigene Beobachtung von Spielen, wie sie einerseits im herodianisch-römischen Palästina (140–185) und andererseits in Isthmia (186–244) stattgefunden haben. B. kann zwar keine »direkten Spuren eines Einflusses kynischer bzw. stoischer Agon-Metaphorik bei Paulus feststellen« (74), meint aber, dass die paulinische Kenntnis der Agonistik auf eigener Anschauung der Isthmischen Spiele beruhe (vgl. z. B. 75.236–244) und dass hinter 1Kor 9,24–27 »Spuren des korinthischen bzw. isthmischen Lokalkolorits« (244) zu finden seien, während Paulus als pharisäischer Jude im palästinischen Kontext eher auf die Seite derer zu rechnen sei, die den Wettkämpfen und Spielen distanziert gegenüberstanden, da sie die »Assimilierung an die fremden hellenistischen Sitten« (184) abzuwehren suchten.
Im dritten Hauptteil schließlich untersucht B. die theologische Bedeutung der Agonmetaphorik, d. h. speziell die Konnotationen, die Paulus dieser Semantik verliehen hat, und zwar in Hinsicht auf vier verschiedene Motivbereiche: Es geht um die Metaphorik des ›Laufens‹ (246–288), die ›Siegeskranz-Metaphorik‹ (289–328), den Agon in seiner Bedeutung für den Evangeliendienst (329–383) sowie verschiedene Einzelmotive, wie sie aus dem Kontext von Gladiatorenkämpfen bekannt sind (z. B. »Schauspiel«, »Tierkampf«, 384–408). Die Untersuchung wird durch die schon erwähnte, äußerst in­struktive Fokussierung der Ergebnisse zur Motivgeschichte auf den Zusammenhang von Theologie und Biographie des Paulus abgeschlossen (409–422). Es folgen ein umfangreiches Literaturverzeichnis (423–455) sowie ein sorgfältig erstelltes Register nach Stellen, Autoren, Namen/Sachen und griechischen Begriffen (457–523).
Insgesamt gesehen leistet die Monographie einen wichtigen Beitrag nicht nur zur semantischen und motivgeschichtlichen Erschließung der Agonmetaphorik in den paulinischen Briefen, sondern auch zu der Frage, wie vor allem drei verschiedene Faktoren, nämlich erstens traditionsgeschichtliche Prägungen, zweitens das jeweilige Lokalkolorit und drittens die Biographie des Paulus, bei dem zusammengewirkt haben, was man als die Genese paulinischer Sprache und Argumentation bezeichnen könnte. Paulus ist – wie B. zutreffend bemerkt – weder unabhängig von der Traditions- und Motivgeschichte zu denken noch ausschließlich an diese zu binden. Vielmehr gestaltet Paulus – etwa im Unterschied zu Philo (vgl. z. B. 133–137) – gerade durch den Eintrag seiner Person und Biographie, die u. a. durch »Erfahrungen im Dienst der Verkündigung« (134) geprägt ist, bestimmte, aus der Tradition be­kannte Sprach- und Argumentationsfelder explizit und sichtbar neu und tritt uns so als selbständig denkender und schreibender Briefautor und Theologe entgegen. Diese eher weiterführende Einsicht in die Struktur paulinischen Denkens und Argumentierens wird so zwar nicht formuliert, folgt aber aus der vorliegenden Studie. Sie könnte zukünftig bei der immer noch drängenden Aufgabe, die Konstruktion paulinischer Semantik und Metaphorik zu analysieren und nachzuzeichnen, dazu anregen, in gleichem Maße die Bindung an die Tradition wie an die Biographie des Paulus ins Auge zu fassen. Und dabei erhielte die Frage, ob man Paulus näher an die kynisch-stoische Diatribe rücken oder zuerst und hauptsächlich im Kontext des hellenistischen Judentums verstehen will, noch einmal eine ganz neue Wendung.