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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

630-631

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kuckhoff, Antonius

Titel/Untertitel:

Psalm 6 und die Bitten im Psalter. Ein paradigmatisches Bitt- und Klagegebet im Horizont des Gesamtpsalters.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress (Bonn University Press) 2011. 293 S. m. Tab. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 160. Geb. EUR 43,90. ISBN 978-3-89971-776-1.

Rezensent:

Beat Weber

Bei der vorzustellenden Monographie handelt es sich um eine un­ter Frank-Lothar Hossfeld erstellte und von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn im Sommersemester 2009 angenommene Dissertation, die für den Druck leicht überarbeitet wurde. Den Vf. leitet ein doppeltes Anliegen: Zum einen wird Ps 6 als »paradigmatisches Bittgebet« untersucht, zum anderen wird den Bitten aus diesem Psalm im gesamten Psalmenbuch nachgegangen. Leserfreundlich wird dabei nach jedem Abschnitt in »Zu­sammenfassenden Thesen« der erarbeitete Ertrag festgehalten. Be­schlossen wird die Studie mit den üblichen Beigaben (Abkürzungen, Literaturverzeichnis, Bibelstellenregister, Angaben zum Vf.).
Nach der Einleitung (Horizont der Fragestellung, Forschungsgeschichte, Methode und Aufbau der Studie) widmet sich der erste Hauptteil der Detailerarbeitung von Ps 6. Minutiös und unter reicher Heranziehung relevanter Literatur wird diese in folgenden Arbeitsschritten vollzogen: 1. Text und Übersetzung (mit Textkritik); 2. Struktur; 3. Literarkritik; 4. Form- und Gattungskritik; 5. Einzelauslegung den Strukturbausteinen entlang. Der Vf. kommt dabei zu einer Hauptgliederung in zwei Stanzen (2–6.7–11), die er weiter in vier Strophen unterteilt: 3 f.: Bitt-Sequenz I; 5 f.: Bitt-Sequenz II; 7 f.: Klage-Sequenz; |9 f.: Anrede der Gegner. Den ersten und letzten Vers (2.11) beurteilt er als rahmend darum gelegt (Einleitung und Abschluss). Der Vf. erachtet Ps 6 als literarisch einheitlich, bedenkt dessen formularischen Charakter (keine literarische Abhängigkeiten), bestimmt ihn (mit gewissen Gattungsvorbehalten) als »Klagelied eines Einzelnen« und hält eine frühnachexilische Datierung für wahrscheinlich. Gemäß dem Vf. ist die angesprochene Notsituation »offen« für unterschiedliche Einlösungen (produktive Unschärfe, Multiperspektivität); entsprechend lasse er sich weder als Bußpsalm noch als Krankheitspsalm hinreichend charakterisieren. Für die Detailanalyse, die das Präskript mitbedenkt, muss auf die Studie selbst verwiesen werden.
Im zweiten Teil wird der Horizont auf das gesamte Psalmenbuch geweitet. Dabei werden die in Ps 6 erscheinenden Bitten in einer Vergleichsstudie mit entsprechenden Formulierungen in anderen Psalmen bedacht und für das Verständnis des Bittens im Allgemeinen und von Ps 6 im Besonderen ausgewertet. Darüber hinaus wird analog dazu auch die in V. 11 auftauchende »Beschämungsaussage« verglichen. Vorangestellt sind grundsätzliche und klassifizierende Überlegungen zu den »Bitten« in den Psalmen. Der Vf. fasst diese als »Untertyp des Aufforderns«, genauer als »asymmetrische Bitten« auf. Beim Vergleichen der Beschämungsaussagen kategorisiert er – je nachdem, ob die Präformativkonjugation jussivisch oder futurisch zu verstehen ist – zwischen Wunsch- und Vertrauensaussagen. Bei Ps 6,11 lässt er – nicht ganz stringent – einerseits offen, ob hier Wunsch (jussivisch) oder Vertrauen (futurisch) vorliegt, andererseits zeigen Übersetzung und andere Hinweise an, dass er die erste Lesart präferiert.
Die Dissertation verrät eine solide Arbeit, hat einen methodisch klaren Aufbau und ist gut lesbar. Für die künftige Beschäftigung mit Ps 6 bietet diese Monographie eine Vielzahl von Einsichten und eröffnet im Blick auf den in den Psalmen so wichtigen Aspekt des Bittens neues Terrain. Einige kritische Bemerkungen und weiterführenden Überlegungen sind angebracht:
1. Die vorgenommene Gliederung überzeugt – bis auf die strukturelle Separierung von Eingangs- und Schlussvers. Eine Rahmung liegt m. E. nicht vor; entsprechend ist formal wie inhaltlich V. 2 zu Strophe I (3 f.) und V. 11 zu Strophe IV (V. 9 f.) zu schlagen.
2. Die Beachtung der Kommunikationsebenen ist wichtig, allerdings bleiben die neben JHWH ebenfalls direkt adressierten »Übeltäter« (V. 9) unterbestimmt. Diese Anrede fügt sich nicht recht in das Gattungsschema »Klage- und Bittgebet« und lässt ab V. 9 (evtl. bereits ab V. 7) eine andere Kommunikationssituation erwägen (die sich mit V. 11 möglicherweise nochmals ändert). Damit bleibt die situative Bestimmung dieses Psalms (weiterhin) ungeklärt. Zu überlegen ist, ob vom zweiten Teil her allenfalls von der Abstattung eines Lobdanks (Toda) auszugehen ist, bei der die Klagebitte (erster Teil) rekapitulierend »eingespielt« wird (allerdings bleibt auch dann die Direktadressierung der Übeltäter erklärungsbedürftig).
3. Damit zusammenhängend wird die Differenzierung zwischen der Erörterung des Einzelpsalms und seiner Wiederverwendung bzw. Platzierung im Psalter nicht entschieden genug beachtet. Eine (mögliche) situative bzw. »kultische« (besser: liturgische) Verortung (Erstverwendung) des Einzelpsalms 6 wird nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Zug zu einer »geistlichen Auslegung« manifestiert sich in der Tendenz zur »Entkonkretisierung« (»Offenheit« ist ein Lieblingswort des Vf.s!), die sich in m. E. zu starken Abgrenzungen (kein Buß-, kein Krankheitspsalm, keine konkreten Feinde) niederschlägt.
4. Wenn der Vf. den zweiten Hauptteil in den »Kontext der kanonischen Psalterexegese« (165) stellt, so wäre auf dem Weg vom Einzelpsalm zu den Bittvergleichen in anderen Psalmen als Zwischenschritt die Erarbeitung der sich in der Psalmenabfolge entwickelnden »Bittstruktur« innerhalb des Gruppenkontextes von Ps 3–7 bzw. Ps 3–14 hilfreich gewesen. Insofern ist der zweite Hauptteil eher als Motivuntersuchung im Rahmen einer Psalmentheologie denn als Psaltertheologie (Buch/Kanon) einzustufen.
Trotz dieser einschränkenden Überlegungen ist diese Monographie eingehender Beachtung in der Psalmen- und Psalterforschung wert.