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Ausgabe: | Juni/2011 |
Spalte: | 628-630 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Körting, Corinna |
Titel/Untertitel: | Zion in den Psalmen. |
Verlag: | Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XI, 267 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 48. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-148880-1. |
Rezensent: | Manfred Oeming |
In ihrer Göttinger Habilitationsschrift aus dem Jahr 2005 überprüft Corinna Körting (seit 2006 Professorin für Old Testament Studies an der Norwegian School of Theology, Oslo) die bisherigen Theorien zur sog. »Zionstheologie«, indem sie ohne vorgegebenen theoretischen Rahmen das Vorkommen des Begriffes »Zion« in allen Psalmen frei untersucht und durch diese mustergültig unvoreingenommene Methodik zu einer weitgehend neuen Einschätzung seiner Bedeutung kommt.
In der bisherigen Forschung war »die« Zionstheologie als kon-sistentes theologisches Kernkonzept (mit kanaanäischer Vorgeschichte) auf der Basis weniger Psalmen rekonstruiert worden, besonders anhand von Ps 46, 48 und 76. So galten für Hermann Gunkel (1930) »die Zionspsalmen« als eine inhaltlich und formal relativ klare abgrenzbare Hymnen-Gruppe, so waren für Edzard Rohland (1956) die vier Motive »Zion als Gipfel des Zaphon, der Paradiesstrom, der Chaosansturm und der Sieg Gottes über die feindlichen Könige« zentral prägend (ähnlich Roberts 1976 und Ollenburger 1987), so wollte O. H. Steck (1972) die Zionstheologie gar als »ein geschlossenes System« (5) erweisen. Zenger (1997 u. ö.) und Otto (1989) versuchten, darüber hinausgehend eine vorexilische und nachexilische Geschichte des Zionssystems zu unterscheiden. All diesen Systemtheorien gegenüber geht K. überzeugend einen viel differenzierteren Weg. Sie betrachtet die Texte je für sich und gibt jedem Vorkommen von »Zion« in den Psalmen ein eigenes Profil, wodurch sich das Gesamtbild sehr viel stärker pluralisiert. Dabei bewirkt die Redaktionsgeschichte des Psalters eine nochmalige Ausdifferenzierung der möglichen Zion-Vorstellungen. Die Studie hat vier Hauptteile:
A) Zion und Jerusalem (11–86) weist anhand der Auslegung von Ps 87; 122; 102; 51; 69; 125; 128 und 137 nach, dass die beiden Ortsbezeichnungen nicht einfach identifiziert werden dürfen. Es zeigen sich unterschiedliche, bisweilen gegensätzliche Vorstellungskombinationen von einem nationalen oder aber universalen, von einem unzerstörbaren oder aber in Ruinen liegenden Ort. Zudem wird die gesamte Stadttheologie symbolisch mit einer individuellen persönlichen Frömmigkeit identifiziert. Der Beter kann selbst wie der Zion werden und dadurch die Begrenztheit seines Lebens zeitlich und räumlich sprengen.
B) Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion (87–162) weist anhand von Ps 84, 65, 132, 14/53, der Wallfahrtspsalmen 120–134 sowie Ps 68 und 133 wiederum auf, wie unterschiedlich Gott, Heiligtum und Zion räumlich in Beziehung gesetzt werden, besonders durch die Kombination mit den Präpositionen be, min, scham, poh, die mit dem Zion verbunden werden. In permanenter Osmose von Tatsächlichem und Symbolischem wird eine faszinierende Vielfalt erkennbar: »Gott ist gegenwärtig auf dem Zion, hat seinen Wohnsitz in Zion und entsendet seinen Segen von dort. Es ist eine Zeit und Raum umspannende Dynamik, die Gottes Handeln am Menschen und an der Schöpfung genauso erfaßt, wie die Antwort des Menschen darauf.« (87)
C) Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen Utopie (163–219) untersucht Ps 46; 48; 99; 2 und 110 mit dem Resultat, dass sich »Zion auf einer horizontalen, vertikalen und temporalen Achse positionieren« lässt »und die sich daraus ergebenden Perspektiven zusammenführt«: »Auf der horizontalen Achse vermittelt Zion zwischen dem weltumspannenden Königtum Gottes und der Zuwendung Jhwhs zu Israel. Der Zion, Mittelpunkt der Welt und Thronsitz dessen, der über die Völker herrscht, liegt inmitten Israels, wo der Gott Israels Wohnung genommen hat. Die Völker kommen dabei auf unterschiedliche Weise in den Blick. Sie gehören als Chaosmacht an die Ränder oder sind als Erkennende des einen Gottes eingeladen, sich dem Zentrum Zion im Gotteslob zu nähern. … Auf der vertikalen Achse ist Zion Wohnung Gottes, des Großkönigs, sein Tempel und heiliger Berg. Der im Himmel Thronende (Ps 2,4) und der in seiner Stadt Wohnende (Ps 48,4; 46,6) hat Zion zum Ort seiner göttlichen Gegenwart gemacht, wo Himmel und Erde sich berühren. Auf der vertikalen Achse wird auch das Königtum des von Gott eingesetzten Herrschers angeordnet. Er ist irdischer Herrscher und dennoch ausgestattet mit allen Vollmachten Gottes. Von Zion aus, Gottes heiligem Berg, wird sich das Königtum des Sohnes auf horizontaler Ebene erstrecken. … In diesem Zusammenhang gewinnt auch die durch Zion vermittelte temporale Achse Relevanz. Auf dieser sind gleich mehrere Punkte zu fixieren, die für die Art des Königtums aussagekräftig sind. Zion und die Herrschaft Melchisedeks (Ps 110,4) weisen auf die Wurzeln des Königtums in vorstaatlicher Zeit, unbelastet von der Geschichte Israels. Der mythische Ursprung des Zions als hoher Berg des Nordens und seine Unerschütterlichkeit vermittelt dem hier verankerten Königtum den von Gott zugesagten Bestand.« (217 f.)
D) Der Abschnitt »Ausblick« (221–230) bietet eine Art Zusammenfassung und lässt die große Vielzahl von Bildern, Stimmungen, kultischen, politischen und eschatologischen Vorstellungen knapp Revue passieren. Zion erweist sich somit als »Magnet theologischer Konzeptionen« (225). Aber »Zion ist kein systematisierbares Vorstellungssyndrom, sondern oszillierendes Zentrum fortschreitender Theologiebildung mit eigens zu nennenden Konstanten und Variablen« (227). Auch wenn die Zion-Vorstellungen sehr alte Ursprünge haben, kulturprägend aufgegriffen und ausgebaut wurden diese Elemente erst ab der Perserzeit, weil erst ab dieser Epoche ein ausgebautes Wallfahrtswesen nach Jerusalem, eine faktische religiös-ideologische Konzentration auf Juda/Jerusalem und ein Weltreichkonzept der Achämeniden vorlag. Allerdings: »Es gibt keinen Grund, hinter den Erwähnungen Zions eine steuernde Hand zu vermuten, die eine dezidierte Ausrichtung auf Zion oder auf eine einzige mit dem Zion verbundene Aussage erreichen will.« (227) Literaturverzeichnis, Stellen- und Sachregister (231–267) erschließen die wichtige Studie.
Allerdings bleibt bei aller Zustimmung die Frage offen, ob und wie weit man angesichts der so unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Ideen überhaupt noch von einer Zionstheologie sprechen und diese im Sinne der Texte so ungebrochen positiv werten darf oder soll. Bietet ein so polyphones Konglomerat, wie K. es völlig zu Recht eindrücklich aufgezeigt hat, Israel und der Welt wirklich Orientierung und Heimat? Kann man durch Verankerung des einen Heiligtums in mythischer Vorzeit tatsächlich plausibilisieren, dass exklusiv der Zion und sein Heiligtum, Königtum und Kultpersonal in Ewigkeit besteht? Sind hier nicht deutlich allzu menschliche Klassen- und Standesinteressen erkennbar? Mancher kritischer Gedanke gegenüber der nahezu propagandistischen Ausnutzung eines ideologisch überhöhten Zionismus könnte sich hier leicht anschließen, wie es die alttestamentlichen Propheten selbst schon vorgetragen haben (z. B. Mi 3; Jer 7). In den Psalmen selbst zeigen sich zumindest in nuce Spuren dieser heftigen Debatte. So wird etwa in Ps 87 die völkische Exklusivität Jerusalems explizit bestritten, wie K. selbst zutreffend feststellt (vgl. 178 f.). Theologisches Streiten und Ringen haben das Profil des Alten Testaments tiefgehend geprägt, auch den Diskurs um den Zion in den Psalmen, was in weiteren Studien noch entfaltet werden könnte, wofür K. in verdienstvoller Weise die Grundlage geschaffen hat.