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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

153–156

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kähler, Christoph

Titel/Untertitel:

Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie. Versuch eines integrativen Zugangs zum kommunikativen Aspekt von Gleichnissen Jesu.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. IX, 269 S. gr.8o = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 78. Lw. DM 168,­. ISBN 3-16-146233-5.

Rezensent:

Wolfgang Harnisch

Die als Jenenser Habilitationsschrift publizierte Untersuchung bemüht sich um eine kommunikationswissenschaftlich begründete Gleichnishermeneutik. Dabei ist das Interesse leitend, die Gleichnisse Jesu als Instrumente einer dialogischen Interaktion zu begreifen. Was Jesus in der Form der Gleichnisrede, und d. h. im Medium einer poetisch geprägten Sprache, zu Gehör bringt, besitzt persuasiven Charakter und sucht bestimmte Adressaten in einer historisch determinierten Situation zu beeinflussen.

Kap. I (1-80) vermittelt eine Grundorientierung über den dezidiert pragmatischen Interpretationsansatz(1). Forschungsgeschichtlich kann der Vf. am ehesten an den Entwurf von E. Arens(2) anknüpfen, sofern Jesu Gleichnisse dort gerade als Momente eines Kommunikationsvorgangs gewürdigt werden. Doch erscheint es im Blick auf die zu vermutende Redesituation Jesu als zweifelhaft, ob die Gleichnisse ausschließlich in Streitsituationen zu verankern und auf Einwände einer universalen Opposition zu beziehen sind. Für irreführend hält er auch das von Arens vorausgesetzte Modell eines "herrschaftsfreien Diskurses" (J. Habermas), an dem "jeder kompetente Sprecher teilnehmen und durch zutreffende Argumente in den Gang der Verhandlung eingreifen kann" (15). So sieht sich der Vf. zur Ausarbeitung eines eigenständigen hermeneutischen Programms veranlaßt, das zwar den Problemhorizont der Erstadressaten zum Schibboleth für die Bestimmung der Gleichnisbotschaft erhebt, zugleich aber der Asymmetrie in der kommunikativen Beziehung von Sprecher und Hörer Rechnung trägt. Dem Interesse dieses Sachanliegens dienen Überlegungen zur pragmatischen Eigenart metaphorischer Rede, die offensichtlich als das sprachliche Basisphänomen fast aller Subgattungen von Gleichnisrede gelten soll. Im Anschluß an H. Weinrich definiert der Vf. die Metapher als ’Wort’ oder ’Text’ in einem ’konterdeterminierenden’ Zusammenhang (,Kontext’ bzw. ’Situation’), somit als einen ’Regelverstoߒ gegen den üblichen Sprachgebrauch (G. Kurz), der freilich allererst dann zutage tritt, sobald er vom Adressaten der Äußerung als solcher entdeckt und im Sinne eines Impulses für die Arbeit der Interpretation wahrgenommen wird. Insofern ist metaphorische Rede immer in die Sprecher-Hörer-Relation eingebunden, und ihre kommunikative Leistung kommt darin zum Zuge, daß sie alle drei (nach K. Bühler in Betracht kommenden) "grundlegenden Dimensionen von Sprache" (35), nämlich die ’Darstellungs-’, ’Kundgabe-’ und ’Appellfunktion’ (vgl. 19 ff), in sich vereint und zum Tragen bringt. Ausgehend von der Einsicht, daß es sich bei den Gleichnissen Jesu um ein "eindrücklich einseitiges Reden" (16) handelt, favorisiert der Vf. den therapeutischen Sprachprozeß als ein diesem Fall von Interaktion angemessenes Kommunikationsmodell, legt es doch die Rolle beider Dialoganten im Sinne der synoptischen Tradition auf die von Arzt und Klient fest (vgl. das freilich als Bildwort in einem Streitgespräch fungierende Logion Mk 2,17 Parr.)(3). Der Verweis auf die fundamentale Funktion metaphorischer Sprache in der modernen Psychotherapie und Psychoanalyse soll die Plausibilität einer derartigen Annahme demonstrieren.

Das zweite Kap. (81-210) bietet die exegetische Probe aufs hermeneutische Exempel. Ausgelegt werden acht Texte, wobei alle von A. Jülicher postulierten Textsorten Berücksichtigung finden, nämlich Gleichnisse im engeren Sinn (Mk 4,30-32 in Verbindung mit Lk 13,20f; Lk 11,5-8; 15,8-10), Parabeln (Lk 14,15-24 par. Mt 22,1-14; Lk 16,1-13; 18,1-8; Mt 25,14-30 par. Lk 19,12-27) und eine Beispielgeschichte (Lk 18,9-14). Wie der Vf. unverhohlen bekennt, verdankt sich die Auswahl der behandelten Paradigmen "der Zufälligkeit kleinerer und größerer Entdeckungen an einzelnen Gleichnissen" (V). Abgesehen vom Sonderfall der Beispielgeschichte folgen alle Interpretationen einem (in der Einführung [69-75] begründeten) gleichbleibenden Schema mit vier Arbeitsschritten: analytische Grundlegung sowie Überlegungen zur Bildspender-, zur Bildempfängerseite und zur Überlieferungsgeschichte des Textes. Ein knapp gefaßtes Resümee (Kap. III [211-221]) und ein homiletisches Nachwort (Kap. IV [222-231]) runden das Ganze ab.

Im exegetischen Detail enthält die Arbeit eine Vielzahl aufschlußreicher Beobachtungen und weiterführender Gesichtspunkte. Besonders einleuchtend ist, was der Vf. zu den thematisierten Zusammenhängen in traditions- und redaktionskritischer Hinsicht geltend macht. Man wird ihm auch konzedieren müssen, daß die konsequent historische Orientierung am soziokulturellen und religiösen Hintergrund der damaligen Gleichnishörer (vgl. 10.11 [und ebd. Anm. 75]. 13.17.43.58.70.76.190) im Einzelfall durchaus ein unerläßliches hermeneutisches Korrektiv darstellt, das eine kurzschlüssige Applikation des Gesagten verhindert und den Blick auf bislang übersehene exegetische Perspektiven öffnet (vgl. z.B. die Erwägungen zur Ganzheit in bezug auf Lk 15,8ff, zur Relevanz der Beiträge in Lk 16,1ff oder zum assoziativen Urteil über den Status der Figuren in Lk 18,9ff). Doch könnte sich der Rekurs auf erzählungsextern erhobene Daten ebensogut auch als ein Bumerang erweisen, sofern nämlich die Wahrnehmung der dargestellten oder erzählten Welt auf diese Weise normativ kanalisiert und verhängnisvoll eingegrenzt wird. So ist es m.E. keineswegs ausgemacht, ob das Stück von den anvertrauten Geldern (Mt 25,14 ff) tatsächlich auf der Folie eines allgemeingültigen Zinsverbots zu lesen ist oder nicht vielmehr als ein Fall zwar normwidriger, aber gängiger Praxis wahrgenommen sein will. Auch wenn sich der Vf. vom Vorbehalt hermeneutischer Kritik, nach welcher der "Begriff der zeitgenössischen Adresse... selber nur eine beschränkte kritische Geltung beanspruchen" kann und allenfalls "einen sehr rohen historisch-hermeneutischen Kanon" abgibt(4), völlig unbeeindruckt zeigt, muß er sich fragen lassen, ob seine (übrigens im Widerspruch zur programmatischen Vorgabe reichlich vage bleibenden) Angaben zu den Konnotationen der Ersthörer nicht gerade einer Rationalisierung der Gleichnisbotschaft Vorschub leisten. Daß Jesu Gleichnisse ausnahmslos als Fälle einer zweckgerichteten Gebrauchsrede zu identifizieren sind (vgl. 10), die nur in Relation zu einer erzählungsexternen Problemlage ihre sprachliche Kraft zu entfalten vermag, ist aus meiner Sicht eine ganz überzogene Prämisse. Und es bedeutet de facto einen Rückschritt hinter die durch A. Jülichers Werk markierte forschungsgeschichtliche Zäsur, wenn der Vf. nicht nur Metapher, Bildwort, Gleichnis und Parabel, sondern auch die Allegorie (vgl. die Überschrift zu 2.5 [41]) unter den Einheitstitel ’metaphorischer Rede’ subsumiert und hinsichtlich der Sprachfunktion zwischen den genannten Formen allenfalls graduell, nicht aber kategorial begründete Differenzen einräumt (vgl. 41ff).

Hier ist nicht nur verkannt, daß der Vergleich völlig andere ’Sinnerwartungen’ provoziert als die Metapher(5), sondern auch, daß der metaphorische Charakter der Allegorie prinzipiell anderer Art ist als derjenige der Parabel(6). Der Vf. ist offensichtlich der Überzeugung, sich derartigen Einwänden unter Berufung auf G. Kurz mit Verweis auf ’Metaphernsignale’ wie ’als ob’, ’als’ und ’wie’ entziehen zu können (vgl. 23 Anm. 144. 27(7)). Doch dabei handelt es sich um ein im Gefolge romantischer Dichtung auftretendes (und z.B. von Gottfried Benn als ’veraltet’ denunziertes) peripheres Phänomen(8), das keineswegs in den für den Gleichnisstoff typischen griechischen Wendungen hoz, hósper, homoios bzw.homoioyn wiederentdeckt und dann als Argument für eine Nivellierung der o. g. Sprachformen ins Feld geführt werden kann.

In diesem Zusammenhang bleibt auch zu fragen, ob die mißverständliche Unterscheidung zwischen ’Bildspender-’ und ’Bildempfängerseite’, die allenfalls zur Beschreibung der Spannung in einer metaphorischen Äußerung tauglich scheint (H. Weinrich), nicht in Wahrheit auf die belastete und jedenfalls für die Interpretation der Parabel inadäquate Differenzierung A. Jülichers zwischen Bild- und Sachhälfte hinausläuft. Am Rande sei schließlich notiert, daß die wiederholt verwendeten Termini ’implizierter Sprecher’ und ’implizierter Hörer’ (vgl. 55.76.126.215) nicht an deren literaturwissenschaftliche Definition im Sinne literarischer Instanzen(9) rückgekoppelt sind.

Fussnoten:

(1) Vgl. den Vorabdruck einer Skizze des Arbeitsvorhabens in H. Franke u.a. (Hgg.), Veritas et communicatio (FS U. Kühn), Göttingen 1992, 19-39.
(2) Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie, Düsseldorf 1982.
(3) Merkwürdig berührt, daß diese These im exegetischen Teil der Untersuchung kaum Erwähnung findet, geschweige denn verifiziert wird.
(4) H.-G. Gadamer, Hermeneutik I. Wahrheit und Methode, Tübingen 61990, 399.
(5) Vgl. G. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 31993, 20.
(6) Vgl. W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu (UTB 1343), Göttingen 21990, 149 f.154 f.
(7) Die bibliographischen Angaben im Anmerkungsapparat sind an dieser Stelle teilweise irreführend. Der Vf. bezieht sich 23 Anm. 144 und 27 Anm. 172.173 auf G. Kurz, Metapher (s. o. Anm. 5); gemeint ist aber der lt. Literaturverzeichnis unter dem Kurztitel ’Theorie’ zitierte Beitrag von G. Kurz über ’Metapher. Theorie und Unterricht’ (derselbe Fehler findet sich 31 Anm. 196 und 34 Anm. 217 [wo G. Kurz im übrigen fälschlicherweise ein Zitat von Jean Paul unterschoben wird]). Wie eine Reihe weiterer zufällig entdeckter Zitationsmängel zeigen, wurde die Untersuchung vor der Drucklegung leider nur flüchtig redigiert.
(8) Vgl. G. Kurz, Metapher. Theorie und Unterricht, Düsseldorf 1976, 55 und ebd. Anm. 19. Im übrigen versteht sich auch für Kurz die "semantische Inkongruenz" als primäres ’Metaphernsignal’ (vgl. ebd., 54 f).
(9) Vgl. nur P. Ricoeur, Zeit und Erzählung, Bd. III, München / Paderborn 1991, 253 ff.