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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

611-612

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Adelman, Rachel

Titel/Untertitel:

The Return of the Repressed. Pirqe de-Rabbi Eliezer and the Pseudepigrapha.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2009. IX, 352 S. gr.8° = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 140. Lw. EUR 121,00. ISBN 978-90-04-17049-0.

Rezensent:

Dagmar Börner-Klein

Das zu besprechende Werk, das 2008 an der Hebräischen Universität in Jerusalem als Dissertation unter dem Titel »The Poetics of Time and Space in the Midrashic Narrative: The Case of Pirkei deRabbi Eliezer« angenommen, für die Veröffentlichung umgearbeitet und neu tituliert wurde, besteht aus vier Teilen: 1: Einleitung zu Pirqe de-Rabbi Eliezer (PRE), Genre, Autor, Herkunft und Datierung; 2: Die Personifikation des Bösen; 3: Mythos (»myth«, definiert auf S. 5: »By myth I mean sacred narratives of origin, which entail a return to the Beginning of Time«) und Praxis in PRE; 4: Eine literarische Analyse von PRE Kapitel 10. Es folgen eine Schlussfolgerung von sechs Seiten sowie neun Anhänge (265–302): A: Die Beziehung zwischen PRE und Liturgie (tabellarisch); B: Eine diplomatische Edition von PRE 1–2, die Biographie von Eliezer ben Hyrcanus; C: Eine diplomatische Edition von PRE 30, die Vertreibung von Ismael und Hagar; D: Eine diplomatische Version von Kapitel 13, Adam, Eva und Samael im Garten Eden; E: Eine diplomatische Version von Kapitel 22, der Fall der Engel; F: Eine diplomatische Version von PRE 20, die Verbannung aus Eden und die erste Havdalah; G: Eine diplomatische Version eines Teils (»selection«) aus PRE 29, der Bund der Beschneidung; H: Eine diplomatische Version eines Teiles aus PRE 47, der Eifer des Pinchas; I: Eine diplomatische Version von PRE 10, Jonas Reise in der Unterwelt.
Da erst auf der zweiten Gliederungsebene der Bezug zum Titel ansatzweise erkennbar wird, ist es sinnvoll, der Untergliederung der Arbeit genügend Raum zu geben:
Teil 1 gliedert sich in drei Kapitel: 1) Genre: PRE als narrativer Midrasch; 2) Die Autorschaft (»authority«) von PRE: Geschlossenheit (»integrity«) der Komposition; 3) PRE als Pseudepigraphie.
Teil 2 ist ebenfalls in drei Kapitel untergliedert: 1) Das Problem des Ursprungs des Bösen, mit den Unterpunkten Personifikation des Bösen in PRE, Rolle des Satans in der Bibel, die verlorene Legende (»lost legend«) über die gefallenen Engel in der Bibel. 2) Adam, Eva und die Schlange – die erste Version des Falls (PRE 13): Adam – Neid der Engel, Samael als Oberhaupt der Ordnung der Engel, Samael als Schädiger der uranfänglichen Schlange (»Parasitic on the Primordial Serpent«), Parabel von der Verführung Evas, Gespräch zwischen Eva und Schlange (»The Perverted Message«), Evas Eifersucht und der Niedergang Adams, wurde Eva wirklich verführt? Empfängnis Kains, hier mit dem Untertitel »Miscegention«. (Das Wort »miscegention« ist unglücklich gewählt, da es hier nur eine Vermischung von unterschiedlichen Wesen – himmlisch und irdisch – bezeichnen [s. dazu 136] und nicht auf herkömmliche Weise benutzt werden soll.) Das Kapitel schließt mit einem Ab­schnitt über gnostische Parallelen. Kapitel 3 ist dem Mythos von den gefallenen Engeln gewidmet. Als Unterpunkte werden behandelt: Rätselhaftes (»enigmas«) in der biblischen Quelle Gen 6,1–4; narrative Erweiterung bezüglich des Ursprungs der Flut, wer sind die bne elohim? Die Verdrängung eines Mythos in Genesis Rabbah und die »Wiederkehr des Verdrängten« (s. Titel der Arbeit) in PRE. Nun folgen – nicht ganz unerwartet – Vergleiche mit dem äthiopischen Henoch und dem Jubiläenbuch, allerdings unter der dann doch unerwarteten Fragestellung, wer verführte wen? Der nächste Unterpunkt: Samael/Azazel und das Sündenbock-Opfer am Sühnetag; dann: Die Beziehung zwischen PRE und den Pseudepigraphen (132–135) und die Schlussfolgerung: Das »Recycling« Samaels im Midrasch-Narrativ.
Teil 3, Mythos und Praxis in PRE, enthält vier Kapitel, die sich mit Ätiologien (Herkunftslegenden) beschäftigen. Nach einer Einführung dazu ist ein Kapitel dem jüdischen Mythos von Prometheus und der ersten Havdalah (Trennung der Werktage vom heiligen Tag des Schabbat) gewidmet, ein Unterpunkt geht auf Idiosynkrasien in Hilkhot Havdalah ein, und die Sinneinheit schließt mit einem Vergleich zwischen dem griechischen Mythos und dem Midrasch. Das nächste Kapitel lautet Rosch Chodesch (der erste Tag eines Monats) als Feiertag ( holiday) der Frauen, über den Ursprung eines Brauchs. Das letzte Kapitel zu Mythos und Praxis gilt Elia und dem Be­schneidungsbund und beschäftigt sich mit Elia als Grenzfigur (»liminal figure«): Vom Eiferer zum Hüter des Bundes, PRE 29, Elia als Pinchas, PRE 47 und die außerbiblischen Quellen, eine Kontroverse über Elias Genealogie und schließlich Elia Revividus – Vorbote der messianischen Zeit, PRE 43.
Teil 4 schließlich widmet sich der Jona-Geschichte, PRE 10.
Von den 54 Kapiteln von PRE sind also im Wesentlichen nur sieben Kapitel (PRE 10.13.20.22.29.43.47) zur Untersuchung über PRE und die Pseudepigraphen herangezogen worden. Damit stellt sich die Frage, wie repräsentativ überhaupt die hier dargelegten Ergebnisse für PRE insgesamt sein können.
Auch bei der zu Beginn vorgenommenen Einordnung von PRE als »narrativer Midrasch« ergeben sich verschiedene Fragen. Für den ers­ten Teil von PRE hat Ute Bohmeier in ihrer Dissertation »Exegetische Methodik in PRE, Kapitel 1–24« von 2007, veröffentlicht Frankfurt a. M. 2008, nachgewiesen, dass PRE ein Verfahren anwendet, das sich darauf konzentriert, Inkongruenzen der hebräischen Bibel aufzulösen, indem es die sprachlich korrekte Form im Umfeld eines Bibelzitats benutzt. Bohmeier klassifiziert PRE nach einer lückenlosen Analyse sämtlicher Bibelstellen von PRE 1–24 als einen »philologischen Midrasch« (15). PRE nach dieser Analyse als »narrativ« zu klassifizieren ist solange unhaltbar, wie nicht eine lückenlose Untersuchung aller übrigen Bibelverse ab PRE Kapitel 25 das Gegenteil beweist. Vor diesem Hintergrund ist die Behandlung der Frage, inwieweit in PRE antike Mythen verarbeitet wurden (dazu insbesondere S. 20–21 und S. 50 mit Verweis auf Boyarin) allenfalls von sekundärer Relevanz für das Verständnis des Werkcharakters von PRE.
Bezüglich der rabbinischen Autoritäten, die in PRE zitiert werden, sagt A.: »I suggest, then, that PRE does not present a new form of hermeneutics but rather refurbishes an older genre, the so-called »Re­-written Bible« as Narrative Midrash, and then camouflages it as a tannaitic composition in order to muster authority.« (26) Vor dem Hintergrund, dass bei zahlreichen Textstücken aus PRE Parallelüberlieferungen in der rabbinischen Literatur nachweisbar sind, müsste zu dieser These geprüft werden, inwieweit die Passagen, in denen rabbinische Autoritäten zitiert werden, aus der rabbinischen Literatur übernommen wurden. Wäre dies nämlich der Fall, ginge es nicht primär um eine Frage der Autorität, sondern um die Frage der Kon­-tinuität von Traditionen angesichts der Darbietung einer neuen, »philologisch« orientierten Auslegung, die auf Unstimmigkeiten im Bibeltext aufmerksam machen muss. Dieses »philologische« ist ja ein Verfahren, das in den falschen Händen zu Missbrauch führen könnte und daher besonderer autoritativer Absicherung bedarf. Die wiederum wäre nicht durch bloße Pseudepigraphie zu erzielen, sondern nur durch echte Zitate rabbinischer Autoritäten.
Insgesamt bringt die Studie von A. eine Fülle von Einzelinterpretationen zu PRE, die alle zeigen, wie klug und sicher der anonyme Autor von PRE bei seiner Konzeption des Werkes vorgegangen ist. Insofern bietet auch diese Lektüre eine Hinführung zum Original und eine perspektivische Schau auf den grandiosen Facettenreichtum dieser Schrift.