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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

152 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frey, Jörg

Titel/Untertitel:

Eugen Drewermann und die biblische Exegese. Eine methodisch-kritische Analyse.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. VIII, 281 S. gr. 8o Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 71, Kart. DM 54,­. ISBN 3-16-146304-8.

Rezensent:

Martin Leiner

J. Freys Buch ist aus einer wissenschaftlichen Hausarbeit zum 2. theologischen Examen entstanden. Es enthält dementsprechend keine eigenständige exegetische Forschung. Dafür hat es eine andere Stärke: "Eugen Drewermann und die biblische Exegese" ist die bislang vollständigste und übersichtlichste Zusammenstellung der exegetischen Kritik an Drewermann (38-86.113-241). Überdies bietet das Buch eine Übersicht über Drewermanns Werdegang (9-37) und eine Analyse seines Sprachstils (87-112). Im Schlußwort gibt F. Anregungen für die weitere exegetische Arbeit (241-254).

In ca. 90% des Textes lehnt sich der Autor an andere Kritiker Drewermanns an, deshalb zunächst die "Frage der Athener" (nach Apg 17,20f): Was sagt F. Neues?

Wie der Untertitel anzeigt, geht F. davon aus, daß die Auseinandersetzung mit Drewermann (D.) auf methodischer Ebene geführt werden muß. Dabei stellt er eingehend dar, wie D.s psychologisch-theologisches Anliegen seine methodischen Entscheidungen bestimmt (189f). Bereits durch seine Methodologie drängt D. die Hauptinteressen historisch-kritischer Schriftauslegung zugunsten der ewiggültigen Archetypen an den Rand und erklärt sie im Grunde für "gleichgültig" (183). Zwischen seiner tiefenpsychologischen Exegese und der historisch-kritischen Forschung besteht deshalb ­ trotz D.s Behauptung einer dialektischen Ergänzung ­ ein "fundamentaler Gegensatz" (172). "Angesichts dieser Tatsache ist es wohl kaum möglich, Drewermanns exegetischen Ansatz... selektiv und abgemildert zu rezipieren, um ihn etwa einem konventionellen historisch-kritischen Methodengefüge, anzuhängen" (175).

F. zeigt weiter, daß D. in der Einzelexegese seine Methoden nicht immer konsequent anwendet (191). Insbesondere nimmt er aus der historisch-kritischen Forschung nur das auf, was seiner archetypischen Religionstheorie entspricht (183). Eine sachgemäße Anknüpfung an die historische Forschung liegt bei D.s eklektischer und zum Teil verfälschender (134; 184-186) Wiedergabe eines zudem meist überholten exegetischen Forschungsstandes nicht vor (172-184).

Darüberhinaus fügt F. noch zwei Punkte zu der ohnehin bereits sehr langen "Mängelliste" hinzu: D.s Bibelübersetzung sei "schlampig, voller Fehler und stilistisch ganz unangemessen" (159), und sein Sprachstil sei vor allem durch die vielen Wiederholungen und den Klang der Wörter beschwörend und erzeuge einen "suggestiven Sog" (94-97).

Jetzt zur "Frage des Pilatus" (Jo 18,38): Wie steht es mit der Wahrheit oder zumindest der Richtigkeit des von F. Gesagten?

F.s eigene Kritik an D.s Methoden ist überzeugend. Die exegetische, theologische und psychologische Kritik, die das Buch referiert, trifft ohnehin bekanntermaßen weitestgehend zu. Seine Vorgehensweise, jeweils den schärfsten Kritikern D.s zu folgen, führt ihn an einigen Stellen aber zu Interpretationen, die zwar durch D.s Umgang mit der historisch-kritischen Exegese verständlich sind, ihm aber dennoch nicht gerecht werden. So ist es beispielsweise unzutreffend, daß für D. die Rückkehr zur Welt der Mythen und Symbole der "therapeutische... Universalschlüssel" (18) sei. Wichtiger war D. erklärtermaßen immer die heilende Erfahrung der Annahme und Liebe in einer menschlichen Begegnung (vgl. das nachfolgende D.-Zitat). F. geht auch zu weit, wenn er behauptet, es sei "in keiner WeiseŠ historisch begründet" (198), daß D. Jesus als eine Person darstellt, "von der... eine solche Güte und Wärme ausging, daß all die Bilder des Heils... durch seine Nähe auf den Plan gerufen wurden" (D., TE II 768, zit. F. 200). Zumindest zeigt dieses Zitat, daß die Begegnung von menschlicher und göttlicher Güte, wie sie in Jesus unüberbietbar geschehen ist, für D. der hermeneutische Schlüssel zu den Archetypen ist und nicht umgekehrt. D.s Theologie ist deshalb als Ausdruck einer jesuanischen Frömmigkeit mit stark mystischer Orientierung und vielen problematischen Aussagen zur Geschichte, zu Kreuz und Auferstehung, zur Kirche, zum Judentum usw. zu beschreiben. Bei aller berechtigten theologischen Kritik an D. bleibt es zweifelhaft, ob F.s abschließendes Urteil ("Für das Evangelium ist in Drewermanns Denken kein Raum" 208) in dieser Apodiktizität zutrifft.

Dies führt zu der "paulinischen Frage" (nach 1Kor 10,23): Was trägt das Buch zum wissenschaftlichen Fortschritt bei? Das Buch bildet wahrscheinlich ­ und der Rez. möchte sagen: hoffentlich ­ den Abschluß der bis in den Sprachstil hinein polemischen Auseinandersetzung mit D. Es resümiert die Kritik und stellt alle Argumente noch einmal übersichtlich zusammen.

Anregungen für die Exegese gehen nach F. von D. nicht aus (85). Darin wird man ihm nicht folgen müssen. Immerhin unterstreicht der "Fall D." nach F. die Notwendigkeit psychologischer und vor allem rezeptionsästhetischer Bibelauslegung (243). Er zeigt so in dieselbe Richtung wie vor ihm H.Raguse und Th. Vogt: Eine rezeptionsästhetische Auslegung macht die Interaktion zwischen dem Text und seinen vielfältigen Leserinnen und Lesern deutlich und kann deshalb eine Brücke zwischen dem "einfachen Bibellesen" (243) und der historischen Wissenschaft schlagen (243-251). Wenn F. daneben psychologische Fragestellungen als legitim anerkennt (251-254), so möchte der Rez. den Vorschlag machen, beide, psychologische Exegese und Rezeptionsästhetik, zu verbinden. Die rezeptionsästhetische Diskussion in der Germanistik führte bereits in den 70er Jahren zu zwei Konzepten einer psychologischen Rezeptionsforschung, einmal im Rahmen der empirischen Literaturwissenschaft von S. J. Schmidt und zum anderen innerhalb der Literaturpsychologie N. Groebens. Warum sollte die Exegese ihre Forschungsergebnisse nicht an den Stellen aufnehmen, an denen sie auf die Bibel übertragbar sind?