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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

571-573

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Nausner, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirchliches Leben in methodistischer Tradition. Perspektiven aus drei Kontinenten.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2010. 306 S. m. Abb. 8° = Reutlinger Theologische Studien, 6. Kart. EUR 23,90. ISBN 978-3-7675-7130-3.

Rezensent:

Karl Heinz Voigt

Diese Veröffentlichung ist ein kräftiger Farbtupfer für solche, die sich mit der Entwicklung ekklesiologischer Fragestellungen im 21. Jh. befassen. Hier wird methodistische Theologie, deren ekklesiologische Aussagen oft auf das Verhältnis Staatskirche/Volkskirche – Freikirche und auf die Beziehung Freikirche im Staat begrenzt gesehen oder gar in erdachte pietistische Engführungen eingegrenzt werden, in ein weites Feld gestellt. Der Herausgeber dieses deutschsprachigen Aufsatzbandes, Michael Nausner, hat selbst einen weiten Horizont. Es ist Österreicher, begann seine Ausbildung in Deutschland, führte sie in Schweden weiter und schloss sie in den USA ab, wo er sieben Jahre publizierte und wirkte. Gegenwärtig lehrt er Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule der methodistischen Kirche in Reutlingen. Nausner ist es gelungen, zwölf weitere prominente Autorinnen und Autoren, neun Männer und drei Frauen aus verschiedenen kirchlichen Aufgabenfeldern, zu gewinnen.
Der Herausgeber ordnet die 13 Beiträge, auf die jeweils einzeln einzugehen lohnend wäre, vier Themenbereichen zu: 1) methodis­tische Ekklesiologie in den USA und Europa – praktiziert und ökumenisch gelebt – zwei Beiträge; 2) Ekklesiologie und Gnadenmittel, die in methodistischer Spiritualität eine zentrale Rolle spielen – drei Studien; 3) Schlüsselbegriffe methodistischer Ekklesiologie mit Aspekten, die für kontinental-europäische Theologen sperrig sind – drei Aufsätze; 4) kontextuelle methodistische Ekklesiologie. Nicht nur die Zahl, es sind fünf Beiträge, zeigt das persönlich Engagement des Herausgebers, sondern auch, dass gerade in diesem Kapitel mit ihm zwei Autoren aus afrikanischen Zweigen der Kirche und zwei aus Brasilien zu Worte kommen.
Allein der weite Horizont gibt dieser Veröffentlichung einen enormen Reiz. Er vereinigt nicht nur farbige und weiße Autoren und Autorinnen, kirchliche Expertinnen und Experten aus dem alten Europa, die – weltweit gesehen – von ungewöhnlichen territorialen Kirchenstrukturen umgeben sind und mitteleuropäische Minderheiten-Erfahrungen einbringen, sowie Verfasser und Verfasserinnen aus Main-Line-Churches wie in den USA oder Südaf­rika, sondern auch Stimmen aus Gebieten, die etwa durch die Aufbrüche der Pfingstbewegung in Brasilien oder durch Probleme der Globalisierung im südlichen Afrika sowie den Kampf mit den so­zio-politischen Bedingungen in Simbabwe umgeben sind. Aus diesen Kontexten heraus zeigt sich die Notwendigkeit prozesshafter ek­klesiologischer Schritte in kontextueller Verschränkung. In dieser Hinsicht bietet die Studie innovative Denkanstöße und Im­pulse.
Der Herausgeber selbst stellt die vielgestaltige kulturelle Grenzerfahrung als Impuls für einen schöpferischen Prozess ekklesialer Entwicklung heraus, die seit dem Pfingstfest die Kirche in ihrer ethnischen, mentalen, sprachlichen, sozialen Vielfalt zur Öffnung von Räumen einer christlichen Identitätsbildung ohne Grenzen herausfordert.
Bei uns wirkt das Buch auf den Leser wie eine Anfrage an die strukturelle Monokultur kirchlicher Existenz in mitteleuropäisch-protestantischer Tradition. Es zeigt Entwicklungslinien, die mit der evangelisierenden Mission der Brüder Wesley und ihrer Mitarbeiter unter den frühen Bedingungen der ersten industriellen Revolution in schon fast nachaufklärerischer Zeit begannen und sich heute in einem lebenskräftigen, dynamischen Prozess in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich intensiv an der Zukunft orientieren. Diese Aufsatzsammlung ist hervorragend geeignet, das ökumenische Gespräch nicht nur zu begleiten, sondern in mehrfacher Hinsicht zu befruchten, auch weil es Grundkenntnisse methodistischer Theologie vermittelt, die im europäischen Protestantismus noch wenig beachtet sind.
Bezeichnend ist, dass fünf der Autoren Kirchenhistoriker sind. Dies deutet an, wie sehr methodistische Ekklesiologie auf eine feste Verwurzelung in der Tradition angewiesen ist, wenn sie sich ohne eine feste, in konfessionellen Bekenntnisschriften formulierte Grundlage nicht verirren will. Dabei geht es keineswegs nur um eine geschichtliche Verwurzelung im Methodismus. Hier kommt die methodistische ökumenische Grundorientierung voll zum Tragen. Das Bewusstsein und die Ausgestaltung dessen, dass die eine, alle Glaubenden umfassende Kirche Christi ihren Ursprung im Pfingstgeschehen hat und sie daher von ihrem Wesen her ökumenisch und natürlich interkulturell ist, zieht zwangsweise Kirchenhistoriker in die historisch und ökumenisch vernetzte Lehrbildung ein.
Weil methodistische Theologie – und in starkem Maße be­sonders die Ekklesiologie – einen prozesshaften Grundcharakter hat, ist von vorneherein ausgeschlossen, dass die vorliegenden Studien ein Bild über die methodistische Ekklesiologie geben könnten. Im Grunde wird mit dieser Veröffentlichung zur ökumenischen Teilnahme am Weiterschreiten eingeladen, das einmal durch die innerhalb der Anglikanischen Kirche ausgelöste methodistische Missionsbewegung (nicht Erweckungsbewegung!) in Gang gesetzt wurde. Jahrzehnte haben die britischen Methodisten, teilweise auch in der von ihnen in Deutschland ausgelösten Bewegung unter den damaligen kirchlichen Lebensbedingungen versucht, eine innerkirchliche Missionsbewegung, die keine ekklesialen Eigenstrukturen braucht, zu bleiben. Dieser ursprüngliche Ausgangspunkt einer missionierenden innerkirchlichen Bewegung forderte keinen eigenständigen ekklesiologen Klärungsbedarf. Als er jedoch notwendig wurde, ging es nicht um eine Abgrenzung gegenüber anderen Konfessionen oder einer fremden kirchlichen Struktur, sondern in der Frühzeit der Industrialisierung um die Hinwendung zu kirchen- und glaubenentfremdeten Menschen. Angesichts dieser historischen Ausgangsposition, die sich nicht an einem Lehrgebäude rieb, sondern von der Frage bestimmt war, wie die Verkündigung der Rechtfertigung zu einer das Leben bestimmenden Erfahrung für Industriearbeiter, Bergleute und nicht zur Bildung Zugang habender Zeitgenossen verkündigt werden kann, stand die Lehre vom Heil, also die Soteriologie und der damit verbundenen Heiligung, im Vordergrund. Ekklesiologische Fragen mussten erst später unter völlig neuen kirchlichen Umfeldern, zuerst in den USA und dann infolge der missionarischen Aktivitäten in anderen Regionen der Welt aus den bis dahin gemachten innerkirchlichen Gruppenerfahrungen entwickelt werden. Um methodistische Ekklesiologie zu verstehen und zu gestalten, bedarf es also differenzierter Kenntnisse der Geschichte der Konfessionen wie natürlich speziell der eigenen Tradition.
Die Lektüre dieser Studien wird für manche kontinentalen Theologen wie eine Reise in ein fremdes Land sein. Diese Reise anzutreten wird für Systematiker, Missiologen, Ökumeniker und Gemeindeaufbau-Experten nicht nur lohnend und anregend sein, sondern sie ist im 21. Jh. in einer ökumenischen Gemeinschaft, die ihre missionarische Verpflichtung neu entdeckt, fast verpflichtend.