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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

568-571

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kolfhaus, Florian

Titel/Untertitel:

Pastorale Lehrverkündigung – Grundmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils. Untersuchungen zu »Unitatis Redintegratio«, »Dignitatis Humanae« und »Nostra Aetate«.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2010. 6, II, 241 S. gr.8° = Theologia mundi ex urbi, 2. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-10628-5.

Rezensent:

Michael Plathow

Florian Kolfhaus, Priester im Staatssekretariat der Kurie, fragt in seiner Promotionsarbeit an der Päpstlichen Gregoriana von 2006 nach der Eigenart und Verbindlichkeit der im Titel genannten II. vatikanischen Verlautbarungen; er erkennt diese in der »neuen Form der pastoralen Lehrverkündigung« (2) dieses »Pastoralkonzils«.
In die gegenwärtige Diskussion um die Konzilshermeneutik (u. a. G. Alberigo – A. Marchetto, Anm. 11) zeichnet K. die eigene Forschungsarbeit ein und hält sich an die Leitlinien des Interpretationsmusters der Ansprache von Papst Benedikt XVI. vom 22.12. 2005: »Die Probleme der Rezeption entsprangen der Tatsache, dass zwei gegensätzliche Hermeneutiken miteinander konfrontiert wurden und im Streit lagen. Die eine hat Verwirrung gestiftet, die andere hat Früchte getragen. … Auf der einen Seite gibt es eine Auslegung, die ich ›Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches‹ nennen möchte; … Auf der andern Seite gibt es die ›Hermeneutik der Reform‹, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche, die der Herr uns geschenkt hat, unter Wahrung der Kontinuität. … Die Hermeneutik der Diskontinuität birgt das Risiko eines Bruchs zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche in sich.« (5)
In den hermeneutischen Analysen und Darlegungen des Ersten Teils (§ 2 bis § 4) versteht K. sich selbst in den Spuren der »Hermeneutik der Kontinuität«; mit Joseph Kardinal Ratzinger versteht K. das II. Vatikanische Konzil nicht als »Superdogma« (Anm. 6); es wurden keine neuen Dogmen lehramtlich promulgiert. Eingebunden in die Tradition vorangegangener Lehrentscheide kristallisierte sich erst durch den gesamten Verlauf des Konzilsgeschehens die »neue Form der pastoralen Lehrverkündigung« heraus.
Der 2. Teil der Arbeit (§ 5 bis § 7) gibt eine aus den Acta Synodalia Sacrosancti Oecumenici Vaticani II und aus wichtigen Kommentierungen belegte, textgenetische Analyse und systematische Darstellung von drei Konzilsdokumenten: vom Dekret »Unitatis Redintegratio« über den ökumenischen Dialog (21.11.1964), von der Deklaration oder Erklärung »Dignitatis Humanae« über die Reli­gionsfreiheit (7.12.1965) und von der Erklärung »Nostra Aetate« über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen (28.10.1965). Dabei erfahren der Sprachstil und der Adressatenkreis dieser Dokumente disziplinärer und praktisch ausgerichteter Intention besondere Aufmerksamkeit. Nach der – entsprechend der »Hierarchie der Wahrheiten« – formalen Abstufung der Konzilstexte wird mit ihnen ein »differenziertes« (33 f.) pastorales Lehramt ausgeübt.
In diesem 2. Teil der Studie gibt K. einen interessanten Überblick über die disparaten (»traditionalistischen«, »modernistischen« oder »liberalen«, 108) Interpretationen dieser Konzilstexte. Vor allem römisch-katholische Theologen aus dem mehrsprachigen internationalen Feld werden in den Blick gefasst, wobei K. sich für die die kirchliche Tradition vertretenden (nicht »traditionalistischen«) Theologen erklärt; eine gewisse Distanz zu deutschsprachigen Diskussionsteilnehmern ist unverkennbar (u. a. 7, Anm. 9 und 10; 93 f.; 107 ff., Anm. 321 ff.–163 ff., Anm. 658, Anm. 667, 677 und 685).
Den »pastoralen« Charakter dieser Konzilsdokumente – gegen­-über einem »doktrinären« – will K. nachweisen. »Pastoral« ist für ihn mit drei Bedeutungen versehen: »1. Als Ziel eines Dokuments, wenn die Erklärung ein Handeln der Gläubigen erreichen will, 2. als Eigenart des Inhalts eines Dokumentes, wenn es Normen oder Richtlinien aufstellt, 3. als Eigenart der Sprache, wenn man eine allen nicht nur Theologen zugängliche Redeweise gebrauchen will« (Anm. 338). So gibt »Unitatis Redintegratio« Richtlinien für den Dialog mit anderen christlichen Gemeinschaften (144–256); so erweist sich »Dignitatis Humanae« als Appell für die Religionsfreiheit in den Zivilgesellschaften (145.152.170); so bringt »Nostra Aetate« Normsetzungen für den interreligiösen Dialog – qualitativ zu unterscheiden vom ökumenischen –, wodurch die römisch-katholische Kirche das theologische Gespräch mit der modernen Welt eingeht (193).
Nicht um »doktrinäre« – zu unterscheiden von »theologischen« (191) – Verlautbarungen des feierlichen Lehramtes, sondern nur um »pastorale« handelt es sich. Die Kontinuität der kirchlichen Tra­-dition und die Rückbindung an die Lehrentscheidungen früherer Konzilien bleiben gesichert. Interpretationen, die von einem »Bruch«, einem »Paradigmenwechsel« oder »Diskontinuitäten« ausgehen, seien abzulehnen. »Aggiornamento« sei im Sinn von »Vervollkommnung in und außerhalb der Kirche« zu verstehen (Anm. 29); das »subsistit in« (LG 8) weiche – mit den Ergebnissen von Alexandra von Teufenbach – »die Lehre von der Identität zwischen der Kirche Christi mit der katholischen Kirche keineswegs« auf (Anm. 321); »Unitatis Redintegratio« stelle – anders als Walter Kardinal Kasper – nur im Sinn der Modifikation einen »qualitativen Sprung gegenüber ›Mortalium Animos‹ (1928)« dar (Anm. 352); »die Forderung nach Rückkehr der getrennten Gemeinschaften zur vollen Einheit wird zu Gunsten des ökumenischen Dialogs zurückgestellt, aber keineswegs aufgegeben!« (61) »Dignitatis Humanae« stehe – in Übereinstimmung mit P. G. Pesce – »nicht im Widerspruch zum vorkonziliaren Magisterium« (169), das nur die Ideologie des Rationalismus und Laizismus abgelehnt habe, 133.156). Bei »Dignitatis Humanae« handele es sich nicht um ein aus der Offenbarung schöpfendes Lehrdokument, sondern »um pastorale Verkündigung von auf die Ordnung von Praxis ausgerichteten Prinzipien, die in konkreten Normen, in diesem Fall staatlichen, verwirklicht werden sollen« (170). »Nostra Aetate« stelle – mit L. Elders – keine Diskontinuität dar zur traditionellen kirchlichen Lehre, weil diese Erklärung gerade nicht die Frage beantworten will, »inwieweit Nicht-Christen in ihren Religionen gerettet werden können, sondern einen Dialog fördern, der auf die Annahme des Glaubens vorbereitet« (210).
Der 3. Teil (§ 8 und § 9) der Dissertation gibt eine entfaltende und zusammenfassende Darstellung der von K. eingeführten Gattung »pastoraler Lehrverkündigung« (4.213 ff.229) des II. vatikanischen »Pastoralkonzils« und der Autorität seiner Verlautbarungen. Diese sind nicht und wollen nicht »doktrinäre« Lehre sein im Sinn des munus docendi als munus determinandi des feierlichen Lehramts (Anm. 442, Anm. 718), sondern pastorale Verkündigung des von G. Baum so bezeichneten munus praedicandi (Anm. 719); nicht »doktrinär«-lehramtliche, sondern »theologische« und »pastorale« Verbindlichkeit des »religiösen Gehorsams des Willens und des Verstandes« ist ihnen eigen entsprechend CIC (1983) c. 752. Diese neue Form der Ausübung von Lehrautorität zielt erstens »stets auf eine konkrete Lebenssituation, die durch eine bestimmte Praxis geprägt werden soll«; im Stil ihrer Rede versucht sie sich zweitens, »dieser Situation so anzupassen, dass sie verstanden und leichter angenommen werden kann.« »Drittens kann der Adressatenkreis des ›munus praedicandi‹ weiter sein als der des Magisteriums …«. Viertens »nicht nur alle Themen des Glaubens, der Moral oder der Spiritualität, sondern grundsätzlich alle Bereiche des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens können Gegenstand dieser Rede sein, sofern die Kirche sie als relevant für das Heil des Menschen betrachtet« (218).
Zu würdigen ist die chronologisch-textgenetische Analyse der Konzilsdokumente mit den Acta Synodalia sowie der Einblick in die mehrsprachigen katholisch-theologischen Interpretationsstränge der Konzilstexte. Den pastoralen Charakter dieser Verlautbarungen zu erforschen, erbringt Erkenntnisgewinne. Dabei sollte weniger die Gegenüberstellung als die hermeneutische Verknüpfung von »doktrinär«, »theologisch« und »pastoral« bedacht werden und die Relevanz der inhaltlichen Rückbindung der Dekrete und Deklarationen an die bedeutsameren Konstitutionen des II. Vatikanums: z. B. die eschatologische Qualifizierung der römischen Kirche als sich reformierendes Volk Gottes auf der Pilgerfahrt (LG 21, 48 ff.), der sensus fidelium als Bezeugungsinstanz neben Wort Gottes, Theologie, Tradition, Lehramt, wobei das Lehramt nicht »über dem Wort« ist, sondern ihm »dient« (DV 10: »non supra verbum Dei est, sed eidem ministrat«).
Aus evangelisch-ökumenischer Perspektive lässt sich die hier verfolgte Hermeneutik traditionsdominanten Selbstverständnisses als Öffnung zur Welt nur als selbstbezügliche Verabsolutierung eines inklusiven Exklusivismus deuten. Die Hermeneutik des Anderen kann da methodologische Hilfen bringen. Zudem kann eine verstehende Beziehung zwischen Traditionsbindung, Traditionskritik und Traditionserneuerung (vgl. auch BH ÖR 89, Frankfurt a. M. 2010) die selbstkritisch reformierende Bedeutung von »aggiornamento« erschließen.