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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

566-568

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ihsen, Florian

Titel/Untertitel:

Eine Kirche in der Liturgie. Zur ekklesiologischen Relevanz ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 313 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 129. Geb. EUR 70,95. ISBN 978-3-525-56360-1.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Im Mittelpunkt dieser Dissertation von Florian Ihsen steht die eine Ekklesiologie, die die gefeierte Liturgie aus sich selbst heraussetzt. Es geht dabei nicht um die Lehre von der Kirche oder um die Lehre von der Liturgie, sondern um eine liturgische Theologie, die I. als theologia prima auffasst. Diese theologia prima kommt zu Wort mit der gefeierten Liturgie; diejenigen, die diese theologia prima aussprechen, bilden dadurch eine Gottesdienstgemeinschaft, die weit über die Konfessionsgrenzen hinausgehen kann. Denn es werden in den Konfessionskirchen oftmals fast identische Liturgien ge­feiert; das macht I. an der Liturgie der evangelisch-lutherischen und der römisch-katholischen Kirche deutlich. Es geht also darum, aus der gefeierten Liturgie zu erheben, was die feiernde Gemeinde über sich selbst als Kirche aussagt. I. fasst damit den Gottesdienst nicht als Gestaltung dessen auf, was die Gemeinde »verstanden« hat, Liturgie ist auch keine Handlung, die eine Lehre in eine Gestalt gießt, sondern fragt nach dem, was die Liturgie durch ihren Vollzug über sich selbst zu verstehen gibt. Damit wirft I. die Frage auf, ob die gefeierte Liturgie in der Lage ist, der Theologie bzw. den Theologien, der Kirche bzw. den Kirchen Einsichten zu erschließen, die den Lehrdialog zwischen den Kirchen befruchten können. Darum versteht er den Begriff Ökumene dogmatisch und bezieht ihn nicht nur auf Gottesdienste, die von mindestens zwei Konfessions­kirchen verantwortet werden, sondern sieht Ökumene als eine Grunddimension jeden liturgischen Vollzugs an. Um dies aufzeigen zu können, hat I. seiner Arbeit folgenden Aufbau gegeben:
Zuerst wird eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis geboten. »Ökumenisch« werden Gottesdienste genannt, wenn sie von mindestens zwei Konfessionskirchen verantwortet werden; dies geschieht neben den parochialen Gottesdiensten auch bei besonderen gesellschaftlichen Ereignissen, wie z. B. einem Gottesdienst anlässlich einer Katastrophe, oder bei postkonfessionellen Gottesdiensten, die sich an eine Zielgruppe wenden (z. B. Gottesdienste des »zweiten Programms«). Daneben finden sich interreligiöse bzw. multireligiöse Feiern, auch unerlaubte oder erlaubte ökumenische Eucharistiefeiern. Auch die Kasualgottesdienste, selbst wenn sie von einem Geistlichen einer Konfessionskirche geleitet werden, sind aufgrund der Mitfeiernden, die wohl nur sehr selten alle einer Konfessionskirche angehören, faktisch ökumenisch. Diese Entwicklung wird eingebettet in die Entwicklung einer Gesellschaft, die sich zunehmend entkonfessionalisiert und multireligiöser wird. Damit geht eine liturgische Ökumenisierung einher, da Elemente zwischen den Liturgien ausgetauscht werden und dieselben Lieder sowohl im evangelischen wie auch im katholischen Gesangbuch stehen.
Im zweiten Teil werden die Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienste dargestellt, die die römisch-katholische und die evangelisch-lutherische Kirche aufgrund ihrer eigenen Lehre von der Kirche und der Kircheneinheit ermöglichen. Für die römisch-katholische Kirche werden die bekannten Positionen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis zu den letzten Enzykliken dargelegt. Für die lutherische Sicht macht I. deutlich, dass nicht jede, wenn auch noch so bedeutende Lutherschrift eine Bekenntnisschrift ist, sondern er stützt sich auf die Confessio Augustana. Für die Gegenwart werden zudem verbindliche Erklärungen aus dem 20. Jh. beigezogen, so z. B. die Leuenberger Konkordie, aber auch die Vereinbarungen mit den Alt-Katholiken oder die Meissener Erklärung mit den Anglikanern.
Im dritten Teil stellt I. Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie in ökumenischer Absicht dar. Hier wird eine erste Wertung vorgenommen aufgrund der beiden vorangegangenen Teile, die aufgezeigt haben, dass faktisch ökumenische Gottesdienstgemeinschaft existiert und zugleich kirchliche Lehren trennende Grenzen ziehen. So hebt I. hervor, dass Beten und Verkündigung, dass die Begegnung mit Gott und die Betroffenheit durch das Evangelium Vorrang haben vor aller Lehrbildung, die sich erst auf diesem Grund ausbilden kann. Die so verstandene theologia prima reflektiert er an bisherigen Entwürfen einer liturgischen Theologie von Aidan Kavanagh, David W. Fagerberg, Andrea Grillo, Gordon W. Lathrop, Don E. Saliers, Alexander Schmemann, Simon Chan. Sie werden von Theologien der Liturgie (z. B. Peter Brunner, Geoffrey Wainwright) unterschieden, denn der liturgischen Theologie geht es nicht darum, die Liturgie von einem liturgieexternen Standpunkt aus (z. B. der Schrift, der Tradition, dem Lehramt, den Bedürfnissen) zu kritisieren, indem sie darlegt, wie Liturgie sein soll, sondern sie wird so beschrieben, wie sie und was sie binnenperspektivisch aus ihrem Vollzug heraus ist. Darum ist der Gottesdienst Quelle theologischer Erkenntnis und wird in der Fundamentaltheologie bzw. in den Prolegomena verortet. Insofern fungiert liturgische Theologie als eine Ergänzung zum be­griffsorientierten ökumenischen Dialog.
Im vierten Teil wird das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz dargestellt. I. lehnt sich methodisch an die Kommentierung an, wie sie von Reinhard Meßner favorisiert worden ist. So wird die Kirche als eine Versammlung verstanden, was wiederum ein ekklesialer Grundakt ist, der sich in unterschiedlichen Schritten als liturgischen Elementen (z. B. trinitarisches Votum, Gebete, Lieder, Schriftlesungen, Predigt, Bekenntnis, Sakramente, Segen etc.) vollzieht.
Im fünften Teil geht es konkret um gemeinsame Liturgien unter den Bedingungen der getrennten Konfessionen; hier kommt zuerst für den ökumenischen Gottesdienst das ihm eigene theologische und ekklesiologische Proprium zum Zuge, dann die Möglichkeit, wie evangelische und katholische Christen gemeinsam Abendmahl feiern können.
Der letzte Teil fasst zusammen, wie theologia prima als Erkenntnisquelle aufzufassen ist. Liturgie ist theologia prima vor Gott, zu Gott und von Gott her, dann gemeinschaftliche theologia prima der Kirche; sie zeigt sich immer als leibliche theologia prima. Liturgie ist theologia prima als theologia summa.
Diese Arbeit legt erfreulicherweise dar, wie nötig es ist, zuerst auf das zu sehen, was ist, und nicht auf das zu zeigen, was sein sollte, und dabei das zu übersehen, was ist und wie es ist. So hat I. in Erinnerung gerufen und deutlich gemacht, dass sich Kirchen mit ihrer Lehrabgrenzung in einen Widerspruch setzen können zu dem, was sie in ihren liturgischen Feiern zum Ausdruck bringen. In diesem Sinne könnte das Verhältnis von theologia prima und secunda schärfer konturiert werden, da ja auch die theologia secunda, die die theologia prima reflektiert, ihrerseits bei der Formulierung der theologia prima wirksam ist.
Aber darum geht es I. in seiner Arbeit nur mittelbar, wichtig ist ihm, für die Ekklesiologie hervorzuheben, dass die Lehre über das Handeln Gottes, das sich nach gemeinsamer ökumenischer Auffassung unabhängig vom menschlichen Tun ereignet, auch für die Dogmatik eine Bedeutung dahingehend hat, dass dieses Handeln dem menschlichen Lehren vorausgeht und als solches in der Lehre seine Würdigung erhalten muss. Theologia secunda darf im ökumenischen Gespräch nicht unter der Hand zur entscheidenden Perspektive werden. Denn die Liturgie feiernden Christen sind immer eine Kirche in der Liturgie.