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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

562-563

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Knieling, Reiner

Titel/Untertitel:

Was predigen wir?Eine Homiletik.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. 191 S. 8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2353-8.

Rezensent:

Martin Nicol

»Was predigen wir?« – der Haupttitel signalisiert eine kritische Nachfrage nach den Inhalten derzeitiger Predigt. »Eine Homiletik«– der Untertitel annonciert ein Lehrbuch. Beide Titel zusammen wecken die Erwartung, man halte ein Buch in Händen, das homiletisch umfassend das Predigen lehren und dabei dem Inhalt besondere Aufmerksamkeit widmen würde.
Das Buch von Reiner Knieling beginnt mit der prinzipiellen Homiletik (A) in der Weise, dass Positionen evangelischer Homiletik referiert werden. Dass der materialen Homiletik weit über die Hälfte der Überlegungen gilt (C), darf bei dem dominanten »Was« des Buchtitels erwartet werden. Die Predigtperson kommt in einem letzten Abschnitt zur Geltung (D). Aber dass die formale Homiletik komplett ausfällt, verwundert doch erheblich. Das verwundert auch angesichts dessen, was K. an ästhetisch inspirierten Positionen (Martin – Grözinger – Nicol) im ersten Teil positiv würdigt. Ein merkwürdig unentschiedenes Buch, dem bis hin zur Formulierung des Titels eine elementare Selbstreflexion auf Form und Genus gut getan hätte.
Die Zielrichtung freilich ist hinreichend klar. Das Buch positioniert sich in der aktuellen Renaissance einer materialen Homiletik (vgl. 55). Es will nach der ästhetischen Wende, die sich zu einseitig um das »Wie« gekümmert habe, nun wieder entschlossen fragen, was denn eigentlich materialiter auf der Kanzel zu sagen sei. Für eine Antwort wird zunächst eine »Zeit-Geist-Skizze« gezeichnet (B). Sie markiert Problemkonstellationen, in denen sich nach gesellschaftlich-kultureller Debattenlage die Adressaten der Predigt befinden. Auf diesem Hintergrund werden sechs Themenbereiche entfaltet (C), die von »Scheitern, Schuld, Sünde« über »Heilung und Heil« oder »Männer glauben anders« bis zu »Eigene[n] Versuche zur ›Verwindung‹ des Christentums« reichen. Die Auswahl erscheint zufällig, die Themen liegen nicht auf gleicher Ebene. Gleichwohl lesen sich diese Passagen weithin als homiletisch fokussierte Zeit­-analyse eines engagierten und informierten Theologen.
Dabei verwundert, dass das traditionell wichtigste »Material«, der biblische Text, keine eigene Würdigung erfährt. Die Predigtbeispiele unterschiedlicher Provenienz, die sich als Textpredigten präsentieren, können dieses Defizit nicht ausgleichen. Eine Erörterung ihrer impliziten Bibelhermeneutik erfolgt ebenso wenig wie eine Reflexion auf ihre Sprachgestalt. Letzteres irritiert insbesondere bei einer Predigt (113–116), die sich von Anfang bis Ende narrativ gibt, und das in einer Weise, die man eigentlich seit dem 1970er-Jahre-Projekt »Narrative Predigt« für vergangen hielt: Historische und theologische Gegebenheiten werden notdürftig in eine erzählende Form gepackt, die kein Kind als spannend empfinden würde.
Die im Eingangsteil präsentierten Positionen werden weitgehend sachgerecht referiert. Die eigene Konzeption K.s versteckt sich als Anhang (47–52) zu diesem prinzipiell-homiletischen Teil. Ihre Leitformulierung »Einfach von Gott reden« ist vorgeprägt. Sie war, wie zu Recht angemerkt wird (48, Anm. 116), Titel einer Festschrift für Friedrich Mildenberger. Einen Rekurs auf dessen »Kleine Predigtlehre« von 1984 sucht man allerdings vergebens. Jenes Buch des Erlanger Systematikers enthielt als Lehrbuch ganz selbstverständlich auch Überlegungen zu Sprache, Gestalt und Vollzug der Predigt. Vor allem aber rief Mildenberger im gebotenen Miteinander von prinzipieller, materialer und formaler Homiletik die evangelische Predigt, die sich gerade in rhetorischem Erwachen die Augen rieb, dogmatisch streng zur Sache. So konnte damals ein Einspruch zugunsten materialer Homiletik aussehen.