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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

559-561

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fenske, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Innerung und Ahmung. Meditation und Liturgie in der hermetischen Theologie Karl Bernhard Ritters.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Hansisches Druck- und Verlagshaus – edition chrismon 2009. 327 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-86921-009-4.

Rezensent:

Carsten Rentzing

Karl Bernhard Ritter gehört zu den prägenden Gestalten der Berneuchener Bewegung. Sein Einfluss auf die liturgischen Erneuerungsbemühungen des 20. Jh.s ist kaum zu überschätzen. Seine »eucharistische Feier« aus dem Jahre 1961 zählt zu den ganz bedeutsamen Agendenentwürfen, die bis heute nachwirken. Umso mehr erstaunt es, dass die theologische Würdigung Ritters bis auf den heutigen Tag in den Kinderschuhen steckt. Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit von Wolfgang Fenske, die 2009 an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau als Dissertation angenommen wurde, Ritter mit ganz neuer Aufmerksamkeit dem Dunkel der Vernachlässigung und des Vergessens zu entreißen. F. geht es dabei um mehr als nur um die Betrachtung seiner agendarischen Bemühungen. Er will Ritter aus den geistigen Kraftfeldern heraus verstehen, die ihn umgaben. Ein erster Teil der Arbeit widmet sich so einer genauen Rekonstruktion von Ritters geistigem und theologischem Werdegang. Vervollständigt wird diese Rekonstruktion durch eine präzise und umfassende Bibliographie, deren Umfang und Genauigkeit eines eigenen Lobes wert ist. Hier bieten sich auch für nachfolgende Forschungen vielfältige Ansatzpunkte. Schon mit diesem Teil seiner Arbeit schließt F. eine wesentliche Lücke bei der Betrachtung Ritters.
Biographisch wird erkennbar, wie sehr Ritter in die geistige und gesellschaftliche Welt seiner Zeit eingebunden ist. Er gehört auch organisatorisch zur Jugendbewegung, die nach einer neuen Einheit von Form und Inhalt des Lebens ringt. Er ist nach dem 1. Weltkrieg politisch in der DNVP und später in der Konservativen Volkspartei tätig. Auch dort geht es um Erneuerung, und zwar um Erneuerung des Deutschen Reiches. Und schließlich gehört er 1923 zu den Gründern des Berneuchener Kreises, der die geistlich-liturgische Reformation der Evangelischen Kirche zum Ziel hat. Als heu­tiger Betrachter mag man über diese Zusammenhänge er­staunt oder sogar irritiert sein. F. aber zeigt wie fruchtbar das geistige Umfeld für das Denken und die Arbeit Ritters auch in kirchlicher Hinsicht war. Im Neukantianismus und Neufichteanismus seiner Zeit bieten sich Ritter geeignete philosophische Grundlagen, um sein Verständnis von Erneuerung zum Ausdruck zu bringen. »Durch das sittliche Handeln wird in dieser neukantianischen Perspektive die Einheit von theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch verwirklicht, die Kant selbst nicht geleistet hatte. Ritter interpretiert die tätige Verwirklichung dieser Einheit nun im Sinne des philosophischen Neufichteanismus als tätige Verwirklichung der ›Ídee Gottes‹ in der Welt.« (110) Genau in diesem Vorgang ist die erneuerte Einheit von Form und Inhalt zu sehen, für die Ritter in allen Lebensgebieten streitet. Ausgangspunkt für Ritter bleibt dabei die Auseinandersetzung mit der Welt. Er selber hatte in den Schützengräben des 1. Weltkrieges Welterfahrungen gemacht, die ihn zu ganz neuen und intensiven Gotteserfahrungen führten und zu einem gestalterischen Neuanfang drängten. »Dieser Dreischritt aus erstens äußerer Endlichkeitserfahrung bzw. Leiden/Sterben, zweitens Gotteserfahrung bzw. Innenwendung sowie drittens innerer Freiheit bzw. Neuanfang bildet das philosophisch, theologisch und weltanschaulich immer wieder variierte Grundmotiv im Denken Ritters.« (115)
Auf einen ganz besonderen Kontext des Denkens Ritters weist F. mit der Bewegung der sog. »Konservativen Revolution« hin. Die Bedeutung dieser Gruppe der außerparlamentarischen Rechten der Zwischenkriegszeit ist (mit Ausnahme der zeitgeschichtlichen Forschung) weitgehend unbeachtet geblieben. F. stellt dar, wie wenigstens Ritter primär von dieser Gruppe, der er durch Mitgliedschaft im »Juniklub« auch offiziell zugehörte, beeinflusst worden ist. Die Konservative Revolution verbindet den Gedanken des überzeitlich Ewigen mit der Notwendigkeit, dem überzeitlich ewigen Inhalt die jeweilig angemessene (und immer wieder zu erneuernde) Gestalt und Form zu geben. Gerade hier ist eine wesentliche Übereinstimmung zu Ritters Denken gegeben. Auch ein gewisser Irrationalismus, der dem Überzeitlichen geradezu beliebige Na­men zu geben vermag, gehört hierher. Das sollte für Ritters weiteren Werdegang und seine Arbeit Konsequenzen haben.
1929 wurde Ritter in die christliche Freimaurerloge »Zum flammenden Schwert« aufgenommen, zu der auch der Internist und Psychtherapeut Carl Happich sowie der Sinologe Erwin Rousselle gehörten. Von diesem Kreis empfing Ritter – wie die ganze Mi­chaelsbruderschaft – wichtige Impulse für sein Meditationsverständnis, das im »Geistlichen Pfad« seinen umfassendsten Ausdruck findet. In diesem Werk, das über viele Jahre die Praxis der Michaelsbruderschaft bestimmte, entwickelt Ritter eine christliche Stufenlehre als Erkenntnisweg, die sich auf die sieben altkirchlichen Ämter bezieht, aber auch freimaurerische Symbolik mit einbezieht. Die persönliche Meditation der einzelnen Stufen »zielt damit letztlich auf eine veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit in dem Sinne, daß die gegenständliche Welt als Ausdruck und Entsprechung einer höheren Welt wahrgenommen wird. Diese veränderte Wahrnehmung befreit und ermutigt zur Tat« (201).
Der Vorgang dieser Wahrnehmung ist im Kreis der Schüler Ritters mit dem Begriff der »Innerung« bezeichnet worden. Dieser meditativen Innerung steht die liturgische »Ahmung« im Denken Ritters komplementär zur Seite. Den Begriff hat Ritter vom Religionsphilosophen Leopold Ziegler übernommen, mit dem ihn ein langer Briefwechsel verband. Die Theorie der »Ahmung« bestimmt dabei »den Ritus als performatives Ausdruckshandeln, in dem Form und Inhalt in einer gefügten Beziehung zueinander stehen« (203). Der liturgische Darsteller und das Dargestellte treten in engste Beziehung zueinander.
Anhand von Ritters liturgischen Formularen (Das Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, 1929; Der Wiener Hochamtsentwurf, 1941/42; Gebete für das Jahr der Kirche, 1948; Die eucharistische Feier, 1961) entfaltet F. die praktischen Auswirkungen, die dies für die Gestalt der Formulare hatte. »Inneres und Äußeres, Meditiertes und liturgisch Gestaltetes, fallen somit in eins und bezeichnen lediglich unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Wirklichkeit Gottes. Diese Wirklichkeit Gottes hat Ritter in seinen liturgischen Ordnungen durchgängig in einem Dreischritt von Selbstopfer, Wandlung und Eintritt in die Gemeinschaft Gottes beschrieben.« (232) Insoweit die Grenzen zwischen Ich und Wirklichkeit Gottes im Doppelvorgang von Innerung und Ahmung fließend werden, erweist sich der Kreislauf von Innen (Meditation) nach Außen (Liturgie) und zugleich von Außen nach Innen als hermetisch.
F. exponiert diese hermetische Weltsicht, die gerade in der Bewahrung der Verborgenheit der Wahrheit im Inneren ihre Erfüllung sieht, gegen eine hermeneutische, die »davon ausgeht, daß sich der ›Sinn von Sein‹ erst in der ›Unverborgenheit‹ zeigt« (237). Abschließend weist F. auf Gemeinsamkeiten moderner praktisch theologischer Ansätze mit Ritter hin, die vor allem vermittelt in der Rezeption Leopold Zieglers in gegenwärtigen Zugängen zu Aszetik und Liturgik ihren Niederschlag finden.
F. legt damit ein zugleich umfang- und inhaltsreiches Gesamtbild des Denkens und der Arbeit Ritters vor. Seine Herangehensweise ist die einer »konstellativen Interpretation« (Norbert Bolz), die der Tatsache geschuldet ist, dass Ritter keinen Schlüsseltext seiner Theologie hinterlassen hat, aus dem das Ganze zu entwickeln wäre. Die von F. verwendeten Quellen dienen also weniger als Beweise denn als illustrierende Beispiele, die die Stimmigkeit der rekonstruierten Gesamtschau erweisen. Dem Neuanfang und Neuansatz im Verständnis Ritters entspricht auch seine Zurück­haltung hinsichtlich einer kritischen Würdigung vor allem der esoterischen Bestandteile des Denkens Ritters. Diese wäre Aufgabe einer nachfolgenden Arbeit.