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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

557-558

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Blanke, Eberhard

Titel/Untertitel:

Kommunikationskampagnen. Ansätze und Kriterien einer praktisch-theologischen Kampagnentheorie.

Verlag:

Stutt­gart: Kohlhammer 2009. 435 S. m. Abb. u. Tab. gr.8° = Praktische Theologie heute, 103. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-17-020971-8.

Rezensent:

Daniel Meier

Dass die Publizistik in der Mediengesellschaft zu einem wesentlichen kirchlichen Handlungsfeld geworden ist, steht außer Frage. Als akademisches Reflexionsfeld harren die kirchlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Massenmedien indes noch einer systematischen Gesamtdarstellung. Immerhin ist in den letzten Jahren eine Reihe von Einzelstudien erschienen, die Pionierarbeit leisten und theoretischen Nachholbedarf kompensieren. Erstmals liegt nun eine Dissertation vor, die sich mit dem Phänomen kirchlicher Kommunikationskampagnen beschäftigt. Ihr Verfasser, Eberhard Blanke, ist als Pastor und Kommunikationsmanager seit Längerem Öffentlichkeitsbeauftragter im Sprengel Hildesheim-Göttingen. Wie häufig im Bereich der Verhältnisbestimmung von Kirche und Medien, folgt auch B.s Reflexion einer seit mehreren Jahrzehnten verbreiteten Praxis. Seit der ersten Hilfsaktion von »Brot für die Welt« 1959 zählt B. für Deutschland etwa 250 kirchlich verantwortete Kampagnen; überdies ist der Kampagnenbegriff in kirchenpolitischen Schriften durchaus präsent (»Kirche der Freiheit«), jedoch nicht in der akademischen Theologie.
B.s Grundthese, die dieser sprachlich etwas leichter zugänglich bereits vorab im Deutschen Pfarrerblatt (7/2008) publiziert hat: Als »Grundmuster gesellschaftlicher Kommunikation« (12) sei die Kampagne aus organisationstheoretischer Perspektive für die Kirche unabdingbar, zugleich handele es sich um ein legitimes »Kommunikationsformat für die christliche Botschaft« (13). Um seine These zu entfalten, nähert sich B. dem Phänomen zunächst aus der Perspektive der Public Relations-Theorie, indem er in einem um­fangreichen Kapitel den Kampagnenbegriff samt hilfreichen Ab­grenzungen etwa zur weniger zielgerichteten »Initiative« oder zur »Aktion« erörtert. Als konstitutiv benennt und reflektiert B. die dem Begriff inhärenten Dimensionen vor allem der Zeitspanne, des Inhalts, des Stils und der in Anspruch genommenen Medien sowie zuvorderst der Zielgerichtetheit. Als ertragreich erweist sich hier vor allem die Unterscheidung von »Image« und »Advocacy«; B. löst sich von einer Sichtweise, welche allein die Stellvertretung als legitime publizistische Repräsentanz der Kirche einstuft. Qua Organisation unterliege die Kirche vielmehr der notwendigen Aufgabe auch der Imagebildung im Sinne eines dynamischen und kontinuierlichen Prozesses, rekurriert B. PR-theoretisch auf Werner Faulstich und kirchentheoretisch auf Reiner Preul.
Im dritten Kapitel nimmt B. in einer grobanalytischen Be­standsaufnahme zunächst die 250 kirchlichen Kampagnen komparatistisch in den Blick, wobei er in einem weiten Verständnis auch Aktionen, Initiativen etc. als »Synonyme für konzeptionell systematisierte und gesteuerte, mithin kampagnenformatierte Kommunikationsmodelle« (222) einbezieht. Unter text- und bildhermeneutischen Aspekten folgt als Herzstück der Studie sodann die exemplarische Analyse von 15 Kommunikationskampagnen samt ihrer textlichen Claims und (bildlichen oder grafischen) Logos. Als zentrale Ergebnisse lassen sich mit B. festhalten: Kirchliche Kommunikationskampagnen bildeten unter allgemeiner PR-Prämisse »eine Form der kommunikativen Krisenbewältigung« (317). Sie seien »marktfähig, aber nicht marktförmig« und »vielfach sogar marktkritisch« (317). Die Semantik der Bilder sei schwach ausgeprägt, die einhergehende brave Ikonographie überschreite nur selten kritische Grenzen der Aufmerksamkeitserregung. Inhaltlich liege der Schwerpunkt auf der Ekklesiologie und der Ethik. Spezi­elle »Ritual-Kampagnen« zum Beispiel für den Advent zielten darauf ab, »enteignete Feste zurückzuerobern« (324). In seiner Einschätzung kommt B. ferner zu dem Schluss, dass sich nur bestimmte Kampagnen durch eine »konsistente Zielsetzung« (322) etwa für Kirchentags-Schlafplätze oder ein neues Gesangbuch auszeichneten. Demgegenüber krankten viele Kampagnen an einer Überfrachtung der Ziele, indem sowohl kognitive als auch affektive und behaviorische Ziele angestrebt würden. Ein gravierendes Problem sei ferner der Umstand, dass viele kirchliche Kampagnen eine externe Kommunikation beanspruchten, faktisch jedoch intern kommunizierten, indem sie sich vor allem an die eigenen Mitarbeiter wendeten. Er­schwerend trete hinzu, dass die kirchliche Plakatwerbung das Leitmedium Fernsehen aufgrund knapper finanzieller Ressourcen bei Weitem dominiere. Etwas wenig Raum widmet B. schließlich dem Loyalitätsmangel (»wenn die Identifikation mit den organisationseigenen Public Relations nicht nahezu vollständig gegeben ist, lassen sich Imagekampagnen schwerlich durchführen«, 82) und dem von PR-Praktikern häufig beklagten De­fizit eines verbindlichen Images der (vor allem protestantischen) Kirche.
Mit Ansätzen einer »praktisch-theologischen Kampagnentheorie« schließt im vierten Kapitel die Studie. Nach der Aufbereitung des umfangreichen Materials an PR-Theorie und der aufschlussreichen Material-Analyse sorgt B. in diesem Kapitel dafür, dass die Arbeit nicht bei der Empirie stehen bleibt. Wenngleich er auf die Suche einer nachträglichen theologischen Legitimation von Public Relations verzichtet (»als ob Paulus zuerst eine theologische Legitimation hätte einholen müssen, bevor er sich auf dem Areopag positionierte«, 344), verknüpft er die Dimensionen einer systemtheoretisch fundierten Kampagnentheorie doch theologisch mit dem normativen Auftrag der Kommunikation des Evangeliums: Auf der Makroebene der Gesamtgesellschaft besäßen kirchliche Kampagnen vor allem die Funktion der Thematisierung und der Generierung von Aufmerksamkeit, zum Beispiel für Umweltbelange oder für soziale Gerechtigkeit. Als theologischen Referenzrahmen des häufig implizierten Ameliorationsideals im Sinne eines »Better-world-Anspruches« (350) zieht B. die Eschatologie hinzu. Stärker auf die Festigung des Status quo zielend, bewegten sich auf der ekklesiologischen Mesoebene Kampagnen für den (Wieder-)Eintritt in die Kirche. Auf der anthropologischen Mikroebene siedelt B. schließlich jene Kampagnen an, welche »der Transformation von auftragsgebundener Wahrheit zu zielorientierter Sinngebung« (362) dienten, zum Beispiel in Gestalt missionarischer Projekte.
Seinen Anspruch, »zum einen ein Analysemodell für abgeschlossene Kampagnen, zum anderen ein Erschließungsmodell zur Integration neuer Aspekte und Ansätze für Kampagnen« (369) bereitzustellen, hat B. mit dieser explorativen Studie voll eingelöst. Die sprachliche Gestalt dürfte indes eine breitere Rezeption seitens kirchlicher Öffentlichkeitsreferenten etwas behindern. An einigen Stellen hätte man sich zudem eine stärkere Differenzierung der übergreifenden Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit und der Kampagnenkommunikation als deren Teilbereich gewünscht. Die Stärke des Buches liegt vor allem in der sorgfältigen Analyse des umfangreichen Materials kirchlicher Kampagnen, in der erhellenden theoretischen Systematisierung und der gelungenen Verknüpfung (praktisch-)theologischen Denkens mit der PR-Theorie. Über das Thema der Kommunikationskampagnen hinausgehend führt die Studie nicht zuletzt eindringlich vor Augen, welche grundsätzlichen praktisch-theologischen wie kirchentheoretischen Fragen zur Debatte stehen, wenn es um das angemessene publizistische Handeln der Kirche geht.