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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

549-551

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Harvie, Timothy

Titel/Untertitel:

Jürgen Moltmann’s Ethics of Hope. Eschatological Possibilities For Moral Action. Foreword by J. Moltmann.

Verlag:

Farnham-Burlington: Ashgate 2009. XIII, 223 S. gr.8° = Ashgate New Critical Thinking in Religion, Theology and Biblical Studies. Lw. £ 50,00. ISBN 978-0-7546-6481-9.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Auf dem Symposium »40 Jahre Theologie der Hoffnung« in Bad Boll hat Jürgen Moltmann 2004 erklärt, dass er seit den 60er Jahren eine Ethik der Hoffnung schreiben wollte, dazu aber nie gekommen sei. Es sei sein Wunsch an die nächste Generation, eine solche Ethik der Hoffnung zu entfalten. In seiner von John Webster betreuten Aberdeener Dissertation hat Timothy Harvie die Ansätze zu einer solchen zukünftigen Ethik der Hoffnung im Gesamtwerk Moltmanns freigelegt. Möglicherweise auch durch diese Arbeit angestoßen, hat Moltmann 2010 doch noch eine Ethik der Hoffnung vorgelegt (Gü­­tersloh 2010). Das Erscheinen dieser Arbeit macht die Lektüre des hier anzuzeigenden Werkes keineswegs überflüssig: Zum einen entfaltet H. den in der Theologie Moltmanns durchgängig zu beobachtenden Zusammenhang von Eschatologie und Ethik differenzierter, als Moltmann dies im ersten Kapitel seiner nun vorgelegten Ethik der Hoffnung tut, zum anderen fehlt in der 2010 erschienenen Ethik Moltmanns »ein Kapitel über ökonomische Ethik«, das sich Moltmann nach eigenen Worten »noch nicht zugetraut« hat. Angesichts dessen dürfte das letzte Kapitel, mit dem H. seine Arbeit schließt: »Hope for the Economy« (189–208), besonderes Interesse finden.
Mit dem Ziel »to develop an eschatological account of the sphere of human moral action in dialogue with Jürgen Moltmann’s work« (3) legt H. eine detaillierte Rekonstruktion der theologischen Grundentscheidungen Moltmanns vor. Gegenüber dem Vorurteil, Moltmann sei ein marxistischer Denker, der seine moralischen Überzeugungen nur nachträglich theologisch rechtfertige (vgl. die durchgehende Auseinandersetzung mit Randall E. Otto), wird Moltmann als ein an den Inhalten des Glaubens interessierter und diese im Gespräch mit den biblischen Überlieferungen rekonstruierender Theologe dargestellt. Moltmanns inhaltlich-theolo­gische Einsichten gehen seinen ethischen Überzeugungen voraus und begründen diese (vgl. 136). Gerade durch den expliziten Chris­tusbezug, in den frühen Werken vor allem in Bezug auf Kreuz und Auferstehung Jesu, sei Moltmanns Denken schon im Ansatz von jeglichem utopischen Denken unterschieden (vgl. 46).
Zum Verständnis des Menschen als moralischen Wesens ist nach H. insbesondere Moltmanns Konzeption eines durch die Verheißung eröffneten Zwischenraumes bedeutsam, die von der Sekundärliteratur bisher nicht angemessen gewürdigt worden sei (195). Die in der Auferstehung Jesu Christi ergangene Verheißung eröffnet einen Zwischenraum, in dem Menschen schon jetzt durch den Heiligen Geist dazu befähigt werden, dem verheißenen Reich Gottes entsprechend im Widerspruch zur unerlösten Gegenwart zu leben (vgl. Kapitel 1, 69–77.130–143.161–167). Die Kategorie des Zwischenraumes ermögliche zu denken, wie schon jetzt inmitten des alten neues Leben gelebt werden könne (vgl. Kapitel 6).
Da das Leben im Zwischenraum sich am Reich Gottes orientiert, bedarf der Begriff des Reiches Gottes einer inhaltlichen Bestimmung, die H. durch eine Konzentration auf das Handeln des irdischen Jesus gewinnt (vgl. Kapitel 2). Im Anschluss an Moltmanns Christologie hält H. fest, »that Jesus’ embodiment of the Kingdom entailed table fellowship with sinners, liberating proclamation and praxis for the poor, and healing to those who are broken« (54). In dem durch die Verheißung eröffneten Zwischenraum setze sich die Zuwendung Jesu zu den Exkludierten fort. »The church lives out the mission of Christ for the Kingdom of God in being empowered by the same Spirit which was with Christ during his earthly mi­nis­try.« (71) Zu Recht verweist H. auf die Stärke des Gedankens, dass der Geist uns nicht nur an den irdischen Christus erinnert, sondern auch auf den kommenden ausrichtet. Dadurch werde der Geist als kritisches Prinzip des christlichen Lebens verstanden, das jede vermeintliche Erfüllung transzendiert – und in jeder Situation nach neuen Möglichkeiten fragen lässt (vgl. 18).
In einem abschließenden Kapitel konkretisiert H. die von ihm entfalteten Ansätze zu einer Ethik der Hoffnung im Blick auf die wirtschaftliche Globalisierung. Weil die Verheißung uns in eine Spannung zur erlebten Wirklichkeit stellt, könne es zum einen keine christliche Legitimierung der kapitalistischen Globalisierung geben, wie sie in den USA von Max Stackhouse popagiert werde. Zum anderen könne es in dem durch die Verheißung eröffneten Zwischenraum keine gewaltsame Revolution geben, da dann der Geist, ohne den ein Handeln in diesem Zwischenraum nicht möglich sei, seinem eigenem Wesen als Leben und Frieden (Röm 8,6; vgl. 89–96) widersprechen würde. Der durch die Verheißung eröffnete Zwischenraum ermögliche ein Leben im globalen Wirtschafts­system, das beständig auf dessen Transformation hinwirkt. »Chris­tian participation in a global economy necessitates a refusal to be guided by self-interest, and to rather pursue fellowship with the poor and the sinner, the destitute and the oppressed.« (202) Konkret realisiere sich diese Gemeinschaft mit den Armen im freiwilligen Verzicht auf Konsum, der über das, was zur Erhaltung der Gesundheit notwendig ist, hinausgeht, und im unternehmerischen Risiko christlicher Unternehmer und Organisationen, in die lokale Indus­-trie wirtschaftsschwacher Nationen zu investieren.
Wer die spezifische Verknüpfung von Theologie und Ethik, die für nicht wenige die Faszination der Moltmannschen Theologie ausmacht, präziser verstehen will, dem sei auch nach Erscheinen von Moltmanns Ethik die Dissertation von H. empfohlen. Er lotet die Bedeutung des Konzepts eines durch die Verheißung eröffneten Zwischenraumes für das Gesamtwerk Moltmanns aus. Man hätte sich dabei eine genauere Verhältnisbestimmung von diesem Zwischenraum und dem Raum der Kirche gewünscht. Hier bestehen nicht nur Unklarheiten bei Moltmann, die herausgearbeitet werden (vgl. 69–77), sondern auch bei H. selbst. Die Arbeit erschließt angesichts der gesellschaftlichen Exklusion großer Teile der Weltbevölkerung aus allen Funktionssystemen zu Recht die orientierende Kraft der Inklusionshandlungen Jesu für eine christliche Wirtschaftsethik. Dass sich die Hoffnung dabei auf asketische Konsumenten und Unternehmer richtet, die ihre Gewinne in wirtschaftlich abgeschlagenen Weltgegenden investieren, zeigt aber zugleich, dass es für die Erarbeitung einer realistischen Wirtschaftsethik noch viel interdisziplinärer Arbeit bedarf.