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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

548-549

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bouillon, Hardy

Titel/Untertitel:

Wirtschaft, Ethik und Gerechtigkeit. Hrsg. v. K. R. Leube.

Verlag:

Flörsheim: Buchausgabe.de 2010. 225 S. m. 1 Porträt. 8° = Studien zur Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, 9. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-942239-07-3.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Nach dem Urteil Leubes handelt es sich bei Hardy Bouillon, dem Forschungsdirektor der SMC-University, um einen der »originells­ten liberalen Philosophen Europas«, der fest in der wissenschaftlichen Tradition der »Österreichischen Schule der Nationalökonomie« und des »Kritischen Rationalismus« ruhe (5). Und wenn sich B. mit dieser Studie wirtschaftsethischer Themen annimmt, so geht er dabei von der Frage aus, »warum (so viele) Wirtschaftsethiker bestimmte Fragen als die ihren begreifen und andere außen vor lassen, warum sie einiges unhinterfragt voraussetzen und anderes für fragwürdig halten.« (207) Um hier Klarheit zu gewinnen, entwickelt B. in großer methodologischer Strenge ein analytisches Konzept, gemäß dem er dann ausgewählte wirtschaftsethische Problemfälle untersucht. In drei aufeinander aufbauenden Kapiteln versucht er, Antwort auf die dreigliedrige Frage zu geben: »Was bedeutet moralisches Handeln, was wirtschaftsmoralisches Handeln und was wirtschaftsmoralisch gerechtes Handeln?« (175) Deshalb beginnt er mit dem Kapitel »Präliminarien zur Ethik« (21–68), auf welches dann die Kapitel »Wirtschaft« (69–128), »Gerechtigkeit« (129–174) und »Wirtschaftsethik« (175–206), Schlussbemerkungen, ein Literaturverzeichnis und ein Index folgen.
Zunächst entwickelt B. in seinen »Präliminarien zur Ethik« mit großer sprachlicher Sorgfalt sein Instrumentarium, denn er meint, »dass viele irreführende wirtschaftsethische Thesen auf den verwirrenden, wenn nicht gar missbräuchlichen Gebrauch von Sprache zurückgeführt werden können« (26). In seinem zweiten Kapitel »Wirtschaft« geht B. vom Wirtschaftsbegriff Mengers aus (70) und klärt, dass sich Wirtschaftsethik mit »wirtschaftlichem und zu­gleich moralischem Handeln« beschäftige (69), wobei die Freiwilligkeit wirtschaftsmoralischen Handelns (76 f.) vorauszusetzen sei. Überhaupt sei Freiheit in Verbindung mit Eigentum maßgeblich (85). Und bereits diese Fixierung erlaubt B. u. a. mit Hilfe des »Finders-Keepers-Prinzips« (102 ff.) erste wirtschaftsmoralische Bewertungen bezüglich einer vertragsbasierten Liberalisierung geistigen Eigentums (112 ff.), namentlich in der Arzneimittelindustrie (118 ff.), vorzunehmen. Da ferner der Transfer von Eigentum vielfach über das Geld erfolgt, blickt B. auch auf dessen wirtschaftsmoralische Qualität (95.124 ff.), die durch die Möglichkeit gegeben ist, dass der Staat selbst den Tauschwert des Zahlungsmittels festlegen kann (126).
Da B. mit Platon Gerechtigkeit für den größten moralischen Wert bzw. das größte Gut hält (142), wendet er sich mit Bezug auf Jasay (142 ff.) und in Nähe zu Aristoteles einer formalen Präzisierung des Gerechtigkeitsbegriffs zu. Er definiert dann: »Im Sinne der formalen Gerechtigkeit ist wirtschaftliches Handelns moralisch ge­recht, sofern dabei niemand unbegründet in der Wahrnehmung seiner Freiheiten behindert wird, ungerecht, wenn dabei jemand unbegründet in der Wahrnehmung seiner Freiheiten behindert wird.« (141) Aus dieser formalen Perspektive und gegen die Idee von der Gerechtigkeit des Marktes kann dann B. Sympathie für Hajeks Auffassung von der sozialen Gerechtigkeit als »Fehlbegriff« (149 ff.) finden, weil angeblich Marktverteilungsergebnisse niemandem zurechenbar seien, weshalb der Markt nicht moralisch qualifizierter sei. Daher könne man sie weder als gerecht noch sozial ungerecht bezeichnen (150). Dennoch kann B. die Idee der sozialen Gerechtigkeit als »prudente Maßnahme« (152 f.) zur Vermeidung sozialer Unruhen sehen. Final entwickelt B. dann bezüglich der Frage nach wirtschaftlich gerechtem Handeln die Definition: »Eine wirtschaftliche Handlung ist dann moralisch, wenn sie für ein einer Partei in deren privatem Handlungsspielraum zugefügtes Gut oder Übel hinreichend ursächlich ist und bei der Beurteilung Wohlwollen oder Missfallen hervorruft; und sie ist im Hinblick darauf gerecht, sofern sie niemanden unbegründet in der Wahrnehmung seiner Freiheiten behindert, ungerecht, wenn sie es doch tut.« (174)
Mit Hilfe dieses formalen Definitionsrahmens untersucht B. nun im 4. Kapitel Begriffe, Fragen und Themen der Wirtschaftsethik. Konsequenterweise kommt er dann bei seiner Hochschätzung von Freiheit und Eigentum zur der Folgerung, dass entgegen dem Interesse des Shareholder Value alle Maßnahmen des Stakeholder Value einschließlich Corporate Citizenship, Corporate Governance und Corporate Social Responsibility wirtschaftsmoralisch ungerecht seien, wenn sie ohne Zustimmung der Unternehmenseigentümer angeordnet würden (178 ff.). Entsprechend muss er zu Recht ablehnen, »dass Handlungen, die Umweltbelangen und sozialen Interessen dienen, per se moralischen Status haben müssten« (187) oder dass allen »Maßnahmen im Sinne der ›Nachhaltigkeit‹ per se eine moralische Dimension zufällt«. Sondern das gelte nur insoweit, als sie für ein einer Partei in deren privatem Handlungsspielraum zugefügtes Gut oder Übel hinreichend ursächlich seien (188). Sodann widmet sich B. den Begriffen der Ausbeutung und Diskriminierung. Und dabei ist nicht verwunderlich, dass B. in Widerspruch zu den Ideen von Marx geraten muss (194).
Nur scheinbar überraschend, eher konsequent, beschäftigt sich B. weiter mit Organhandel und Abtreibung, was zu dem von ihm vorgelegten Eigentumsbegriff passt. Er kann damit Organhandel als eine Transaktion mit einem Wirtschaftsgut – einem körperlichen Wirtschaftsgut begreifen (197). Von seiner Vorstellung vom »Selbsteigentum« her (nicht nur der Mutter) stellt er aber auch heraus, dass einem Embryo durch Abtreibung der »größtmögliche wirtschaftliche Schaden« drohe. Allerdings sei dann die Frage der Eigentümerschaft über seinen Körper an die Frage nach dem Be­ginn des Individuums bzw. des Lebens gekoppelt (200). Im folgenden Abschnitt über Insider-Trading, Indus­triespionage, Datenschutz geht er davon aus, dass die Sammlung, Nutzung und Handel mit personenbezogenen Daten wirtschaftsmo­ralisch ge­recht sei, »sofern mit ihr die allgemeinen Kriterien wirtschaftsmoralisch gerechten Handelns« berücksichtigt blieben. Deren Untersagung sei aber ungerecht (203). Im letzten Abschnitt über Bestechung und Korruption sieht er »wenig Spielraum, das Handeln des Bestechers wirtschaftsmoralisch zu bewerten«. Der Korrupte sei jedoch »in eindeutiger Weise wirtschaftsmoralisch ungerecht« (205).
Es gelingt B. stringent, auf die Frage nach dem moralisch ge­rechten wirtschaftlichen Handeln (207) zu antworten, allerdings unter den engen Voraussetzungen seiner Philosophie. Es ist bedauerlich, dass in diesem konsistenten Gebäude eine unter dem Aspekt der Nächstenliebe stehende Verantwortung für das persönliche und das weltweite wirtschaftliche Handeln kaum Platz findet.