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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

542-544

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Euler, Walter Andreas, Gustafsson, Ylva, and Iris Wikström [Eds.]

Titel/Untertitel:

Nicholas of Cusa on the Self and Self-Consciousness.

Verlag:

Åbo: Åbo Akademis förlag 2010. 6, VI, 311 S. m. Abb. gr.8°. Kart. ISBN 978-951-765-518-7.

Rezensent:

Udo Kern

Das Buch dokumentiert die Ergebnisse einer ersten, vom 31. Juli bis 30. August 2008 stattgefunden habenden, wissenschaftlichen Konferenz zu Nikolaus Cusanus an der Adi-Universität in Finnland. Die Tagung be­handelte das Verständnis »on the self, self-conciousness and world view« in den späten Werken des Cusaners. Forscher aus Deutschland (sieben Beiträge), Finnland (fünf Beiträge), Norwegen, Polen, Argentinien und Japan haben es verfasst. Auf den in der Cusanusforschung bekannten wissenschaftlichen Diskurs über dessen concept of subjectivity (I. Bocken, A. M. Haas, N. Herold, V. Rossvater, M. Thurner, E. A. Wyller) wird ausdrück­lich verwiesen (I).
Klaus Reinhardt beschäftigt sich bei Cusanus mit der menschlichen Subjektivität in ihrer transzendentalen Verwiesenheit auf Gott. »So erzeugt, erkennt und sieht der allmächtige zeugende In­tellekt sich in sich selbst und in dem von ihm Gezeugten; der gezeugte aber sieht sich im Zeugenden.« (Cus., Sermo, CLXXXVII, n. 3,25–28; zit. 16) Menschlicher Geist sei als lebendiges Bild Gottes zu verstehen. Das dokumentiere sich als Gestaltung seiner selbst. Walter A. Euler befasst sich mit der Verbindung von Freiheit und Gehorsam während der Brixener Wirkungszeit des Cusanus. Zur intellektuellen Kultur des Menschen gehöre die Freiheit, die ihn in Verbindung zum wahren Willen Gottes in seinen Gehorsam stelle. Das werde christologisch verifiziert. Knut Alfsvag thema­tisiert Human liberty as participation in the divine in the work of Nicholas Cusanus. Er versteht Cusanus »as one of the true ecumenist of his time« (5), der große Nähe zu Gedanken Martin Luthers habe. Nahe seien beide in folgenden Punkten: 1. »similar emphasis on the unknowability of the divine«, 2. »they both reject the interpretation of divine presence in substantial categories for an emphasis on personal relationship«, 3. »true humanity« Christi basiert auf den Grundlagen der chalcedonensischen Zweinaturenlehre, 4. »the theocentricity of true humanity necessary issues in an emphasis on the dialects of human liberty«, 5. »parallels in the understanding of faith as created by the word God from nothing«, 6. Nähe von Luthers Providenzverständnis und dem »Cusan understanding of God as the actuality of all potentiality«, 7. Die biblische Erwählungslehre vermisst Knut Alfsvag bei dem Cusaner: Bei Cusanus gebe es »no parallel to Luthers’s integration even of the biblical doctrine of election« (61 f.). M. E. ist es richtig und notwendig (mit und über die von Alfsvag in den Anm. 99–105 literarischen gegebenen Hinweise hinaus), profiliert das Verhältnis Luther – Cusanus zu bearbeiten. Agienszka Kijewska thematisiert »apioric forms of human consciousness« (6).
Wie kann das endliche Wesen Mensch an intuitive insight des unendlichen Gottes erreichen? Cusanus vindiziere die Philosophie als lebendiges und suchendes Selbstbewusstsein. Auf diesem Wege komme es zum Bewusstsein des christlichen Gottes. »The mind [sc. of man] is for Cusanus the most essential, fundamental structure of a human being, a ›living substance‹, which – when considered in itself – is an image of the infinite Divine Mind, or infinite Substance.« (79) Regine Kather versteht die cusanische Individualität als wichtiges Korrekturkonzept für das moderne Denken. Cusanus habe als Erster eine Kosmologie konstituiert, für die das Prinzip der Individualität konstitutiv sei. Die endliche Welt gedeihe allein qua Direktion durch die infinitive göttliche Welt. Alles menschliche Sein sei essentiell ein einzigartiges Wunder des Ganzen. »… for Cusanus … the universe is not a closed, but an open system, though this statement cannot be understood in the scientific sense of the word. The power of God creates the universe, preserves it in its being and its structure, and gives every finite being an impulse to return to its origin.« (95) Für Isabelle Mandrella ist der Neoplatonismus der Schlüssel zur cusanischen selfconsciousness. Das korrespondiere der practical direction der cusanischen Philosophie.
Den Weg zur Selbsterkenntnis habe der Mensch selbst zu be­schreiten. Das inkludiere christologische Relevanz. Cusanisch gesehen basiere humane Subjektivität für Kazuhiko Yamaki allein auf seinem absoluten Grund. Das dokumentiere De devisio dei (VII, n. 25; zit. 8): »Be your own, and I will be yours«. Iris Wikström sieht das individuelle Selbst als die mens ipsa und die anima intellectiva in einem kontinuierlichen christologisch verbürgten Prozess der human assimilation. Hier geschehe zuerst wachsende Selbsterkenntnis. »According to Cusanus the self is by necessity related: primarily to God, the absolute Self, but secondarily to other human beings.« Seine »main contribution to the discourse on the self and self-consciousness is the ›I-you-philosophy‹« (155). Cecilia Rusconi versteht Cusanus in seinen Briefen vom Tegernsee als jemanden, der um ein richtiges Verständnis der theologia mystica ringe. Cusanus be­schriebe hier »die mystische Theologie als die Konzeption des Un­endlichen, weil das Unendliche die Koinzidenz der Gegensätze ausdrückt« (189).
Rechte Gotteserkenntnis fokussiere sich dem Cusaner zufolge im Bild des Sehens: »Wenn Gott nach dem Bild des Sehens theos genannt wird und man fragt, wie er sieht, dann kann man sagen: er sieht so, wie er misst. Der unendliche Kreis umfasst alle Aussageweisen. Und die gesamte Theologie gleicht jenem Kreis, in dem alles eines ist.« (De theol. compl. 14, lin. 3–5, zit. 201) Annette Hahn behandelt das »Verhältnis von sinnenhafter Seele und ›obiectum‹« (203). Werde ein Objekt von einem Subjekt »erblickt«, so zeige sich in diesem Sich-sehen des Geistes als der sinnenhaften Seele das, was stets schon rezipiert ist. Für Harald Schwaetzer »knüpft« Cusanus im Unterschied zu Descartes »an die antike und mittelalterliche Tradition einer methodischen Philosophie des Ascensus an, des Aufstiegs der Seele zu Gott als eines Schulungsweges« (224). Der Ascensus dei setze wie bei Augustin das finite Sein des intellektuellen Subjekts voraus. Entscheidend sei der an das Subjekt gebundene Intellekt. Durch den werde dessen Spiritualität geformt. Die Suche nach der Wahrheit – so Kirstin Zeyer – fokussiere das Erkennen des menschlichen Geistes. Gott solle der Mensch suchen, da dieser in der Welt gefunden werden will (241). Der menschliche Intellekt sei für Cusanus intellektuell qualifiziert zum Suchen und Finden des geoffenbarten unvergleichlichen Gottes ausgelegt. Detlef Thiel vergleicht den schöpferischen Geist bei Cusanus, Kant und Salomo Friedländer (1871–1946). Auf je unterschiedliche Weise stimmten alle drei der »alten Idee« zu, »dass die Selbsterkenntnis der Vernunft auch die Selbstentfaltung des Menschen bedeutet, hin zu einem Status, der mit den Attributen des ›Höheren‹, des ›Göttlichen‹ be­zeichnet« werde. (274) Göran Torrkulla urgiert »a certain philo­-sophical convergence between Cusanus’ and Levinas’ conceptions in that they both take their point of departure in an orientation towards alterity as constitutive of the birth of an responsible human subjectivity« (11).
Das Buch lädt zu profiliertem Diskurs über »Self and Self-Consciousness« bei Cusanus ein.