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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

149–151

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schwienhorst-Schönberger, Ludger

Titel/Untertitel:

"Nicht im Menschen gründet das Glück" (Koh 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1994. IX, 358 S. gr. 8o = Herders biblische Studien, Bd. 2. Lw. DM 88,­. ISBN 3-451-23149-2.

Rezensent:

Stefan Schreiner

Wie im Untertitel zu lesen ist, hat es sich L. Schwienhorst-Schönberger mit seinem hier anzuzeigenden Buch, seiner nur "geringfügig überarbeiteten" Habilitationsschrift aus dem Jahre 1992, zur Aufgabe gemacht, erneut einem Problem nachzugehen, das nicht erst in den letzten Jahrzehnten, wenn in ihnen auch in verstärktem Maße, schon viele Male verhandelt worden ist, sondern bereits die Gemüter der antiken (jüdischen) Bibelausleger bewegt und beschäftigt hat, ohne daß bis heute allerdings eine eindeutige und allseits befriedigende und gleichermaßen auch überzeugende Lösung dafür gefunden worden wäre. So beginnt denn auch der Vf. seine Arbeit mit der Feststellung: "Bis heute ist in der Forschung umstritten, ob das Buch Kohelet unter hellenistischem Einfluß entstanden ist." (1) Und man fragt sich, ob nicht wirklich schon alle (möglichen) Fragen zu diesem Thema bereits gestellt und alle (denkbaren) Antworten darauf gegeben worden sind.

Auch wenn vom Vf. nicht eigens so gegliedert, zerfällt das Buch doch deutlich erkennbar in zwei Teile: Den ersten Teil (d.i. Kap. I-VII) bildet ein durchgängiger, Vers für Vers auslegender Kommentar zum Buch Kohelet (5-232). Im zweiten Teil (d.i. Kap.VIII-X) befaßt sich der Vf. zunächst mit dem Problem Hellenismus (233-273), um schließlich das eigentliche Thema des Buches, nämlich "das Buch Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie" verhandeln zu können (274-332).

Im Mittelpunkt des Kommentars zum Buch Kohelet, hinter dessen Namen übrigens auch der Vf. "eine sekundär als Eigenname verwendete Funktionsbezeichnung" erkennt (11), steht, dem Thema der Arbeit entsprechend, die Erörterung der philosophischen bzw. der als solche ausgemachten Fragen Kohelets. Hinsichtlich der Komposition, des Aufbaus und der Gliederung des Buches Kohelet schließt sich der Vf. F. J. Backhaus an (5 f). Demzufolge beginnt er seine Auslegung mit der Interpretation der inclusio des Buches Koh 1,1 und Koh 12,9-11.12-14 (7-11) und setzt sie mit dem aus vier Teilkompositionen bestehenden corpus des Buches fort: Während die erste Teilkomposition (Koh 1,2-3,22) eine "programmatische Darlegung der Philosophie" darstellt (12-125), behandelt die zweite (Koh 4,1-6,9) die "inhaltliche Bestimmung des wahren Gutes" (126-156). In der dritten Teilkomposition (Koh 6,10-8,17) wird eine "Auseinandersetzung mit alternativen Glücksbestimmungen" geführt (157-193), und die vierte vom Carpe-diem-Motiv eingerahmte Teilkomposition schließlich (Koh 9,1-12,8) enthält in "kritischer Auseinandersetzung mit den Handlungsanweisungen der Tradition" (194) Kohelets eigenes Angebot, nämlich (s)einen "Aufruf zur Freude und zu tatkräftigem Handeln" (194-232).

Im zweiten Teil, der Diskussion des Problems Hellenismus, gibt der Vf. zuerst (Kap.VIII) einen "Forschungsüberblick" zum Thema "Kohelet und der Hellenismus" (233-244), bei dem es sich allerdings eher um einen "Forschungsüberblick über die Forschungsüberblicke" zum genannten Thema, nämlich von H. Graetz über E. Podechard und L. Levy bis zu H. W. Hertzberg, R. Gordis und D. Michel handelt. Danach wendet sich der Vf. der grundsätzlichen methodologischen Frage zu, was denn eigentlich gemeint sei, wenn nach einem möglichen hellenistischen ­ bei aller Problematik des Begriffs (251) ­ Einfluß auf Kohelet gefragt wird. Für seine eigene weitere Erörterung schließt sich der Vf. dabei R. E. Murphy an, indem es auch ihm beim Thema Kohelet und der Hellenismus nicht, wie bisher (zumeist) geschehen, um den Aufweis einzelner Berührungspunkte zwischen Kohelet und hellenistischen Denkern in Inhalt, Sprache, Ausdrucksweise und/oder Form geht, sondern "um einen Vergleich zwischen der Lehre Kohelets als ganzer und den hellenistischen Philosophien in ihrem Grundansatz" (250). Daß bei einer so ins Allgemeine und Grundsätzliche gewendeten Fragestellung ein Zusammenhang zwischen Kohelet und dem Hellenismus freilich herauskommen muß, versteht sich fast von selber.

Denn wie die entsprechende Durchsicht der "Programme" der hellenistischen Philosophenschulen von Plato und Aristoteles über die Stoiker, Epikureer und Skeptiker, bis hin zu den Pyrrhoneern, Akademikern und Kynikern zutage fördert (Kap. IX; 253-273), ist der gemeinsame "Grundansatz" bei ihnen genauso wie bei Kohelet in der Ethik zu finden, nämlich "die Frage nach dem Inhalt und den Bedingungen der Möglichkeiten menschlichen Glücks", die im Aufruf carpe diem kulminiert (274). Allerdings, so sehr dieser gemeinsame "Grundansatz" Kohelet mit den hellenistischen Philosophenschulen auch verbindet, so erkennt der Vf. am Ende dennoch ­ dies ist das Thema des letzten Kapitels (X; 274-332) ­ eine trotz allem (ver)bleibende differentia specifica, und diese liegt unübersehbar in der Begründung, die Kohelet für seine Ethik gibt, auf die seine Philosophie und Theologie ja hinauslaufen. Denn im Unterschied zu den hellenistischen Philosophen wird diese Ethik ­ und damit die Möglichkeit des Glücks ­ bei Kohelet bekanntlich schöpfungstheologisch begründet, wie bereits M. Schubert hinreichend nachgewiesen hatte und nun vom Vf. noch einmal festgestellt wird (312-332).

Gilt für den Erkenntniszuwachs, den man durch des Vf.s Arbeit gewinnt, auch eher Kohelets Beobachtung, daß "es nichts Neues unter der Sonne gibt" ­ denn in der Sache findet sich tatsächlich geradezu nichts, was nicht schon andernorts zu lesen gewesen ist ­, so hat der Vf. gleichwohl insofern eine nützliche und gleichermaßen verdienstvolle Arbeit geleistet, als er mit seinem Buch eine gut lesbare, ausführliche Bestandsaufnahme und sorgfältig dokumentierte Zusammenfassung der nun schon über zweihundert Jahre währenden neuzeitlichen Diskussion um die Frage Kohelet und der Hellenismus vorgelegt hat (Bibliographie, 333-358). Durch die ausschließliche Fixierung auf die neuzeitliche Diskussion hat sich der Vf. jedoch zugleich auch wieder um die Möglichkeit gebracht, wirklich neue Gesichtspunkte in die Diskussion einzubringen. Diese Möglichkeit aber hätte er durchaus gehabt; dann nämlich, wenn er auch die alten, vor allem rabbinischen Bibelkommentatoren und ihr Ringen um ein richtiges Verstehen Kohelets und seiner Philosophie in seine Erörterungen einbezogen hätte. So aber erweckt des Vf.s Buch den völlig unzutreffenden Eindruck, als sei das Thema Kohelet und der Hellenismus erst ein Problem der neuzeitlichen Bibelwissenschaft. Dabei sind die Fragen, um die es hier geht, wenn auch nicht mit des Vf.s Worten, doch schon längst auch von den Alten gestellt ­ und auf ihre Weise beantwortet worden.