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Ausgabe: | Mai/2011 |
Spalte: | 538-541 |
Kategorie: | Dogmen- und Theologiegeschichte |
Autor/Hrsg.: | Becker, Eve-Marie, u. Doris Hiller [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Handbuch Evangelische Theologie. Ein enzyklopädischer Zugang. |
Verlag: | Tübingen-Basel: Francke 2006. XIV, 370 S. gr.8° = UTB, 8326. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8252-8326-1. |
Rezensent: | Rochus Leonhardt |
Die sieben Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind zwischen 1961 und 1974 geboren, gehören also zur jüngeren Generation der evangelisch-theologischen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Ein in diesem Sinne junger enzyklopädischer Zugang zur Evangelischen Theologie hat zweifellos Aufmerksamkeit verdient.
Der Behandlung der theologischen Einzeldisziplinen ist ein von den Herausgeberinnen verfasster Einführungsabschnitt über die Geschichte und die Perspektiven der Theologischen Enzyklopädie vorgeschaltet (1–26). Hier wird auch die identische Struktur der einzelnen Kapitel erläutert: Einer Beschreibung des jeweiligen theologischen Faches folgt stets die Behandlung der für die Disziplin wichtigen enzyklopädischen Aspekte; damit wird ein »Verständnis von Enzyklopädie als grundlegender Aufgabe aller Einzeldisziplinen« geltend gemacht (17; Hervorhebung vom Rezensenten). Die sich von daher ergebende »Aufgabe einer Verständigung über den christlichen Glauben« soll regelmäßig »anhand einer Reflexion über das Gebet« wahrgenommen werden (18).
Die Disziplinbeschreibung der alttestamentlichen Wissenschaft (27–86: Markus Saur) setzt mit der Feststellung ein, ihr Ziel sei »das Verstehen der Texte des Alten Testaments« (27; vgl. 38.61–64). Wie auch in den folgenden Kapiteln wird zunächst die historische Entwicklung skizziert, die zur Ausdifferenzierung des Faches geführt hat; über die klassischen Auslegungsmethoden sowie ihre Ergänzung durch neuere Ansätze wird ebenso informiert wie über spezifische Forschungsprobleme. Die aus alttestamentlicher Sicht relevanten enzyklopädischen Aspekte beziehen sich erwartungsgemäß in erster Linie auf hermeneutische Fragen. Im Blick auf Systematische und Praktische Theologie wird betont, dass »die Ergebnisse der historischen Arbeit an den Texten des antiken Israel in einer anschlussfähigen Form dargestellt werden müssen« (72; vgl. 73), eine Anforderung, deren Erfüllung als Voraussetzung einer gelungenen Integration in die Evangelische Theologie gelten kann (vgl. 77 f.). Die abschließenden Hinweise zum Gebet machen geltend, dass die alttestamentlichen Gebetstraditionen nicht nur den Ursprung ihrer christlichen Fortschreibungen bilden, sondern in gewisser Weise auch als deren Maßstab fungieren müssen.
Das Kapitel zur neutestamentlichen Wissenschaft (87–156: Eve-Marie Becker) benennt im der Disziplinbeschreibung gewidmeten Abschnitt zunächst die »Auslegung der im ›Neuen Testament‹ versammelten 27 Schriften« als Zentralaufgabe des Faches (87). In der Darstellung der Arbeitsmethoden wird diese Auslegung als wissenschaftliche Textexegese näher profiliert, deren Methoden »der Objektivierung des Textverstehens« dienen (109). Die exegetischen Methoden werden in solche der Textsicherung, der synchronen Analyse und der diachronen Analyse eingeteilt (110–113), wobei von der synchronen Textanalyse gesagt wird, sie diene dem Textverstehen (vgl. 117). Zu den Folgen der diachronen Textanalyse gehört die »Relativierung der neutestamentlichen Texte« (118), die allerdings auf den wichtigen Sachverhalt aufmerksam macht, »dass das Christentum von seinen Anfängen an keine Buchreligion ist« (120; vgl. auch 129). Für die enzyklopädische Frage ist die Feststellung wichtig, dass die neutestamentliche Wissenschaft »in keinem ihrer Forschungsfelder prinzipiell un- oder anti-enzyklopädisch ausgerichtet« ist (129). Es ist erneut die Hermeneutik, der die Bearbeitung des »Konflikts zwischen historisch und theologisch geprägter Text- und Schriftauslegung« zugewiesen wird (138). Die Bemerkungen zum Gebet laufen vor allem darauf hinaus, die spezifische Aufgabe der Disziplin nochmals kenntlich zu machen: Neutestamentliche Wissenschaft sei »mit der historischen und literarischen Analyse [= Auslegung/Exegese?] und der theologischen Interpretation [bisher von Exegese unterschieden; vgl. 108] von Texten« befasst (155).
In einem angenehm entspannten Stil ist das Kapitel zur Kirchengeschichte gehalten (157–213: Klaus Fitschen). Die Disziplinbeschreibung ist zunächst durchzogen vom Stichwort »Selbstvergewisserung« (vgl. 157.160.163.165 sowie 186).
Ob es um die universalgeschichtliche Lozierung des Christentums ging oder um konfessionelle Identitäten – stets war das Interesse an Selbstvergewisserung Movens kirchengeschichtlicher Reflexion. Seit dem Ende des 19. und vollends im Zuge der antihistoristischen Wende des frühen 20. Jh.s freilich wurden die Eigenständigkeit der Kirchengeschichte bzw. deren Theologizität immer wieder infrage gestellt; der damit aufgerissene Problemhorizont bestimmt auch neuere »Debatten um die Standortbestimmung und die Methodik« des Faches, die »vor allem in der Kirchlichen Zeitgeschichte bzw. in der Neueren Kirchengeschichte einen festen Ort bekommen« haben (178).
Die enzyklopädische Verortung der Kirchengeschichte im Verbund der Theologie wird daran festgemacht, dass sie bereit ist, sich einem der deskriptiven Arbeit folgenden konstruktiven Arbeitsschritt, der den historischen Befund theologisch reflektiert, »nicht notorisch zu verweigern« (183). Gerade mit dem Vollzug dieses zweiten Arbeitsschrittes verbindet sich die Perspektive einer Bereicherung der Allgemeinen Geschichte, hat die Kirchengeschichte doch eher als diese »ein Sensorium dafür, wie wirkmächtig der Glaube für die Geschichte … sein kann« (188). Dabei hebt Fitschen mit Nachdruck hervor, dass die Kirchengeschichte nach dem »Abschied von heilsgeschichtlichen Konzepten« (185) keine sinnstiftende (vgl. 192), sondern eine »kritische Funktion« erfüllt (189) und damit zeigt, dass »das Christentum durch das Feuer der Aufklärung hindurchgegangen« ist (204). Die Skizze zum Stellenwert des Gebets im Verlauf der Kirchengeschichte verweist paradigmatisch auf die vielfältigen Schnittstellen zwischen der Kirchengeschichte und den anderen Disziplinen der Theologie.
Das Kapitel über die Systematische Theologie ist dreigeteilt: Einigen knappen Vorüberlegungen (215–219: Martin Hailer) folgen zwei dem üblichen Aufriss entsprechende Abschnitte zur Dogmatik (221–261: Doris Hiller) und zur Ethik (263–300: Martin Hailer). Die Vorüberlegungen liefern mit Begriffen wie »Orientierungswissen« und »eingestandene Positionalität« durchaus markante Stichwörter, an denen sich das Profil der Dogmatik entwickeln ließe. Dieser Ball wird im allzu hausbacken gehaltenen Dogmatik-Kapitel allerdings nicht aufgenommen. Die Disziplinbeschreibung charakterisiert zwar zutreffend die Transformation des Dogma-Begriffs durch den Protestantismus dahingehend, dass er sich »von einer Satzwahrheit zu einer Diskurswahrheit« verschoben hat (224). Die weiteren Ausführungen aber, die sich vor allem an K. Barth, G. Ebeling, E. Jüngel und W. Pannenberg orientieren, lassen leider jede ›Griffigkeit‹ vermissen. Bemerkenswert ist lediglich, dass Hiller den sonst oftmals negativ besetzten Begriff der Globalisierung ausdrücklich positiv aufnehmen kann: Die ökumenische, die kontextuelle und die befreiungstheologische Dimension (systematisch-)theologischen Reflektierens werden als drei Varianten der dialogischen Vermittlung des Wortes Gottes im globalen Kontext namhaft gemacht. Das in enzyklopädischer Hinsicht maßgebliche Stichwort lautet ›Disziplin‹. Darunter wird zunächst – in ausdrücklicher Anknüpfung an K. Barth – die konsequente »Ausrichtung [scil. systematisch-theologischer Arbeit] am Glaubensbekenntnis« verstanden (245 f.). Auf dieser Basis kann die Systematische Theologie dann den anderen Disziplinen »als Orientierung der je eigenen Fragestellungen auf den Gegenstand der Theologie« dienen (244; vgl. 250 ff.), ein Ansatz, der am Beispiel des Gebets durchdekliniert wird.
Die Disziplinbeschreibung der Ethik ist am Begriff der Freiheit als dem Entdeckungsthema der evangelischen Ethik orientiert. Die pluriforme Bearbeitung dieses Themas wird sowohl an verschiedenen Ethiktypen als auch im Blick auf unterschiedliche materialethische Inhalte vorgeführt; anders als im Dogmatik-Kapitel ist hier das Interesse an der Einbeziehung zeitgenössischer Positionen deutlich erkennbar. Ähnlich souverän wird der enzyklopädische Ort der Ethik bestimmt, wobei der Hinweis auf die »vergessene Nachbarschaft« zwischen Ethik und Praktischer Theologie (291 f.) besondere Beachtung verdient – ein Punkt, der im Kapitel zur Praktischen Theologie leider nur andeutungsweise aufgenommen wird (vgl. 324.341 f.). Ein »disziplinäres Eigenleben der theologischen Ethik« (293) wird einleuchtend mit dem Hinweis auf die unhintergehbare handlungspraktische Dimension des christlichen Glaubens begründet. Sofern nun Handeln als Implikation des Gebets begriffen werden kann (vgl. 298), kann von einer »organisierenden und erschließenden Kraft« des Gebetsthemas für die theologische Ethik gesprochen werden (299).
Das Schlusskapitel behandelt Praktische Theologie sowie Religions- und Gemeindepädagogik (301–361: Traugott Roser, Renate Zitt). Die Disziplinbeschreibung setzt erneut historisch an; es folgt eine reichhaltige Skizze der zahlreichen unterschiedlichen Konzeptionen des Faches, die seit dem Beginn des 20. Jh.s eine Rolle gespielt haben und zum Teil noch gegenwärtig virulent sind. Als Grundproblem der Praktischen Theologie wird sodann das »Verhältnis von Theorie und Praxis« namhaft gemacht (323), ein Zusammenhang, der als »ein deduktiver oder inklusiver, ein normativer oder kritischer, deskriptiver oder strategischer« aufgefasst werden kann (325). In enzyklopädischer Hinsicht wird die Praktische Theologie als Deutekunst ausgewiesen, die als Wahrnehmungs-, Reflexions- und Gestaltungskunst in engem Zusammenspiel mit den historischen Disziplinen und der Systematischen Theologie agiert (vgl. 335 ff.). Der Dreischritt von Wahrnehmung, Reflexion und Gestaltung wird dann am Gebetsthema verdeutlicht. Den Ausgangspunkt bildet eine Bestandsaufnahme zur Gebetspraxis in der zeitgenössischen Populärkultur, die dann zunächst reflexiv an historische und systematische Theoriebestände zurück gebunden wird; am Ende stehen Überlegungen zur Gebetspraxis in religiösen Bildungsprozessen.
Dass im Buch, wie der Untertitel suggeriert, »Ein enzyklopädischer Zugang« enthalten ist, wird man nicht sagen können. Vielmehr handelt es sich um jeweils fachperspektivisch imprägnierte enzyklopädische Zugänge der unterschiedlichen theologischen Disziplinen. Dem insgesamt hohen Informationswert, vor allem im Blick auf die historisch gewordenen Profile der einzelnen Fächer, tut dies allerdings keinen Abbruch.