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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

534-536

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hrsg. v. H. Junghans (†).

Titel/Untertitel:

Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 3: Quellen zu Thomas Müntzer. Bearb. v. W. Held (†) u. S. Hoyer.

Verlag:

Leipzig: Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kommission bei der Evangelischen Verlagsanstalt 2004. 294 S. gr.8° = Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25/III. Lw. EUR 44,00. ISBN 978-3-374-02180-2.

Rezensent:

Martin Brecht

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag d. Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hrsg. v. H. Junghans (†) u. A. Kohnle. Bd. 2:Thomas Müntzer Briefwechsel. Bearb. u. kommentiert v. S. Bräuer u. M. Kobuch. Leipzig: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kommission bei der Evangelischen Verlagsanstalt 2010. L, 581 S. gr.8° = Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25/II. Lw. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-02203-8.


Eine neue kritische Müntzer-Gesamtausgabe war schon längst das Desiderat der gesamten Reformationsforschung. Zu unzulänglich war die einbändige Vorgängerin von 1968, auf die – hilfreich für den Benutzer – in Marginalien noch verwiesen wird. Zu erheblichen Teilen realisiert wurde das neue Projekt in einem wissenschaftsgeschichtlich denkwürdigen Zusammenwirken von Kirchen- und Profanhistorikern aus der ehemaligen DDR. Wenn der erste Band (Schriften und Fragmente) hoffentlich bald noch hinzukommt, werden auch die beiden Heidelberger Historiker Gottfried Seebaß(†) und Eike Wolgast beteiligt sein. Unter dem im Vorjahr verstorbenen Helmar Junghans ist die Edition unter das Dach der Sächsischen Akademie geholt und mit seinem Einsatz dann auch tatkräftig und prägend vorangetrieben worden, wodurch sich der Denkmalcharakter des Unternehmens nochmals verdoppelt. Nach dem Tod von Junghans ist der jetzige Leipziger Kirchenhistoriker Kohnle in die Projektleitung eingetreten.
Es empfiehlt sich der Erscheinungsfolge nach mit der Besprechung des dritten Bandes einzusetzen. Das Vorwort von Junghans bietet einen Abriss der Darstellungen und Editionen von Müntzer bis zur vorliegenden Ausgabe, die nach Konfrontation und Nebeneinander als das Resultat eines fruchtbaren Dialogs verstanden wird. In der Einleitung der Herausgeber hätte man Angaben über deren Geschäftsverteilung erwartet. Die insgesamt 176 Quellentexte versammeln alle direkten, zumeist zeitgenössischen Informationen zu Müntzer und dessen unterschiedlichen Lebensstationen. Das beginnt mit dem Geburtsort Stolberg, führt dann zu den Studienorten Leipzig und Frankfurt/O., weiter vor allem zu den zu­meist kurzfristigen Tätigkeitsorten Braunschweig, Jüterbog, ausgedehnter dann Zwickau, Böhmen mit Prag, Halle (Saale), Allstedt, Mühlhausen, Basel, Frankenhausen und Heldrungen. Dazu kommen die Beziehungen dritter Personen (u. a. Luther und Karlstadt) sowie die der Behörden auf Müntzer. Den Schluss bildet, weil als nicht authentisch beurteilt, der Widerruf Müntzers vor seinem Ende. Den Texten steht ein Kopfregest voran. Die Provenienz wird nachgewiesen, ebenso frühere Editionen. Den lateinischen und tschechischen Quellen ist eine deutsche Übersetzung beigegeben. Die Anmerkungen bieten die erforderlichen Nachweise und erörtern die Einordnung der Angaben in das Leben und Wirken Müntzers. Man hat hier somit alles bequem beieinander, was man zur Beschäftigung mit Müntzer braucht, und das bringt eine große Erleichterung mit sich. Als anzuerkennender Vorteil wird hervorgehoben, dass damit die Edition sowohl der Briefe als auch der Schriften enorm entlastet ist, indem sich beide auf den Quellenband beziehen können.
Müntzers Briefwechsel wurde von dem Kirchenhistoriker S. Bräuer und dem in den sächsischen Archiven tätigen M. Kobuch bearbeitet und kommentiert, beide bereits lange Jahre mit den Müntzer-Materialien befasst und als Team sich hervorragend ergänzend. Die knappen Hinweise zur Benutzung (VIII) informieren, wie in der Edition verfahren wird, und ersetzen die an sich zu erwartenden ausführlichen Editionsrichtlinien. Das Verzeichnis führt 152 Briefe auf bis zum letzten Zettel, dazu 16 Stücke zum Konflikt um die Zerstörung der Mallerbacher Kapelle (bei Allstedt) 1524 (508–534). Dieser Anhang hätte sachgemäß in den Quellenband gehört und ist hier also nachgetragen. Nach dem Verzeichnis folgt S. XV–XXI die Auflistung der Siglen zitierter Lexika, Literatur, Quellen und Zeitschriften, wo nötig auch noch nach den unterschiedlichen Auflagen geordnet, faktisch ein Großteil der Veröffentlichungen über Müntzer. Die Fülle mutet beschwerlich an und ist allenfalls partiell zu behalten, so dass man gegebenenfalls ständig nachschlagen muss. Aber es ist einzuräumen, dass auf diese Weise die Apparate enorm entlastet und verschlankt worden sind, und so kann das gewählte Verfahren doch als akzeptabel bezeichnet werden. Auf eine eigene Aufführung der sonst noch herangezogenen Literatur ist allerdings verzichtet. Vorweg lässt sich sodann S. Bräuer in einem Nachruf über »Helmar Junghans und die Müntzerforschung« aus (XIII– XVIII). An sich war Müntzer für Junghans allenfalls ein Teilgebiet seiner Forschung. Aber als einer der Wissenschaftsorganisatoren der Reformationsforschung in der einstigen DDR war er schon vor der Wende zunehmend und sodann mitbestimmend auch in die Befassung mit Müntzer und deren Planung involviert. Der Sammelband »Der Theologe Thomas Müntzer« (1989) ist dafür ein eindrücklicher Beleg. Wie stark Junghans die Kritische Müntzer-Gesamtausgabe in ihrer jetzigen Gestalt dann faktisch geprägt hat, darauf wird unten nochmals einzugehen sein. Die Einleitung des Briefbandes stammt nunmehr von S. Bräuer (XXXIX–L). Sie ist als Bericht über die Müntzer-Briefeditionen angelegt und geht dabei vor allem auf die bereits vor langen Jahren angelaufenen Planungen einer Neuausgabe ein, ein nicht zuletzt wissenschafts- und zeitgeschichtlich interessantes Kapitel bis in die Aufnahme der Planungen nach 1989 hinein. Nicht vergessen sein sollen die diversen, jeweils elaborierten Register am Ende des Bandes (533–581), die allen denkbaren Ansprüchen zu ge­nügen bemüht sind.
Der Qualitäten der Edition wird man erst ansichtig, wenn man sich den Briefen selbst zuwendet. Der Vorspann vor dem Text ist jeweils überaus sorgfältig ausgearbeitet und angeordnet: Datum (unter Umständen erschlossen), Absender und Adressat (fett), Regest, Überlieferungsart mit Provenienz (vielfach der Bestand von Müntzers heute in Moskau befindlichem Briefsack), mit Papierart und Abmessungen, Nachweis von Faksimile, Abbildung, Editionen, Übersetzung und Literatur. Bei Bedarf werden besondere mit dem Dokument zusammenhängende Sachfragen erörtert. Auf den Text folgt ein textkritischer Apparat direkt zur Vorlage oder auch Varianten bietend. Zu Müntzers letztem Brief beansprucht das Seiten. Innerhalb der Textkritik können auch frühere Textdarbietungen kritisiert und richtiggestellt werden. Darunter folgt möglichst textnah gegebenenfalls die deutsche Übersetzung. Die Anmerkungen sind sehr eingehend gehalten. Man erhält die nötigen Bedeutungs- oder Personennachweise. Dazu werden die Berücksichtigung und Erörterung der Quelle in der Forschung ausgebreitet.
Mit ihrem reellen Informationswert vermögen die Anmerkungen stets die Aufmerksamkeit des Benutzers zu fesseln. Die Versiertheit und Vertrautheit der Bearbeiter mit der Materie zahlen sich hier aus. Auch lediglich erwähnte Briefe werden wenigstens mit ihrem Nachweis aufgeführt. Wo eine doppelte Überlieferung (Handschrift und Druck) vorliegt, wird sie zweispaltig parallel wiedergegeben. In Abbildungen werden besondere Handschriften oder die Titelblätter der Drucker geboten. Als Beilagen sind die einzelne Stücke ergänzenden Dokumente aufgenommen. Wo es geboten erscheint, wird ein Zusammenhang in einem besonderen Exkurs erläutert. Die Edition kommt in nahezu jeglicher Hinsicht so gut wie fehlerfrei daher, bei dem Reichtum und der Komplexität der Informationen zur einzelnen Quelle ein erstaunlicher und darum bemerkenswerter Umstand.
Wie schon aus der vorhergehenden Präsentation hervorgeht, hat man es bei dem vorliegenden Werk mit einer Edition de luxe zu tun, die kaum einen Wunsch mehr offen lässt. Das verdient alle Anerkennung und Bewunderung. Das hohe Verdienst kommt zum einen der Kompetenz der Bearbeiter zu, vorweg dem unermüdlichen Siegfried Bräuer. Zum andern spürt man hier nochmals die schon vom Lutherjahrbuch her bekannte bewundernswerte Präzision von Helmar Junghans. Er hat sich nicht mit der formalen Rolle des Gesamtherausgebers begnügt. Hinter der Angabe, das Layout stamme von ihm, verbirgt sich bei der vorgegebenen Kompliziertheit der Herstellung der Druckvorlage ganz hohe Kunst. So gestaltet sich die Beschäftigung mit der Edition nicht nur als Arbeit, sondern auch als Vergnügen. Die Wissenschaft hat zu danken!