Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

518-520

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kim, Seyoon

Titel/Untertitel:

Christ and Caesar. The Gospel and the Roman Empire in the Writings of Paul and Luke.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2008. XVI, 228 S. gr.8°. Kart. US$ 24,00. ISBN 978-0-8028-6008-8.

Rezensent:

Heike Omerzu

Seyoon Kim hat es sich zur Aufgabe gestellt, die vor allem im nordamerikanischen Raum in den letzten Jahren immer populärer gewordene »anti-imperiale« Interpretation des Neuen Testaments zu widerlegen und stattdessen das Verhältnis von Paulus und Lukas zum Römischen Reich angemessen zu beschreiben. Allerdings räumt K. bezeichnenderweise bereits im Vorwort »deficiency in thoroughness« (XI) ein – eine der wenigen Aussagen im Buch, denen die Rezensentin uneingeschränkt zustimmen kann. Doch sei der weiteren Kritik zunächst ein kurzer Abriss des Buches vorangestellt.
Im ersten Hauptteil werden zunächst verschiedene »anti-imperiale« Deutungen von 1/2Thess, Phil, Röm und 1Kor skizziert (Kapitel 1 f.), daraufhin die vermeintlichen methodischen Mängel dieser Sichtweise benannt (Kapitel 3: »Parallelomania«, Deduction from Assumptions, Proof-texting, Appeal to Coding) und schließlich verschiedene exegetische Beobachtungen angeführt, die einer romkritischen Paulusinterpretation zuwiderliefen (Kapitel 4). Dazu gehören nach K. u. a. das Fehlen jeder expliziten Kritik an Rom und dem Kaiserkult, die Naherwartung des Paulus und dessen Ethik des Ausharrens. Das wichtigste Argument bietet jedoch Röm 13,1–7, »the Achilles’ heel of any anti-imperial interpretation of Paul« (70), wie auch in der knappen Zusammenfassung (Kapitel 5) nochmals herausgestellt wird. Der zweite Hauptteil ist thematisch angelegt, indem jene Elemente des lk Doppelwerkes vorgeführt werden, die angeblich dessen Lektüre als romkritisch widersprächen. Dazu zählen laut K. die Darstellung Jesu als politisch ungefährlicher Messias (Kapitel 7) sowie die Tatsache, dass dessen Erlösungswirken nicht in der Befreiung vom Römischen Imperium, sondern vielmehr von der Macht Satans bestehe (Kapitel 8 f.), was sich auch im Wirken der Apostel spiegele (Kapitel 10). Mögliche Gründe für das mangelnde Interesse des Lukas an einer »Political Materialization of Redemption« (161) sieht K. u. a. im Sitz im Leben des Doppelwerkes als Legitimation des Christentums für römische Soldaten und Amtsträger (173, in Aufnahme von Thesen Ph. F. Eslers), im poli­-tischen Realismus des Lukas sowie in dessen grundsätzlicher Wertschätzung der pax Romana (Kapitel 11). Auch dieser Hauptteil schließt mit einer Zusammenfassung, wenn auch nicht in Form eines eigenständigen Kapitels. Hier wird abschließend der im Vorwort angekündigte Vergleich zwischen Paulus und Lukas auf nur etwa einer halben Seite verhandelt. K. konstatiert »a remarkable agreement between Paul and Luke in their dialectical attitude to the Roman Empire or pax Romana and in their avoidance of ex­pounding the political implications of the gospel and formulating it in an anti-imperial way« (199). Es folgen ein Epilog, eine Auswahlbibliographie und Register.
So geboten eine kritische Auseinandersetzung mit »romkritischen« Interpretationen des Neuen Testaments auch ist, vermag K. diese doch nicht zu leisten. Er wirft seinen Kontrahenten durchweg methodologische Schwächen sowie Selbstwidersprüchlichkeit vor, oftmals in einem spöttisch-polemischen Ton (z. B. 38: »So, some are stretched all their ingenuity to explain it away.«), der einer wissenschaftlichen Abhandlung nicht angemessen ist. Hauptgesprächspartner ist R. A. Horsley (XIV: »the leader of the movement«), doch auch J. R. Harrison, A. Smith, H. Koester, N. T. Wright, D. Georgi, N. Elliot und andere werden massiv attackiert. Das größte Problem erkennt K. darin, von einem Nebeneinander von offenem, sub­- versivem Gebrauch von Schlüsselbegriffen der römischen Kaiser­-ideologie wie beispielsweise εὐαγγέλιον, σωτερία, κύριος oder παρουσία und verdeckter Kritik an selbiger auszugehen: »Thus, the anti-imperial interpreters’ appeal to the device of coding amounts to an inad­vert­ent admission of the failure of their whole interpretative scheme.« (33) Gerade die von K. gleichfalls verhöhnte postkoloniale Exegese (32: »some sophisticated exegetes as well as those who have an avowed interest in the so-called postcolonial hermeneutics«) hat jedoch herausgearbeitet, dass hybride Diskursformen kennzeichnend für die Erfahrung von Ohnmacht und Unterdrückung sind. Überdies übersieht K., dass der Einfluss Roms sich nicht auf Kaiserkult und -ideologie beschränkte, sondern grundsätzlich die Le­benswirklichkeit aller Menschen des gesamten Mittelmeerraums prägte – bewusst oder unbewusst. Die Liste der ungerechtfertigten Kritikpunkte könnte noch verlängert werden, doch sei abschließend stattdessen auf die Mängel in K.s eigener Vorgehensweise hingewiesen.
An die Stelle gründlicher Exegesen treten oft lange Referate und Zitate der Sekundärliteratur, an die Stelle von Argumentationen Behauptungen (189: »It is out of the question that …«) oder rhetorische Fragen (59: »How would Paul have thought that …?). Röm 13 wird unkritisch und einseitig zum Schlüsseltext jeder politischen Pauluslektüre erhoben. Dass Begriffe wie »anti-imperial« und politisch keine nähere Bestimmung erfahren und damit auch die eigentlichen Streitpunkte unklar bleiben, sei nur nebenbei be­merkt. Das größte methodische Problem besteht jedoch in der Zusammenstellung von Paulus und Lukas und daraus resultierenden Zirkelschlüssen. Bereits im Paulusteil wird Apg wiederholt unkritisch zur Interpretation herangezogen (z. B. 43–50), etwa zu Phil 1,19–26, wo sich außerdem abstruse Spekulationen darüber finden, was die Appellation des Apostels an den Kaiser motiviert haben mag (48–50). Dort, wo sich K. nicht direkt mit Vertretern der »anti-imperialen« Interpretation auseinandersetzt, ist die Literaturauswahl begrenzt und veraltet, wird aber gleichwohl als »re­-cent« ausgewiesen (63, mit Anm. 65). Grundsätzlich ist bedauerlich, dass K. abgesehen von wenigen Titeln zur antiken christlichen Literatur nur auf in englischer Sprache vorliegende Werke zurück- greift. Im Lukasteil wird über weite Strecken – in Auseinandersetzung mit Horsley – über den »historischen«, nicht aber den »lukanischen« Jesus verhandelt, ohne dass dies eigens thematisiert wird. Dass K. am Ende zu dem Schluss kommt, das lk Doppelwerk vertrete eine Haltung »very similar to Paul’s on the question of Christ versus Caesar« (199), ist wenig überraschend, da es bereits im ersten Hauptteil als Vergleichstext herangezogen wurde.