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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

515-516

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Danove, Paul L.

Titel/Untertitel:

The Rhetoric of the Characterization of God, Jesus, and Jesus’ Disciples in the Gospel of Mark.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2005. XII, 190 S. gr.8° = Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series, 290. Kart. £ 39,99. ISBN 978-0-567-02810-5.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Die Monographie erarbeitet – einer bestimmten Tendenz in der jüngeren Markusexegese entsprechend – eine rein synchrone analytische und deskriptive Methode zur Erfassung der semantischen und narrativen Rhetorik der Wiederholung (repetition) und Charakterisierung von Handlungsträgern (characterization) im Markusevangelium (vgl. 1). Paul L. Danove, inzwischen »Professor of New Testament Studies« an der Villanova Universität, weitet hier einzelne Untersuchungen, die zwischen 1996 und 2003 in verschiedenen exegetischen Zeitschriften erschienen waren, zu einer monographischen Gesamtdarstellung aus. Sie umfasst insgesamt sechs klar gegliederte Kapitel (1–167) sowie Appendices, die die Verwendung des semantischen Inventars im MkEv graphisch veranschaulichen sollen (168–173). Es folgen eine kurz gefasste Bibliographie (174–183) sowie ein Stellen- bzw. Autorenindex (184–190).
Im ersten Kapitel (1–27) wird die Methode vorgestellt und entwickelt. Sie setzt voraus, dass der Text des MkEv seine eigene Interpretation leitet (vgl. 1 f.), und zielt darauf, eine solche textimmanent zu erschließende Leserlenkung dadurch zu erkennen zu geben, dass im vorliegenden Text die Mittel linguistischer bzw. semantischer und narrativer Rhetorik aufgedeckt werden. Dabei spielt die Repetition von Wörtern und Phrasen (3–4) sowie von ›abstrakten Konstruktionen‹ (abstracted constructs, 5–6) eine besondere Rolle. Anschließend skizziert der Vf. die Funktion der semantischen und der narrativen Rhetorik der Repetition, u. a. im Blick auf die rhetorische Strategie und ihre Wirkung auf den impliziten Leser (6–21), sowie die rhetorische und narrative Form und Funktion von Charakterisierungen bestimmter Handlungsträger (21–25).
Im zweiten bis vierten Kapitel finden die methodischen Überlegungen Anwendung auf die Analyse der drei führenden Charak­tere bzw. Personen oder Personengruppen im MkEv, nämlich: Gott (28–55), Jesus (56–89) und die Jünger Jesu (90–126). Die Analyse ergibt zwar keine überraschenden, aber doch einige differenzierende Einsichten in die narrative Gesamtstruktur des MkEv. Während ›Je­­-sus‹, der am häufigsten genannte Charakter im MkEv, das »primary vehicle for asserting and maintaining the reliability of the nar­-ration« (88) ist, ist die narrative Charakterisierung Gottes bei Markus weder eindeutig noch konstant: In Mk 1,1–8,26 kann der Leser Gott und Jesus als Handlungsträger weitgehend identifizieren. In der Passionsgeschichte dagegen (Mk 14,1–15,39/41) konzentriert sich die Identifikation des Lesers weitgehend auf Jesus, d. h. die Figur des ›Opfers‹ ( victim), gerade weil die Erwartungen der Leser in das Handeln Gottes enttäuscht werden und ein Überdenken von Wesen und Handeln Gottes notwendig machen (54–55). Die narrative Rolle der Jünger bleibt ambivalent, da diese teils die Identi­fizierung, teils aber auch die Distanzierung des Lesers evozieren (125–126).
Im fünften Kapitel (127–142) diskutiert der Vf., inwieweit die Frauen am Grab (Mk 15,40 f.47; 16,1–8) eine weitere Personengruppe darstellen, die die Charakterisierung der Gruppe der Jesus-Jünger rekapituliert. Zum einen führen die Frauen die in der Passionsgeschichte zunehmende Tendenz einer negativen Charakterisierung der Jünger ihrerseits fort. Zum anderen aber sind es die Frauen, die – im Unterschied zu den Jüngern – die Osterbotschaft hören und mit denen sich der Leser in kritischer Distanzierung zu identifizieren hat, denn er muss ja anders als die Frauen die Osterbotschaft aufnehmen, verstehen und weitergeben. Indem also der Leser – der Vf. unterscheidet nicht immer ganz deutlich zwischen »authorial«, »real« und »narrative audience« (z. B. 140) – teils zur Identifizierung, teils zur Distanzierung mit/von den narrativ entworfenen Handlungsträgern angeregt wird, ist er nicht einfach Teil der Erzählung des MkEv, sondern wird zum eigenständigen Rezipienten des Evangeliums als Verkündigung (»… the Gospel is gospel«, 142). Dem Vf. gelingt es so, aufzuzeigen, wie die rhetorische, semantische und narrative Struktur des MkEv letztlich auch dessen textuelle Pragmatik als ›Evangelium‹ generiert.
Im sechsten Kapitel (143–167) fasst der Vf. seine Beobachtungen zusammen und appliziert sie darüber hinaus auf verschiedene weitere Fragestellungen der Markusexegese (z. B. 167), so etwa die historische Frage nach der real audience und ihrer geschichtlichen Situation (161–164). Der Vf. versucht also erfreulicherweise, die Ergebnisse aus der synchronen Analyse auch für historische Fragestellungen relevant zu machen.
Dennoch gilt: So sehr diese textimmanent geleitete Untersuchung aufschlussreiche und differenzierende Einsichten in die textuelle Struktur des MkEv erlaubt, indem sie sich auf den vorliegenden Evangelientext und dessen Analyse konzentriert, so sehr bleibt darauf hinzuweisen, dass der Text nicht nur durch seine semantische, narrative und rhetorische Struktur, sondern auch durch seinen historischen und situativen Kontext bedingt und geprägt und somit auch zu erschließen ist. Synchrone und diachrone Fragestellungen sind und bleiben letztlich zwei Seiten einer Medaille.