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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

512-515

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Belezos, Constantinos J. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Saint Paul and Corinth.2 Vols. International Scholarly Conference Proceedings (Corinth 23–25 September 2007). Hrsg. in Zusammenarbeit m. S. Despotis u. Ch. Karakolis.

Verlag:

Athen: Psichogios Publications 2010. Vol. 1: 753 S. m. 16 Tfn. m. Abb. gr.8° = Religious Topics. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-960-453-659-7; Vol. 2: 879 S. gr.8° = Religious Topics. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-960-453-660-3.

Rezensent:

Dietrich-Alex Koch

Vom 23. bis 25. September 2007 fand in (Nea-)Korinth eine internationale Tagung über »Saint Paul and Corinth« mit dem Untertitel »1950 Years since the Writing of the Epistles to the Corinthians. Exegesis – Theology – History of Interpretation – Philology – Philosophy – St Paul’s Time« statt. Die zahlreichen Beiträge sind jetzt in einer stattlichen zweibändigen Druckfassung erschienen. Sie enthalten neben den Grußworten und vier einleitenden Überblicken zum Leben und Wirken des Paulus 78 Vorträge. Für diese standen auf der Tagung jeweils 15 Minuten zur Verfügung, was sich insofern positiv auswirkte, als viele Beiträge eine klare These aufweisen. Ein Teil ist in seiner ursprünglichen thetischen Form abgedruckt, andere sind breiter ausgearbeitet. Eine beachtliche Anzahl von ihnen (insgesamt 27) ist in Neugriechisch abgefasst, wobei 25 eine englische Zusammenfassung aufweisen. Die einzelnen Beiträge sind alphabetisch geordnet, wodurch die allfälligen Zuordnungsprobleme bei der Bildung von Untergruppen entfallen, doch stehen dadurch sachlich zusammengehörige Aufsätze weit auseinander. Da die Bände keinerlei Register aufweisen, ist die Suche zum Teil etwas mühsam.
Die Korintherbriefe bieten mit ihrer charakteristischen Verbindung von grundsätzlicher theologischer Reflexion und gemeinde- und umweltbezogenen Diskussionen ein dankbares Feld für eine Fülle anregender Beiträge. Entsprechend breit gefächert ist das thematische Spektrum, vermehrt durch die Vielfalt der methodischen Zugangsweisen.
Als Einstieg eignen sich die Beiträge von E. Lohse und W. Meeks. Lohse behandelt »St. Paul’s arrival at Corinth and his first Preaching there« und interpretiert Paulus als Ausleger frühchristlicher Überlieferungen. Meeks fragt umgekehrt »What Did Corinth Teach Paul?« und erörtert, was Paulus seinerseits aus dem Dialog mit den korinthischen Männern und insbesondere auch mit den dortigen Frauen gelernt hat.
Mit der archäologischen Situation beschäftigt sich nur ein – al­lerdings recht umfangreicher – Aufsatz, verfasst von M. Goutzioudis (I, 443–464). Er wird durch 30 Abbildungen ergänzt, ist allerdings in Neugriechisch abgefasst, gefolgt von einer recht summarischen englischen Zusammenfassung. Dagegen werden die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge wesentlich stärker beach­tet. I. Ka­ra­vidopoulos behandelt informativ den religiösen Pluralismus in Korinth zur Zeit des Paulus. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem ποτήριον bzw. der τράπεζα δαιμονίων von 1Kor 10,21: W. Willis verweist auf das Mahl nach dem öffentlichen Opfer, obwohl er einen festen Gebrauch von τράπεζα θεῶν nur postulieren, jedoch nicht nachweisen kann. B. M. Winter gibt einen instruktiven Überblick über den provinzialen Kaiserkult in Korinth. Dass der Begriff des (kultisch verehrten) genius des Kaisers mit δαίμων (ἀγαθός) wiedergegeben werden konnte, ist zutreffend, aber deshalb muss 1Kor 10,21 nicht unmittelbar auf den Kaiserkult bezogen werden: Die Abwertung der Götter als Dämonen im zeitgenössischen Judentum ist als Voraussetzung völlig hinreichend. Den jüdisch-apokalyptischen Hintergrund der Himmelsreise von 2Kor 12,2–4 beleuchtet D. Kaimakis. J. Verheyden verteidigt kenntnisreich die These, dass es sich bei den Wendungen χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον (»ein tönendes Erz oder eine gellende Zimbel«) um eine ironische Anspielung auf orientalische Kulte handelt.
Die innere Situation der korinthischen Gemeinde wird ebenfalls mehrfach erörtert: M. Ebner liest Apg 18,1–18 als lukanisches »Genrebild« über die sozialen Grenzüberschreitungen frühchristlicher Gemeinden, die als Hausgemeinden in einem heidnischen Haus für Juden und Heiden offen sind und zum Ort der Versöhnung sozialer Gegensätze werden (I, 548). Auf der anderen Seite wendet sich Ch. Caragounis vehement gegen die Annahme einzelner kleinerer Hausgemeinden in Korinth: Er rechnet mit mehreren hundert Mitgliedern, die sich möglicherweise sogar in einer der römischen Basiliken versammelten! Im Übrigen hält er die römische Kolonie Korinth für eine durch und durch griechische Stadt; es sei daher unberechtigt, römische Patron-Klienten-Verhältnisse auf Korinth zu übertragen.
Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit der Eschatologie der Korintherbriefe: J. Schlosser fragt nach der Bedeutung von »Reich Gottes« in 1Kor 4,20 und sieht darin eine kritische Wendung des Paulus gegen den »enthousiasme eschatologique des spiritualistes corinthiens« (II, 667). U. Schnelle behandelt die Wandlungen der paulinischen Eschatologie, insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem in Korinth anzunehmenden anthropologischen Dualismus. M. de Boer beschäftigt sich mit der Debatte um die soziale Stellung der Auferstehungsleugner und stellt fest: »The social location of the deniers, no more than their alternative understand­ing of life after death or precise cause of their denial, plays no role in Paul’s substantive argument for what in Corinth is being denied, namely, ἀνάστασις νεκρῶν« (I, 345). O. Hofius behandelt (auf Neugriechisch!) den Zusammenhang von Christologie und Auferstehungsaussagen in 1Kor 15. Die unterschiedliche Verwendung von (ἀποθνῄσκειν) ὑπέρ in den christologischen Sterbens- und Auferweckungsaussagen von 2Kor 5,14–15 untersucht R. Bieringer und kommt zu dem Ergebnis: In der verschiedenartigen Verwendung von ὑπέρ, die sich zwischen »in place of«, »as representative of«« und »for the benefit of« bewegt, »Paul is not just taking over Greek-Hellenistic language, nor simply repeating an early Chris­tian formula, but filling a faith statement with new life under specific historical conditions in the Corinthian community« (I, 327). Benachbart sind die Ausführungen von C. Breytenbach, der ausgehend von 1Kor 1,18 nach dem Zusammenhang zwischen ἀπο-θνῄσκειν ὑπέρ und (παρα)διδόναι ὑπέρ fragt und für beide Wendungen einen verwandten hellenistischen Hintergrund aufzeigt.
Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Beiträge zu 1Kor 7 und zur Stellung der Frauen in der korinthischen Gemeinde. U. von Arx interpretiert 1Kor 7 vor dem Hintergrund von Gal 3,28. Er weist darauf hin, dass die ›Entdifferenzierungen‹ von Gal 3,28 in 1Kor 7 unterschiedlich entfaltet werden: Während die Entdifferenzierung von ›Jude und Grieche‹ sowie von ›Freiem und Sklave‹ für die Ekklesia jeweils uneingeschränkt gilt, ist sie im Falle von Mann und Frau (auf dem Wege der Enthaltsamkeit) nur als individuelles Charisma zu realisieren. Mit dem Thema ›Verehrung‹ ( devotion) und ›Begehren‹ (desire) beschäftigt sich T. K. Seim. Sie entfaltet den antiken Diskurs über die Rolle der Frau, an dem Paulus natürlich grundsätzlich teil hat, und stellt fest: »Given the all-male discourse in the letter so far, the mutual manner by which the equal and reciprocal nature of sexual responsibilities is accentuated in 1 Corinthians 7:3–4 is all the more remarkable – even in its limitations« (II, 702). Weniger exegetisch als schöpfungstheologisch will K. N. Yokarinis die Gleichrangigkeit von Mann und Frau in der Gemeinde begründen (I, 419–442). K. Belezos (II, 319–351) führt die Spannungen in 1Kor 11,3–16 auf die Verwendung unterschiedlicher Traditionen zurück, auf eine ›hierarchische‹ Interpretation von Gen 2 rabbinischer Herkunft und ein anthropologisches Modell der »equality of the two sexes«, basierend auf Gen 1,26 und Gal 3,28. Doch ist zu fragen, warum Paulus diese Spannungen überhaupt in Kauf nimmt. Dass Paulus den Frauen lediglich Rücksicht im Sinne von 1Kor 10,29 und 10,33 nahelegen will, erscheint doch als etwas zu harmlos.
Mit der Bedeutung der paulinischen Rhetorik für die Entstehung der sog. Häresien in Korinth beschäftigt sich L. Thurén und gelangt zu dem durchaus kritischen Urteil: »If both Paul’s original exaggerated preaching and insinuating answers found in the Corinthian correspondence have proven arduous for modern schol­ars, who could blame the illiterate Corinthians for misunderstanding him?« (II, 754). A. Lindemann diskutiert »Paulus als Rhetor« anhand von 2Kor 10,10 (»Die Briefe, so heißt es, sind gewichtig und stark …, der λόγος aber ist verachtenswert«). Dabei sieht Lindemann den Grund für die negative Beurteilung des paulinischen λόγος nicht in der unter Umständen rhetorisch defizitären Gestalt der Predigt des Paulus, sondern in dessen anstößigem Inhalt. Dann müsste allerdings nochmals gefragt werden, wie aus Sicht der Gegner der Unterschied zwischen ἐπιστολαί und λόγος gemeint gewesen sein könnte. R. F. Collins behandelt die rhetorische Rolle der paulinischen Metaphorik, besonders in der rhetorischen Selbsterniedrigung des Apostels. P. Pokorný thematisiert die Bedeutung der Jesusüberlieferung und deren Transformation in 1Kor 7,10 f.; 9,14; 11,23–25 und 4,6–13.
Mit dem Verständnis von »Freiheit« als »theologischem Fundamentalmotiv« in den Korintherbriefen beschäftigen sich Ch. Landmesser und M. Konradt. M. Wolter fragt nach dem »Verhältnis zwischen christlichem Versammlungsethos und der christlichen Ge­staltung der alltäglichen Lebenswelt« (II, 839), wobei jeweils 1Kor 8–10 eine wichtige Rolle spielt, und J. Frey diskutiert (mit bejahendem Ergebnis) die Frage nach der Präsenz der Rechtfertigungslehre in den Korintherbriefen.
Schließlich ist die starke Beachtung der auslegungsgeschichtlichen Ansätze bemerkenswert. Mindestens zehn, zumeist griechischsprachige Beiträge befassen sich mit der Rezeption der Ko­rintherbriefe in der griechischen Tradition, angefangen von Klemens von Alexandrien (D. Koutsouris) bis hin zu Nikodemos Agiorites (1749–1809), über den A. Karamanidou handelt. Die westliche Rezeptionsgeschichte ist nur durch einen Beitrag vertreten, den von J. S. Vos: »Zur Auslegung von 1Kor 2,15 in der Reformationszeit«.
Insgesamt laden die beiden Bände zum Stöbern ein, und dabei erfährt man viel über die Korintherbriefe, aber auch über die Vielfalt heutiger Exegese.