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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

510-512

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seybold, Klaus

Titel/Untertitel:

Studien zu Sprache und Stil der Psalmen.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2010. VIII, 358 S. m. Abb. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft, 415. Geb. EUR 89,95. ISBN 978-3-11-024097-9.

Rezensent:

Beat Weber

Der emeritierte Basler Alttestamentler Klaus Seybold gehört zu den renommiertesten Psalmenforschern der Gegenwart. Seit seiner Habilitationsschrift von 1973 (»Das Gebet des Kranken im Alten Testament«, BWANT 99 – Neuabdruck 2009) hat er in vielfacher Weise Beiträge zu den Psalmen und ihrer Poesie vorgelegt. Am bekanntesten sind sein Psalmenkommentar (HAT I/15, 1996) und die Monographie zur »Poetik der Psalmen« (2003). Der vorliegende zweite Sammelband zu den Psalmen – der erste erschien 1998 unter dem Titel »Studien zur Psalmenauslegung« – steht insofern im Zusammenhang mit der genannten »Poetik«, als er in deren Kontext entstanden ist bzw. »die poetische Analyse weitergeführt wird« (V).
In der Einführung skizziert S. die derzeitige Forschungslage, die sich dadurch auszeichnet, dass die Redaktion und Komposition der Buchwerdung des Psalters erhellt und damit eingestiftete Sinnzuschüsse erhoben werden. Dazu finden sich in diesem Band zwei Beiträge (Nr. 15 und 20). Der Schwerpunkt der insgesamt 22 Beiträge (zwei davon in englischer Sprache) liegt allerdings in der Einzeltextarbeit, mit Schwerpunkt auf der poetologischen Analyse. Dabei werden auch psalmische Stücke außerhalb des Psalters berücksichtigt. Der vorliegende Band gliedert sich in forschungsgeschichtliche Beiträge (Nr. 1–4); es folgen Einzelpsalmstudien (Nr. 5–14), an die sich Arbeiten zu speziellen Problemen des Psalters anschließen (Nr. 15–20). Im Anhang sind zwei Basler Psalmen-Predigten beigegeben (Nr. 21–22). Die Studien werden mit Quellennachweis, Abkürzungen und Stellenregister beschlossen.
Im Einzelnen enthält der Band die folgenden Beiträge (in Klammern das Datum der Erstveröffentlichung): 1. Study of Psalms in the 19th Century, 10–33 (unveröffentlicht, 2009); 2. W. M. L. de Wettes Arbeit an den Psalmen, 35–52 (2001); 3. Bernhard Duhms Psalmenkommentar. Eine Glosse, 53–58 (2001); 4. David als Psalmsänger in der Bibel. Entstehung einer Symbolfigur, 59–77 (2003); 5. Klangformen im 44. Psalm, 81–92 (2007); 6. Zum Textprofil des 51. Psalms, 93–104 (2009); 7. Jerusalem in the View of Psalm 76, 105–112 (1996); 8. Psalm 85 als sprachliches Kunstwerk, 113–128 (2007); 9. Psalm 90 und die Theologie der Zeit (Zeiten), 129–143 (unveröffentlicht, 2001); 10. Formen der Textrezeption in Psalm 144, 145–154 (2000); 11. Textgenetische Hintergründe des 147. Psalms, 155–168 (2010); 12. Krise der Geschichte. Geschichtstheologische Aspekte im Moselied Dt 32, 169–189 (2005); 13. Der Hanna-Psalm (1. Sam 2,1–10), 191–206 (unveröffentlicht, 2009); 14. Der Jesajapsalm (Jes 12,1–6), 207–217 (2009); 15. Zur Geschichte des vierten Davidpsalters (Ps 138–145), 221–243 (2005); 16. Akrostichie im Psalter, 245–257 (2001); 17. Mnemotechnik in den Psalmen. Eine Spurensuche, 259–276 (unveröffentlicht, 2007); 18. Das Menschenbild der Psalmen, 277–292 (unveröffentlicht, 1999); 19. Feindbild und Menschenwürde in den Psalmen, 293–307 (2001); 20. Dimensionen und Intentionen der Davidisierung der Psalmen. Die Rolle Davids nach den Psalmenüberschriften und nach dem Septuagintapsalm 151, 309–328 (2010 [nicht 2008, wie im Quellennachweis angegeben]); 21. Krisenfestes Bekenntnis. Predigt am 23. Juli 2000 über Psalm 113 im Münster Basel, 331–338 (unveröffentlicht); 22. Enge und Weite. Predigt über Ps 119,26. Ökumenischer Semestereröffnungs-Gottesdienst in der Peterskirche Basel am 29. Oktober 1997, 339–343 (unveröffentlicht).
Eine detaillierte Erörterung der einzelnen Essays ist hier nicht möglich. Ich greife exemplarisch die bislang nicht veröffentlichten Studien Nr. 9, 13, 17 und 18 heraus.
Im Zusammenhang mit Ps 90, den er als durch die Überlieferung teilweise beschädigt einstuft und mit Textumstellungen rekonstruieren will (V. 4 gehört nach vorn zu V. 2, V. 1 eigentlich ans Psalmende), fragt S. nach einer sich in ihm abbildenden »Theologie der Zeit(en)«. Er eruiert Zeitwörter und Zeitstufen, bedenkt die Sprache des Mythos und die Stilform des Vergleichs und rückt das im Psalm gespiegelte Zeitverständnis in die Nähe von Deuteronomismus und Priesterschrift. In der Linie von P lässt der Psalm mit dem Wiederaufbau des Tempels (vgl. V. 16 f.) eine neue Periode beginnen, »die von der Gottesgegenwart und der verborgenen persönlichen Gnadengabe aus der göttlichen Zeit bestimmt ist« (142).
Den »Hanna-Psalm« (1Sam 2,1–10) stuft S. als Königspsalm ein, der aufgrund von V. 5 Hanna in den Mund gelegt wurde. S. behandelt Strophenbau, sieht sich zu einigen Textumstellungen veranlasst und bietet eine rekonstruierte Textfassung dar. Er beobachtet eine bestimmte Form der Akrostichie, die nach den Initialen gelesen r-’-sch m-l-j »Gipfel/Bestes meiner Worte« ergibt. Eine ur­sprüngliche Königsinschrift wird erwogen.
Im Essay zur »Mnemotechnik in den Psalmen« macht sich S. – insbesondere anhand von Ps 40 und Ps 44 – auf die Spurensuche nach Merkmalen an Gedächtnisstützen, Hilfen für das Auswendiglernen und die Aufbewahrung von Psalmtexten. Aufgrund der teilweisen Doppelüberlieferung von Ps 40 und 70 ergeben sich Indizien für die Verschriftung und Niederlegung einer Votivgabe und den Zugang von Betern zu einem Psalmenarchiv am Tempel. In Ps 44 werden Klangformen, Reime und Strophenbau erhoben. Besonders auffällig ist das häufige Vorkommen der Silbe -nu (38 Mal), die auf das hebräische Personalpronomen »wir« verweist und die betroffene Gemeinde litaneiartig in den Vordergrund rückt.
Im thematischen Beitrag zum »Menschenbild in den Psalmen« werden anhand der Psalmen 8; 39; 52; 139 Aussagen zum Menschsein in der jeweiligen Eintextung erarbeitet. Dabei wird die Doppelheit von existentiell verankerten, aus dem Gebet ergehenden Aussagen und aus der Tradition herkommenden Leitbildern zum Menschsein herausgestellt.
S. ist zu danken, dass er mit diesem Band die verstreut publizierten Aufsätze gesammelt, mit unpublizierten Beiträgen und dazu zwei Predigten ergänzt hat. Damit ist seine reiche Forschungstätigkeit an den Psalmen gut dokumentiert und leicht zugänglich gemacht. Eindrücklich ist namentlich sein poetisches Gespür für die Filigranität der Psalmen, von dem auch der Rezensent profitieren durfte. Dies gilt, auch wenn man ihm bei seinen textrekonstruktiven Überlegungen nicht immer zu folgen gewillt ist.