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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

508-510

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Olofsson, Staffan

Titel/Untertitel:

Translation Technique and Theological Exegesis. Collected Essays on the Septuagint Version.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2009. VI, 296 S. gr.8° = Coniectanea Biblica. Old Testament Series, 57. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-1-57506-807-7.

Rezensent:

Martin Rösel

Der Göteborger Alttestamentler Staffan Olofsson hat sich schon früh um die Frage nach inhaltlichen Veränderungen in der Psalmen-Septuaginta verdient gemacht; seine Dissertation »God is my Rock« (1990) und die begleitende kurze Einführung in die LXX »The LXX Version. A Guide to the Translation Technique of the Septuagint« (1990) sind lesenswerte, wenngleich zu wenig wahrgenommene Studien. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass nun eine Auswahl seiner Aufsätze veröffentlicht wird, die sich vor allem mit der griechischen Übersetzung der Psalmen beschäftigen. Hinzu kommt, dass in der aktuellen Septuaginta-Forschung intensiv die Frage diskutiert wird, ob und in welchem Umfang sich in den griechischen Versionen der biblischen Bücher eigene theologische Akzentsetzungen feststellen lassen. Hier stehen sich »Minima­listen« und »Maximalisten« gegenüber; die ersten rechnen nicht damit, dass die Übersetzer einen eigenen Aussagewillen hatten, während die anderen eine ganze Reihe von Belegstellen dafür zusammentragen, dass sich sehr wohl eigene, bewusst intendierte theologische Interessen feststellen ließen.
In dieser Diskussionslandschaft nimmt O. eine gemäßigt minimalistische Position ein, die er in den hier vorgelegten Aufsätzen mit methodischer Klarheit und Strenge zu begründen sucht. Mit Recht beklagt er eine »terminologische Konfusion« (3) bei der Beschreibung der unterschiedlichen Dimensionen der Übersetzungsweise in den einzelnen Büchern, allerdings sind von ihm selbst vorgeschlagene Definitionen etwa zum Problem der Kon­-sistenz der Übersetzungen so schwerfällig, dass sie sich nicht durchsetzen konnten.
Die Annahme eines theologischen Gestaltungswillens auf Seiten des Übersetzers wird von O. nicht per se abgelehnt, doch sie scheint ihm die ultima ratio zu sein, die erst angenommen werden kann, wenn alle anderen Erklärungsversuche wie eine abweichende Vorlage oder eine andere linguistische Ableitung ausscheiden (vgl. 196). Die Septuaginta erscheint daher als Beginn oder Anlass der interpretativen Tradition des hellenistischen Judentums, nicht aber als Zeuge für diese. Dies wird besonders in dem Aufsatz »The Septuagint and Jewish Interpretive Tradition« (86–104) auch im Vergleich mit den Targumim entwickelt. Dabei versteht O. die LXX als inspirierte Bibel des ägyptischen Judentums, die zum einen die hebräische Bibel ersetzen sollte, zum anderen aber wegen ihrer Inspiriertheit nicht geändert oder aktualisiert werden durfte. In Fällen, in denen die LXX geänderte Verstehensbedingungen im hellenistischen Milieu Alexandrias widerspiegelt, seien diese nur als »unbewusste theologische Interpretationen« einzuschätzen, nicht als Belege für theologische Beeinflussung durch den Übersetzer (26; ähnlich 225).
Es fällt schwer, diese Differenzierung nachzuvollziehen. So sehr einleuchtet, dass zwischen theologischen Veränderungen im Text der LXX und in ihrer späteren Rezeptionsgeschichte zu unterscheiden ist, so sehr ist doch auch deutlich, dass es zweitrangig ist, ob ein konkreter Übersetzer (den wir ja ohnehin nicht kennen) oder seine theologisch-religiöse Prägung durch sein Umfeld für eine Abweichung verantwortlich zu machen ist. Wichtig ist demgegenüber die Erkenntnis, dass sich Text und Inhalt von hebräischer Vorlage und griechischer Übersetzung voneinander unterscheiden und so für abweichende Rezeptionsgestalten gesorgt haben.
Mit seiner Einschätzung der LXX als inspirierter Bibel stellt O. sich gegen die minimalistische Position etwa von Albert Pietersma und seiner Schule, der die LXX als »crib« versteht, als Hilfsmittel, um auf den hebräischen Text zu verweisen, ihn gerade nicht zu ersetzen. Zum anderen stellt er sich gegen eine Fülle von Erkenntnissen gerade zum griechischen Pentateuch, die durchaus ein aktualisierendes Interesse bis hin zur Neuberechnung der gesamten Chronologie belegen. Damit ist zugleich der wichtigste Kritikpunkt zu äußern: Bei der Aktualisierung der Aufsätze wurde versäumt, die neueren Diskussionen aufzunehmen; die meisten Artikel sind auf dem Stand der 1990er Jahre. Das gilt auch und gerade für die neu verfasste »Introduction« (1–27), an der die aktuelle LXX-Forschung weitestgehend vorbeigegangen ist. In Fußnote 30 wird etwa auf »recent« erschienene Literatur verwiesen, deren jüngste aus dem Jahr 1979 stammt. Wichtige Diskussionen, wie die um das Interlinearitätsparadigma, werden nicht einmal erwähnt, bedeutende Autoren bleiben unerwähnt, von anderen fehlen wichtige Beiträge.
Zwar ist es durchaus löblich, wenn auf aufgeblähte Literatur-listen und Fußnoten verzichtet wird. Wenn aber ein Forschungszweig im Allgemeinen und die Frage nach der Theologie der LXX im Konkreten in den letzten Jahren förmlich explodiert ist, bleibt unverständlich, warum eine Publikation die im Titel den Anspruch formuliert, sich an der Diskussion zu beteiligen, darauf so ganz verzichtet.
In der genannten »Introduction« werden die einzelnen Artikel und die Hauptlinie ihrer Argumentation knapp vorgestellt, das ist sehr hilfreich zur Orientierung. Die Aufsätze im Einzelnen, deren eingehende Diskussion hier nicht geleistet werden kann: Jer 2:18 and Theological Exegesis (28–49); Consistency as a Translation Technique (50–66); The Crux Interpretum in Ps 2:12 (67–85); The Septuagint and Jewish Interpretive Tradition (86–104); Studying the Word Order of the Septuagint (105–133); Kaige Group and the Septuagint Book of Psalms (134–175); Texts from Qumran and the Septuagint (176–192); Death shall be their Shepherd (Ps 49:15) (193–223); Law and Lawbreaking in the Septuagint Psalms (224–276). Mit den eingangs genannten Einschränkungen, was die Aktualität angeht, ist die Lektüre der Artikel besonders wegen der minutiösen Textbeobachtungen durchaus ein Gewinn.
Alle Artikel waren bereits in zum Teil entlegenen Publikationsorganen veröffentlicht worden; für den Neuabdruck wurden sie einheitlich formatiert. Die Angabe der ursprünglichen Seitenzählung der Studien, die üblicherweise bei solchen Sammelbänden zur leichteren Orientierung und Verifikation von Zitaten mitgeteilt wird, fehlt leider. Noch ärgerlicher ist aber, dass jegliches Register fehlt; dies hätte den Gebrauchswert des Bandes wesentlich erhöhen können.
Schließlich ist ein kritisches Wort über das neu erstellte Ge­-samt-Literaturverzeichnis zu äußern. In keiner wissenschaftlichen Publikation habe ich bisher ein solches Chaos gesehen, das wohl auf den unkontrollierten Einsatz eines Datenbankprogramms zurückzuführen ist. So sind Werke bei falschen Autoren eingeordnet, bei A. Pietersma etwa die Dissertation von J. Schaper oder die LXX-Ausgabe von A. Rahlfs; Jahreszahlen und z. T. Bandzählungen der Werke fehlen bei Lexikonartikeln (z. B. beim ThWAT oder IDB), Herausgeber werden bei Sammelbänden nicht genannt, manchmal fehlt gar deren Titel (z. B. bei J. Barr; VT.S), und auf Aufsätze aus Sammelbänden wird per Kurztitel verwiesen, ohne dass der bibliographische Nachweis des Sammelbandes etwa bei dessen Herausgeber verzeichnet wäre (so bei J. W. Wevers oder M. Hengel, Die Septuaginta). Für nicht informierte Nutzer ist das Verzeichnis damit weitgehend unbrauchbar. Gelegentlich sind auch Satzfehler festzustellen (133: verrutschte Synopse), so dass man dem Buch insgesamt neben mehr Aktualität auch eine gründlichere Endkorrektur gewünscht hätte.