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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

506-508

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Otto

Titel/Untertitel:

Die Weisheit Salomos. Übersetzt u. eingeleitet.

Verlag:

Stuttgart: Radius 2010. 140 S. 8°. Geb. EUR 16,00. ISBN 978-3-87173-906-4.

Rezensent:

Karl-Heinz Bassy

Der Marburger Nestor der alttestamentlichen Wissenschaft hat nach seinen in der gleichen ansprechenden Weise herausgegebenen, mit ausführlichen Einleitungen versehenen Übersetzungen der Bücher Jesus Sirach (2005), Hiob (2006) und Kohelet (2007) nun die Weisheit Salomos in hervorragender, dem anspruchsvollen griechischen Text vollauf genügender Weise übersetzt und mit kenntnisreich erläuterten außerbiblischen Parallelen und pointierten Erläuterungen versehen.
K. lokalisiert das pseudonyme sprachliche und kompensatorische Kunstwerk in das ägyptische Alexandria der frühen Kaiserzeit, was die hohe philosophische und theologische Bildung des jüdischen Autors erklärt, der sich sowohl hellenistischen Einflüssen geöffnet als auch seinem eigenen Glauben treu erwiesen hat. Im Buch beeindrucken zahlreiche Anspielungen auf jüdische Texte (vor allem solche der Tora und der Apokalyptik) wie auch seine Anleihen im griechisch-hellenistischen Schrifttum, welches bei den damaligen Lesern als bekannt vorausgesetzt werden kann. Mithin erweisen sich Pseudosalomo und seine Leser als Angehörige einer gebildeten jüdischen Oberschicht. Das Werk stellt formal ein Protreptikos für die in der Tora wurzelnde Weisheit dar, in welchem mittels in Dienst genommener hellenistischer Rhetorik und Philosophie die Überlegenheit des Judentums über heidnische Religionen und Philosophien erwiesen werden soll. In seinen Gedanken über ein Jenseitsgericht steht das Buch der sich im 3. und 2. Jh. herausbildenden Apokalyptik nahe.
Traditionell gliedert K. das Opus in drei Teile: 1,1–6,21; 6,22–11,1 und 11,2–19,22, als deren Themen er »die Gerechtigkeit als Voraussetzung der Unsterblichkeit«, »das Erlangen der Weisheit als Voraussetzung für ein gerechtes Regiment und die Unsterblichkeit« und »Gottes strafendes Handeln an den frevelhaften Feinden und sein rettendes Handeln am Volk Israel« benennt und ausführt. Der erste Abschnitt bildet als eine in sich geschlossene Mahnrede formal eine siebenteilige Ringkomposition; der zweite ist ein siebenteiliges Enkomion auf die dem stoischen Logos entsprechende Weisheit, die als eine Emanation Gottes beschrieben wird und in hohem Maße von Isis-Mythologumena geprägt ist, der dritte Teil stellt eine Komposition aus sieben Synkrisen in der Gattung eines berichtenden Gotteslobes dar, in das als Ringkompositionen gestaltete Exkurse über Gottes Strafe und Milde und die Torheit des Bilderdienstes in 11,15–12,22(27) und 13,1–15,19 eingegliedert sind. Wegen der in der Forschung diskutierten sprachlichen und stilistischen Gleichartigkeit geht K. von einer einheitlichen Verfasserschaft aus. Sekundäre Einschübe stellen für ihn lediglich die den pythagoreischen Reinkarnationsglauben voraussetzenden Verse 8,19 f. und 9,15 dar.
In einem Anhang zu 13,1–15,19 wird knapp aber kenntnisreich auf die Geschichte des als denkende Erhebung des Menschen zu Gott legitimen teleologischen Gottesbeweises eingegangen, der sowohl in biblischen Schriften (Ps 19,2; 104,24; Koh 3,11; Spr 8,22–31; Sir 1,1–10) als auch in der philosophischen Tradition seit den Sokratikern bekannt ist.
Die geistige Situation der SapSal ist durch Gegensätze zwischen einerseits Toraobservanz praktizierenden und andererseits dem Hellenismus zugeneigten jüdischen Kreisen wie auch gegenüber dem heidnischen Gastvolk gekennzeichnet. Die im dritten Teil in der Polemik gegen eine landestypische Tierverehrung vorausgesetzten Konflikte stellen für K. ein nur schwaches Argument für die Abfassung des Buches in Alexandria dar. Die Lokalisierung wird aber durch die erkennbare Beeinflussung des Denkens PseudSal mittels des in der ägyptischen Metropole durch den Zeitgenossen Eudoros begründeten Mittelplatonismus gestützt. Die Datierung in die frühe Kaiserzeit begründet K. einleuchtend wie folgt: In 14,17cd wird erstens eine kultische Verehrung der römischen Kaiserstatue vorausgesetzt, die 27 v. Chr. im Osten eingesetzt habe. In 6,3 wird zweitens der in einem Senatsdekret aus dem Jahre 26 v. Chr. begegnende staatsrechtliche Ausdruck für die Verleihung einer Herrschaft ( kratesis) verwendet. Drittens kann das in 3,18b verwendete Wort diagnosis Äquivalent zum lateinischen cognitio sein und einen römischen Rechtsterminus darstellen. Falls es sich bei dem in 13,9b erwähnten Aion um den gleichnamigen Gott handeln sollte, wäre dies viertens ein weiterer Hinweis auf die Regierungszeit des Augustus (27–14 v. Chr.), in welcher der Gott als Friedensgarant des durch den Kaiser geschaffenen goldenen Zeitalters betrachtet wurde. Fünftens entwickelte sich in Alexandria eine auf dem Wohlstand und der relativ privilegierten Stellung der Juden beruhende antijüdische Haltung erst in römischer Zeit und sollte sich 38 n. Chr. in schweren Auseinandersetzungen entladen. K. wendet sich gegen eine Datierung des Buches in spätere Zeit, indem er sechstens die exegetischen Methoden und die Art der Spekulation über die Vermittlung zwischen Gott und Welt mit denen Philos vergleicht. Beschränkt sich PseudSal auf eine mit Andeutungen arbeitende typisierende Auslegung, so steht bei Philo die allegorische Methode im Vordergrund. Hat jener die Rolle der Weisheit als Mittlerin zwischen Gott und Welt unter Aufnahme biblischer Aussagen und mittels Anleihen bei stoischen Lehren so beschrieben, dass das Alleinverehrungsgebot nicht verletzt wurde, so handelte Philo (ca. 15 v. Chr.–50 n. Chr.) energischer und schrieb diese Rolle dem Logos als der göttlichen Vernunft zu, so dass er unter die Mittelplatoniker gezählt werden kann, womit sich das Weisheitsbuch in seiner behutsameren Art als das ältere Werk erweist.
Die politische und geistige Welt Pseudosalomos ist durch die Existenz eines seine Identität bewahrenden und zugleich neuen Einflüssen öffnenden Diasporajudentums in einem attraktiven hellenistischen Umfeld gekennzeichnet. Nach einem Abstecher in die Historie skizziert K. das zeitgenössische Judentum und geht im Blick auf das Los der verstorbenen Seelen auf die stoische und (mittel-)platonische Philosophie sowie auf orphisch-pythagoreische Mysterien ein. Der hellenistische Einfluss auf das Weisheitsbuch komme bereits durch die in der hebräischen Bibel gar nicht und in der griechischen Bibel nur hier vorkommenden Worte »Unsterblichkeit« (3,4; 4,1; 8,13; 15,3; 17,10; Adjektiv 1,15) und »Un­vergänglichkeit« (2,23; 6,19; Adjektiv 12,1; 18,4 f.) zum Ausdruck. Eine genauere Betrachtung der genannten Belege ergebe, dass »unter dem griechischen Mantel ein jüdisches Herz schlägt«, zumal die These des zur Unvergänglichkeit erschaffenen Menschen in 2,23 aus Gen 1,28 und mithin der Gottesebenbildlichkeit abgeleitet werde. Die Sterblichkeit des Menschen wird mittels einer Anspielung auf vit.Ad. 15–17 erklärt, sodass weiterhin die Unsterblichkeit der Gerechtigkeit gilt, darum allein die Torafrömmigkeit zur Hoffnung auf Unsterblichkeit berechtigt und mithin die Frevler dem Tode verfallen. Dabei äußert sich PseudSal hinsichtlich des endzeitlichen Dramas seiner kundigen Leserschaft entsprechend zurückhaltend, tröstet aber zugleich, indem er nunmehr selbst den Tod eines jungen Frommen nicht als dessen Verwerfung, sondern als einen Akt göttlicher Fürsorge versteht (4,7–14b). Die Weisheit erscheint als Gottes der Welt zugewandte Seite und damit als Mittlerin zwischen den Irdischen und dem transzendenten Gott. Dabei erweist sie sich (7,22b–23) in Entsprechung zum weltgestaltenden stoischen Logos (der mit Zeus identisch ist) als eine unmittelbare Wirkung göttlicher Macht, als Ausfluss göttlicher Herrlichkeit, aber eben nur als Abglanz eines ewigen Lichtes und in ihrer Rolle als Tugendlehrerin (8,7) als Fortsetzung der hellenistischen Ethik. Die durch Eudoros eingeleitete Wende zum mittleren Platonismus, dem es auf eine Gottähnlichwerdung als Ziel ankam, wird in 7,27d deutlich, wo die Weisheit den Menschen zu Gottes Freund macht und mithin eine Tendenz zur religiösen Verinnerlichung zum Ausdruck kommt.
K. stellt zutreffend eine »eigentümliche schwebende Stellung der Weisheit« fest, da PseudSal das Verhältnis zwischen Gott und Welt im Rahmen der biblischen Schriften bestimmte und die Weisheit so weit von Gott absetzte und zugleich so nahe an ihn heranrückte, dass er sie »einerseits Gott an die Seite stellte und andererseits ihre Funktionen mit denen Gottes identifizierte«, sodass sie als eine schillernde Größe zwischen einer Personifikation und einer Hypostase erschien. Damit habe eine Entwicklung begonnen, die über Philo, den Johannesprolog und die Verheißung des Parakleten zur Ökumenischen Synode von Nizäa 325 führte.
Bemerkenswert ist, dass in einem Anhang zwei im Kontext bedeutsame Texte, nämlich der Zeus-Hymnus des Kleantes und die Isis-Aretalogie von Kyme, in einer angenehmen Übersetzung vorgelegt werden. Darüber hinaus werden zahlreiche biblische und außerbiblische Parallelstellen angeführt und erläutert, so dass sowohl die Einbindung des Werkes in den Diskurs über biblische Themen im Rahmen einer gehobenen hellenistischen Bildung seiner Zeitgenossen als auch seine Bedeutung für den biblisch und geistesgeschichtlich interessierten modernen Leser deutlich werden. Ein wohldosiertes Literaturverzeichnis rundet das empfehlenswerte und auch für den akademischen Unterricht bestens geeignete Büchlein ab und dürfte die Diskussion dieses in weiten Kreisen nahezu vergessenen Werkes neu beleben.