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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

501-502

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Staubli, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wer knackt den Code? Meilensteine der Bibelforschung. M. Beiträgen v. E. S. Gerstenberger, D. Hecking, E. Kobel, M. Saur, S. Schroer u. L. Sutter Rehmann.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 2009. 158 S. m. zahlr. Porträts. 8°. Geb. EUR 14,90. ISBN 978-3-491-72542-3.

Rezensent:

Georg Freuling

Der Titel des Buches klingt nach Thriller oder populärwissenschaftlicher Darstellung, dahinter aber verbirgt sich eine kurz gefasste und gut lesbare Geschichte der Bibelauslegung von den Anfängen der historisch-kritischen Forschung bis in die Gegenwart. Wie ältere Darstellungen (Smend, Reventlow) bietet das Buch Porträts ausgewählter Exegetinnen und Exegeten, wobei der Schwerpunkt auf dem Alten Testament liegt. Die Porträts wurden zuerst im Berner Pfarrblatt veröffentlicht und sind einheitlich zwei Seiten kurz. Diese Kürze führt zu einer weitgehend gelungenen Konzentration auf das Wesentliche, auch wenn Details und Differenzierungen so verständlicherweise ausbleiben müssen. Eine wertvolle Ergänzung sind da die ergänzenden Literaturhinweise (das Hauptwerk de Vaux’ trägt allerdings in deutscher Übersetzung den Titel »Das Alte Testament und seine Lebensordnungen«).
Was nun dieses Buch von älteren Darstellungen seiner Art unterscheidet und ihm sein besonderes Profil gibt, ist zum einen die programmatische (vgl. 10) Erweiterung des Horizonts über die deutschsprachige Forschung hinaus, zum anderen die Berücksichtigung kontextueller Bibelauslegung. Damit schließt das Werk in dankenswerter Weise eine Lücke.
In den abschließenden Literaturhinweisen (156) wird diese Lü­-cke dann allerdings sehr deutlich betont. Nicht zutreffend ist dabei die Feststellung, Reventlow berücksichtige ab der Reformation nur protestantische Männer – s. dort die Kapitel zu Elias Levita, Richard Simon, Baruch de Spinoza und Pierre-Daniel Huet.
Die 50 Porträts sind rein chronologisch in Fünfergruppen angeordnet, denen jeweils eine Seite mit Bildern der vorgestellten Exegetinnen und Exegeten vorangestellt ist. Eine gut lesbare Orientierung bietet jedoch die Einleitung von Gerstenberger (11–40); die klassischen Methodenschritte treten dabei zugunsten thematischer Schwerpunktsetzungen in den Hintergrund. Neben den protestantischen »Klassikern« der deutschsprachigen historisch-kritischen Forschung (de Wette, Wellhausen, Gunkel, Alt, Noth) werden katholische Exegeten (de Vaux, Loretz, Keel, Zenger) vorgestellt. Vertreter der englischsprachigen (Albright, Childs, Barr, Clines) und skandinavischen Forschung (Mowinckel, Stendahl, Nissinen) finden ebenso Berücksichtigung wie jüdische Exegetinnen und Exegeten (Kaufmann, Flusser, Milgrom). Darüber hinaus kommen neuere Wege der Bibelauslegung zur Darstellung, die der historisch-kritischen Forschung in den vergangenen Jahrzehnten wertvolle Impulse gegeben haben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den feministischen Exegetinnen (angefangen bei Jahnow, darüber hinaus Schottroff, Schüssler Fiorenza, Schüngel-Straumann, Wacker). Vorgestellt werden auch Vertreter der befreiungstheologischen Bi­bellektüre (Ragaz als Befreiungstheologe »avant la lettre« [55], Mes­ters, Belo) und Exegetinnen und Exegeten, die diesen Impuls in der sozialgeschichtlichen Fragestellung aufnehmen (Schottroff, Crü­semann). Tiefenpsychologische Bibelauslegung begegnet le­diglich im Porträt Drewermanns und somit in einer eigenwilligen und einseitigen Form (so auch 129).
Insgesamt beziehen die Autorinnen und Autoren engagiert Position. Darin liegt der besondere Charme des Buches. Dennoch: Forschungsgeschichte in dieser Konsequenz bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen, ist ein Wagnis und muss ein unabgeschlossenes Unterfangen bleiben. Ältere Darstellungen sind da zurückhaltender (Reventlow, 396) oder wählen die weniger verfängliche Form der Selbstdarstellung (Schipper/Gräz) – aus gutem Grund: Wo die Meilensteine wirklich stehen, wird oft erst im Rückblick deutlich. Auf dem Weg dorthin und bei der Frage nach der Zwischenbilanz liefert der Band allerdings wertvolle Dienste. Und auch wenn bereits die 50 ein »Symbol der Fülle« (9) ist, dürften aus Sicht des Rezensenten gerne noch weitere Porträts dieser Art folgen!