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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

497-499

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zinser, Hartmut

Titel/Untertitel:

Grundfragen der Religionswissenschaft.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2010. 296 S. gr.8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-76898-8.

Rezensent:

Daria Pezzoli-Olgiati

Nach einer fast 30-jährigen akademischen Tätigkeit in religionswissenschaftlicher Lehre und Forschung zieht Hartmut Zinser Bilanz: »Was kann man in der Religionswissenschaft lernen? Was kann man in ihr wissen?« (281) und »Warum betreiben Menschen Religionswissenschaft? Warum interessieren sie sich für Religion?« (271). In Anlehnung an diese Fragen, die erst zum Schluss formuliert werden, kann man Grundfragen der Religionswissenschaft als Lehrbuch der Religionswissenschaft verstehen, das sowohl Studierende, Interessierte wie auch Fachkollegen ansprechen möchte. Der Weg, der hier als Einführung in die wesentlichen Themen, Ausrichtungen und Probleme der Religionswissenschaft vorgeschlagen wird, führt durch Debatten eines Faches hindurch, das sich in der Darstellung Z.s nach wie vor auf der Suche nach einer Profilierung befindet: »Doch sind fast, eigentlich alle Begriffe der Religionswissenschaft umstritten und unklar. Mit unklaren Begriffen kann man sich nicht verständigen – weder in der Wissenschaft, noch in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, noch in interreligiösen und gesellschaftlichen Diskussionen. In der Religionswissenschaft aber ist über kaum einen Begriff Einigung und Klarheit erzielt, selbst der Begriff der Religion und der Gegenstand der Religionswissenschaft ist Gegenstand eines solchen Streites, dass manche empfehlen, die Diskussion darüber abzubrechen.« (282) Z. schaltet sich in diese Phase der Disziplin ein, indem er Grundfragen und -aufgaben im vorliegenden Buch übersichtlich darlegt.
Der Band ist in zehn Kapitel aufgeteilt, die von einem abschließenden Exkurs, einem Nachwort, einer Liste ausgewählter Literatur und einem Begriffsregister abgeschlossen werden. Die Anreihung der Kapitel spannt einen dramaturgischen Bogen, der von theoretisch-methodischen Grundfragen bis zu klassischen, empirischen Themen der Religionswissenschaft führt.
Kapitel I Abgrenzungen, II Das Problem der Definition des Begriffs der Religion, III Analytische Einteilungen von Religion betten den Band in die systematisch-theoretische Debatte ein. Begonnen wird mit Betrachtungen über das Verhältnis zwischen Theologie und Religionswissenschaft mit dem Ziel, das Eigentliche von Letzterem aus dem Fächervergleich herauszukristallisieren. Im für diesen Entwurf der Religionswissenschaft zentralen Kapitel II wird die Notwendigkeit einer Religionsdefinition betont. Nachdem Z. die wesentlichen Richtungen in der Forschungsgeschichte aufgerollt hat, schlägt er eine »historisch-gesellschaftlich relationale Definition« (69) vor, die durch vier Merkmale gekennzeichnet ist. Erstens muss »von anderem unterschieden werden können«. Zweitens: Die »Unterscheidung zwischen religiös und nichtreligiös ist eine Deutung der Beteiligten«, wird also aus der Innensicht generiert. Drittens ist diese Deutung, die zur Unterscheidung zwischen religiös und nicht religiös führt, als »geistiger Prozess« zu verstehen; religiöse Phänomene sind alle »Phänomene der Gestaltung des kollektiven Geistes« (69). Viertens wird Religion immer als eine soziale Kategorie verstanden, deswegen ist sie weder willkürlich noch ausschließlich individuell, sondern bezieht sich stets auf ein Kollektives. Somit ist Religion umrissen, denn »diese vier Merkmale lassen sich empirisch in allen üblicherweise als Religion bezeichneten kulturellen Schöpfungen aufweisen« (69). In Kapitel III wird eine mögliche Klassifikation von Religionen entlang der Werke von Klassikern des 19. und 20. Jh.s vorgeschlagen.
In Kapitel IV Gibt es eine zusammenhängende Religionsgeschichte? wird über die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen unterschiedlichen Momenten und Aspekten der Religionsgeschichte ohne Rekurs auf Evolutionstheorien nachgedacht. In diesem Teil werden unter anderem Phänomene wie die Religionskritik oder die Säkularisierung besprochen.
In den folgenden Kapiteln tritt die Darstellung von Grundfragen einer systematischen Religionswissenschaft in den Hintergrund. Denn hier konzentriert sich Z. auf die Vorstellung von Themen, die aus religionswissenschaftlicher Perspektive, zentral sind: Kult, Ritus (Kapitel V), Texte und Schriften in den Religionen (VI), Priester – Opfer – Tempel (VII), Gott und Götter, Geister, Heroen, Ahnen (VIII), Orakel und Offenbarung (IX), Arbeit und Tod in den Religionen (X).
Den Schluss bildet ein Exkurs, in dem Z. den Werdegang der Religionswissenschaft im Spiegel der Aufklärung und deren Re­-zeption historisch situiert und reflektiert: »Ich unterscheide drei neuere historisch wirksam gewordene Ansätze in der Religionswissenschaft: einen kritischen der Aufklärung, einen religionsvergewissernden der Nach- und Antiaufklärung und einem funktionalistischen. … Diese drei Ansätze sind in bestimmbaren geschichtlichen Situationen entstanden oder wirksam geworden und so ist das Entstehen von Religionswissenschaft als ein Reflexionsunternehmen in der menschlichen Geschichte nicht unabhängig von der Geschichte.« (280)
Das neue Buch von Z. enthält viele weiterführende Einsichten, schlägt Möglichkeiten der Klassifikation von Phänomenen vor, die aus vergleichender Perspektive durchaus von Interesse sind. Ich lese gerne allgemeine religionswissenschaftliche Einführungen und Überblicke. Denn solche Lektüren zwingen dazu, Distanz von eigenen Konzeptionen einzunehmen, die eigene Lehre für die erste Phase des Studiums kritisch zu reflektieren und den eigenen Forschungsstandpunkt in der Konzeption des Faches eines Kollegen zu spiegeln.
Der Weg durch Grundfragen der Religionswissenschaft war je­doch steinig, obwohl die Auswahl der Themen und die Akzentsetzung spannend und weiterführend sind. Schwierigkeiten bereiteten mir die Grundhaltung gegenüber der Religionswissenschaft und der Modus ihrer Profilierung. Ist eine Abgrenzung gegenüber anderen Fächern – der Theologie in primis – tatsächlich eine ergiebige Möglichkeit, um die Unschärfe und Undeutlichkeiten der heutigen Religionswissenschaft zu korrigieren? Das Buch soll Interessierte für ein Fach, das sich mit einem komplexen, vielfältigen, nicht mit einfachen Rastern zu begreifenden Phänomen – der Religion – beschäftigt, begeistern und motivieren. Der Grundton wirkt jedoch pessimistisch, wozu bereits der erste Satz im ersten Kapitel beiträgt: »Ausgehend vom Grundsatz Baruch Spinozas (1632–77), omina determinatio est negatio, alle Bestimmung ist Verneinung, ist zunächst darzustellen, was Religionswissenschaft nicht ist«.
Wird Religionswissenschaft beispielsweise mit kulturwissenschaftlichem Interesse betrieben, dann begegnet man einer Vielfalt von faszinierenden Forschungsthemen: Das weite Feld von Visualität, Medialität, Emotionen als Grundbestandteile von Religion in Geschichte und Gegenwart oder die Frage nach Gender-Konstellationen sowie die Rezeption des spatial and topographical turn wären einige der Optionen. Die vielschichtige Präsenz der Religion in der Öffentlichkeit, ihre Schnittstellen mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie etwa der Medizin, Politik oder Ökonomie, gehören auch zu spannenden Fragen heutiger Religionswissenschaft. Es handelt sich jedoch um Themen und Bereiche, die in einer Darstellung der Disziplin keinen Platz finden, die zuerst danach sucht, was Religionswissenschaft nicht ist.