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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

464-467

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Pesch, Otto Hermann

Titel/Untertitel:

Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung. Bd. 2: Die Geschichte Gottes mit den Menschen. Ekklesiologie – Sakramentenlehre – Eschatologie.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2010. XXVI, 1047 S. gr.8°. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-7867-2638-8.

Rezensent:

Reinhard Frieling

Band 1 dieser Katholischen Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung von Otto Hermann Pesch wurde mit seinen zwei Teilbänden bereits vorgestellt: ThLZ 134, (2009), 992–996. Teilband I/1 behandelte »Wort Gottes und Theologie. Christologie«, Teilband I/2 »Theo­logische Anthropologie, Theologische Schöpfungslehre, Gottes- und Trinitätslehre«. Was damals zur inhaltlichen und formalen Grundkonzeption des Werkes positiv hervorgehoben wurde, gilt auch für den zweiten Band und wird zur sachgemäßen Lektüre empfohlen, hier aber nicht im Einzelnen wiederholt.
P.s »Theologie zum Anfassen« wird in allen Kapiteln durch dogmengeschichtliche Darlegungen und Vergleiche vertieft. So wird die katholische »Dogmatik« zu einem Dialog der Generationen und Konfessionen: Welche »Wahrheit« soll jeweils durch biblische Exegese und lehramtliche Dogmen gesichert werden? Welche Intentionen hatten und haben zeitgeschichtlich bedingte philosophische und kulturelle Kontexte? Vor allem bei der Ekklesiologie und Sakramentenlehre schlägt P.s ökumenische Erfahrung durch, dass etliche dogmatische Festlegungen und Lehrverurteilungen – in evangelischer Terminologie gesagt – mehr römische Enge als wahrhaft katholische Weite beinhalten.
Beim sehr breit entfalteten römisch-katholischen und evange­lischen Kirchen-, Sakraments- und Amtsverständnis kommt P. mit den Ergebnissen der ökumenischen Dialoge der letzten Jahrzehnte zu dem pointierten Ergebnis: »Ich lasse mich nicht von vatikanischen Dokumenten, die zudem ganz untransparent zustande ge­kommen sind und schon bei ihrer Formulierung umstritten waren, daran hindern, die aus der Reformation entstandenen Kirchen ›Kirchen‹ zu nennen und ihr Selbstverständnis, ›Kirche Jesu Christi‹ zu sein, vorbehaltlos zu bejahen.« (287)
Dieser Satz ist Teil einer »Katholischen Dogmatik« und nicht Ergebnis eines ökumenischen Konvergenz- oder Kompromisstextes. Das ist einerseits ökumenisch sehr bemerkenswert, löst andererseits aber natürlich die Frage aus, wie der katholische Dogmatiker seine römisch-katholische Identität durchhält und die immer noch kirchen- oder konfessionstrennenden Gegensätze miteinander ins Gespräch bringt.
P.s Darlegungen basieren auf einer differenzierten Analyse der vielfältigen römisch-katholischen Definitionen von »Kirche« als Leib Christi, als Volk Gottes, als Communio, als Sakrament, als himmlische und irdische Realität, als Institution und als Mysterium. Das reformatorische Kirchenverständnis, nämlich im Sinne einer soteriologischen Christologie die Kirche als »Werkzeug« und Personengemeinschaft (Volk Gottes) zu begreifen, ist für P. offensichtlich nicht schlicht »defizitär« im Gegensatz zur römisch-katholischen Fülle (wie es die Kirchenkonstitution Nr. 8 und »Do­minus Iesus« 2000 postulierten), sondern ein legitimer Ausdruck des Kirche- und Christseins, der im Sinne der vom Ökumenis­musdekret erläuterten »Hierarchie der Wahrheiten« von römisch-katholischer Seite anzuerkennen ist.
Für P. als katholischen Dogmatiker ist damit nicht alles in der Christenheit gleich gültig – und dann womöglich bald gleichgültig. Er bleibt in der römisch-katholischen Dogmatik und Spiritualität zuhause, aber er will engagiert einen gegenseitigen ökume­nischen Lernprozess fördern und nicht einfach den gewordenen Status quo getrennter Konfessionskirchen hinnehmen. Das geht – für viele evangelische Leser sicherlich sehr mühselig – nur über lange historische, systematisch-theologische und philosophische Wege vor allem in der Sakramenten- und Ämtertheologie. Die lehramtlichen dogmatischen Festlegungen werden selbstverständlich zi­tiert, aber zugleich geschichtlich interpretiert und dann in ihrer Intention als eine »Wahrheit« entfaltet, die heutigem vernünftigen Denken zugänglich erscheint. P. weiß z. B. sehr wohl die Sakramente »zwischen Entdeckungen und Fremdheit« einzuzeichnen (313 ff.). Aber viele altbekannte kontroverstheologische Debatten darüber, wie sich das neutestamentliche Zeugnis zu späteren me­taphysisch-philosophisch-theologischen Dogmen und Riten in der Sakramenten- und Ämtertheologie und Praxis entwickelte, bleiben wirklich »fremd«.
P. gibt dann Verstehenshilfen, wie es etwa zu einem character indelibilis (Taufgnade, unauflösliche Ehe, sakramentale Amtsgnade usw.) gekommen ist und welche Wahrheit durch solches Denken geschützt werden sollte. Er weist auch auf einseitige jahrhundertelange Engführungen in allen konfessionellen Traditionen hin, wie z. B. bei der Verweigerung der Frauenordination. Bei diesem Beispiel will er »als katholischer Dogmatiker sagen dürfen und müssen: Es gibt kein dogmatisch zwingendes Argument, nach dem Frauen unfähig, gar ›ontologisch‹ unfähig seien für das Priesteramt.« (243) Aber wie solche dogmatische Einsicht in den orthodoxen Kirchen und in der römisch-katholischen Kirche zu praktischen Konsequenzen führen könnte, die für die weitere ökumenische Zukunft wegweisend wären, kann der Dogmatiker nicht sagen (wie ja auch einige evangelische Kirchen mit der fortwährenden Verweigerung der Frauen­ordination illustrieren).
Ein bleibend brisanter Punkt in der ökumenischen Diskussion ist auch für P. die Sakramentenlehre, die beim Kirchenverständnis (1–309) und den sieben römisch-katholischen Sakramenten (313–818) den Großteil des Bandes beherrscht. Für evangelische Leser ist es hilfreich, P.s »Allgemeine Sakramentenlehre« (313–359) und den zusammenfassenden Traktat X »Der Begriff Sakrament« (791–818) vorzuziehen, um zu erahnen, was die katholische Dogmatik be­wegt, den nichtbiblischen Sakramentsbegriff so sehr in den Mittelpunkt zu stellen. In Verbindung mit einer bestimmten Philosophie und Metaphysik sind hier ja »Dogmen« formuliert, die heute in P.s Terminologie »fremd« sind (321). Hier muss P. lange viele Probleme erörtern, die mit den Kriterien der reformatorischen Theologie nur schwer zu kommunizieren sind. Umso wertvoller ist sein dogmatisches Bemühen, Klärungen und eine neue ökumenische Sprache zu finden. Einige Hinweise müssen genügen.
Bei »Amt und Ordination« wird die vom Zweiten Vatikanum getroffene Unterscheidung, dass sich das »gemeinsame Priestertum der Gläubigen« und das hierarchische Weihepriestertum »dem Wesen und nicht nur dem Grade nach unterscheiden« (Kirchenkonstitution Nr. 10), von P. nicht weiter vertieft, sondern im Blick auf die unterschiedlichen Aufgaben funktional entfaltet. Die reformatorische Weise, vom »allgemeinen« statt vom »gemeinsamen« Priestertum der Gläubigen zu reden und dann das Dogma einer gottgegebenen hierarchischen Ämterordnung mit vielen kirchenrechtlichen Folgerungen zu vermeiden, geht einen anderen Weg.
Ökumenisch hat das brisante Konsequenzen: Bis in jüngste Zeit hinein wird den evangelischen Kirchen vom römischen Lehramt bescheinigt, sie hätten »wegen des Fehlens des Weihesakramentes« die volle Substanz des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt (so dass bei evangelischen Abendmahlsfeiern keine »Wandlung« geschieht). Ferner kommt für einen katholischen Christen eine gültige sakramentale Ehe nur zustande, wenn ein gültig geweihter Priester den Konsens der Brautleute erfragt und entgegennimmt. Die römisch-katholische Regelung, durch »Dispense« hier ökumenische Erleichterungen zu ermöglichen, ist für Betroffene im Einzelfall ökumenisch hilfreich, aber im Prinzip ökumenisch unerträglich.
Ebenfalls ist es bei der enormen Zahl von sog. Ehenichtigkeitsprozessen ökumenisch belastend, wie römisch-katholische Or­dinariate das Prinzip der Unauflöslichkeit einer nach katholischem Dogma und Kirchenrecht gültig geschlossenen sakramentalen Ehe dogmatisch, rechtlich und seelsorglich behandeln und weithin über mitbetroffene evangelische Christen urteilen. In der Praxis sind zwar Konflikte zwischen katholischen Dogmatikern, Kirchenrechtlern, Seelsorgern und Ökumenikern bekannt, aber das ökumenische Dilemma bleibt. P. geht darauf aus seiner ökumenischen Erfahrung heraus ein (764 ff.), aber die evangelische Sprache und Kritik wäre hier deutlicher. Der katholische Dogmatiker muss sich wohl hier wie auch bei einigen anderen Fragen wie der Abendmahlsgemeinschaft zurückhaltender mit dem Hinweis auf offene Fragen und Probleme begnügen.
Der letzte Teil der Dogmatik behandelt die Eschatologie: »Vollendung – des Menschen und der Welt« (821–995). Hier sind wiederum die dogmengeschichtlichen Ausführungen sehr hilfreich. P. erläutert die anthropologischen und philosophischen Denkvoraussetzungen der eschatologischen Hoffnungsbilder und fordert, »mit aller Konsequenz ernst zu machen mit dem, was man ›Entmythologisierung‹ nennen muss« (918). Diese These durchzuhalten, erfordert dann ein Höchstmaß an interdisziplinärer Intelligenz, um beispielsweise die alten Lehren von der »unsterblichen Seele« und dem sterblichen Körper, von der Ruhe der »Geist/Seele« in Gott, vom Jüngsten Gericht und der »leiblichen Aufnahme in den Himmel« usw. zu denken und ihren dogmatischen Gehalt für die immer noch große lebendige Frömmigkeit beim Marien- und Heiligenkult zu erläutern.
P. verschweigt nicht, dass hier seit der Reformation noch viele Fragen offen sind, selbst wenn der »Ablass von zeitlichen und ewigen Sündenstrafen im Fegefeuer« heute und hierzulande kaum noch eine Rolle spielt. Ökumenisch hilfreich ist als Fundamentalkonsens (und nicht als Minimalkonsens!) P.s These: »Grundlage und Quelle aller möglichen realitätshaltigen eschatologischen Aussagen ist das und nur das, was uns jetzt schon im Glauben an Gott als Schöpfer und Erlöser der Menschen gegeben und gewiss ist.« (926) Eschatologische Aussagen zu machen heiße, »die Zuwendung Gottes in Kreuz und Auferweckung Jesu Christi als Verheißung und unbedingte Hoffnung auf eine göttliche Zukunft zur Sprache zu bringen, die dem Leben im Glauben wesenhaft eignet« (ebd).
Mit diesem hermeneutischen Schlüssel stellt sich hier wie in der ganzen Dogmatik die Frage, welche Vernunft die theologische Anthropologie und Philosophie oder Metaphysik leitet – und was hier legitime Pluralität ist und was konfessions- oder kirchentrennend wirkt. P.s »Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung« öffnet sehr hilfreich ökumenische Augen und Türen.
Nach der ermutigenden Lektüre sei abschließend noch ein Hinweis angebracht: Weil durchgängig Fußnoten fehlen, sind jeweils die Literaturhinweise bei den einzelnen Kapiteln wichtig. Insbesondere evangelische Leser und Studierende müssen freilich noch weitere evangelische und ökumenische Literatur hinzuziehen, die meines Erachtens hier nicht ausreichend vorgestellt wird.