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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

451-452

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas

Titel/Untertitel:

Fremde Heimat Liturgie. Ästhetik gottesdienstlicher Stücke.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2010. 224 S. m. Abb. gr.8° = Praktische Theologie heute, 104. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-17-021028-8.

Rezensent:

Andrea Bieler

Der Rostocker Praktische Theologe Thomas Klie hat mit Fremde Heimat Liturgie eine interessante Sammlung von Essays vorgelegt, die der Dramaturgie des deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Sonntagsgottesdienstes folgt. Die »lockere Reihe liturgischer Etüden« (7) beginnt entsprechend nach einem einleitenden Kapitel mit der Präparation und endet mit der Entlassung. Dazwischen werden liturgische Stücke wie der Introituspsalm, die Salutation, das Gloria usw. im Bezugsfeld von Alltagsästhetik, Liturgiegeschichte und Pastoraltheologie interpretiert. Obwohl die Essays der Logik des evangelisch-lutherischen Sonntagsgottesdienstes und somit der Dynamik eines liturgischen Prozesses folgen, können sie auch unabhängig voneinander gelesen werden. Wer sich also mit einer spezielleren Frage, wie z. B. der Bedeutung der Abkündigungen, beschäftigen möchte, kann das entsprechende Kapitel lesen.
Den Gottesdienst als fremde Heimat zu verstehen, verweist nach K. auf einen leiblich beanspruchten Raum auf Zeit, einen einst vertrauten und Orientierung gebenden Handlungsraum, der vielen Menschen heute fremd geworden ist. K.s Intention ist, den religionsästhetischen Eigensinn der liturgischen Stücke herauszuarbeiten; er situiert seine Reflexionen in der Tradition semiotischer Liturgik: »Dieser Zugang führt alle religiösen Deutungs-, Darstellungs- und Vermittlungsformen auf analoge Zeichenprozesse zu­rück – die Semiotik spielt gewissermaßen eine fundamental vergleichende Perspektive ein.« (21) Diese Perspektive muss nach K. kontextuell eingebettet sein, will sie die jeweiligen religiösen Mus­ter identifizieren, die sich in der jeweiligen liturgischen Handlung konkretisieren.
Die Liturgiegeschichte kommt hauptsächlich in der Fokussierung auf Luthers Abhandlungen zur Messe in den Blick; daneben lassen sich kürzere Exkursionen in die Alte Kirche und das Mittelalter finden. Im Hinblick auf die Forschungen zur Liturgiegeschichte nimmt K. vornehmlich Bezug auf Klassiker wie J. A. Jungmanns Missarum sollemnis (1948) oder F. Kalbs Grundriss der Liturgik (1965). Neuere, über den deutschsprachigen Raum hin­ausgehende Forschungen, die die regionale und inhaltliche Pluralisierung litur­-gischer Formen thematisieren, werden kaum aufgenommen.
Die Reflexionen zur Alltagsästhetik gehen auf die rituellen Dimensionen popularkultureller Phänomene ein, wie sie sich im Sport, in der Musik oder in der Politik finden lassen. K. bringt interessante Phänomene und Strukturvergleiche zur Sprache, die eine inspirierende Diskussion im Hinblick auf den Gottesdienst als Kulturform eröffnen, die im Kontext anderer kultureller Ausdrucksformen interpretiert werden kann. Durch die Situierung dieses Bezugsrahmens gelingt es K., die Frage nach dem Profil christlicher Religionspraxis im Hinblick auf den Gottesdienst neu zu stellen und danach zu fragen, welchen Beitrag der evangelisch-lutherische Gottesdienst in Deutschland zur Deutung spätmoderner Kultur leisten kann. Hier liegt m. E. die Stärke des Buches.
Die Aufsätze sind sprachlich so verfasst, dass sie sich nicht nur an ein theologisch gebildetes Spezialpublikum richten, sondern auch für interessierte Laien und Laiinnen zugänglich sind. Auch wenn ich nicht immer mit den vorgenommenen Beurteilungen über gelungene und misslungene liturgische Praxis übereinstimmen kann, ist dies eine sehr anregende Sammlung praktisch-theologischer Texte zum Gottesdienst, die ich gerne weiterempfehle.