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Ausgabe: | April/2011 |
Spalte: | 439-440 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Hübner, Jörg |
Titel/Untertitel: | »Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon!«Grundsatzüberlegungen zu einer Ethik der Finanzmärkte. |
Verlag: | Stuttgart: Kohlhammer 2009. 223 S. gr.8°. Kart. EUR 24,80. ISBN 978-3-17-021026-4. |
Rezensent: | Alexander Dietz |
Die Monographie des Bochumer Privatdozenten Jörg Hübner ist ein wichtiger theologisch-ethischer Beitrag zu einer hochaktuellen gesellschaftlichen Debatte. Ausgehend vom Gedanken, dass der globale Finanzmarkt mit den Aspekten des Menschengerechten und der Nachhaltigkeit in Zusammenhang gebracht werden müsse (12), werden Kriterien für eine Finanzmarkt-Reform entwickelt.
Zunächst erfolgt in Kapitel 1 eine allgemeine wirtschaftsethische Grundlegung vor dem Hintergrund einer differenzierten Auseinandersetzung mit den wirtschaftsethischen Impulsen Karl Homanns, Eilert Herms’, der experimentellen Ökonomik und der neuen Institutionenökonomik. Wirtschaftsethik wird wesentlich als Ethik der Anreizstrukturen verstanden (44). Die vorausgesetzte Trennung von Ethik (als Reflexion von Anreizen unter normativen Gesichtspunkten) und Ökonomik (als Reflexion von Anreizen unter Rationalitätsgesichtspunkten) vernachlässigt allerdings die ethischen Voraussetzungen ökonomischer Rationalität (43).
In den Kapiteln 2–4 werden die Grundlagen einer Ethik der Finanzmärkte reflektiert. Besonders interessant ist die Darstellung der Geldtheorie des Nikolaus von Oresme aus dem 14. Jh. – auch wenn man diesen nicht wie H. als den »erste[n] Wirtschaftsethiker« (59) betrachtet –, welche die ethisch positive Bedeutung von Geld als sozialer Institution und von Geldwertstabilität als Fundament einer gerechten Gesellschaft betont. H. betont zu Recht die Notwendigkeit eines ethisch reflektierten ordnenden Rahmens, da-mit die Institutionen und Instrumente des Finanzmarktes ihre Funktionen in einem größeren gemeinwohldienlichen Zusammenhang erfüllen können. Finanzmärkte sollen insbesondere verlässliche Informationen zu Finanzprodukten produzieren, auf deren Grundlage ein effizienter Kapitaleinsatz möglich wird (71). Die gegenwärtige Ineffizienz des globalen Finanzmarktes gemessen an dieser Funktion wird vor dem Hintergrund der jüngsten Finanzkrise äußerst sachlich, fachkundig und differenziert dargestellt. Die Menschenrechte stellen für H. das entscheidende ethische Kriterium zur Gestaltung der Globalisierung und damit auch des Finanzmarktes dar. Zu optimistisch wirken die Aussagen, dass die Menschenrechte »jedem denkenden Menschen grundsätzlich einsichtig zu machen« seien und dass es »keinen ernst zu nehmender Staat mehr« gebe, der sich den Menschenrechten »grundsätzlich entziehen« könne (83 f.). Am Ende dieses Abschnitts des Buches stehen als Resümee sieben Maximen einer verantwortlichen Gestaltung des globalen Finanzmarktes (92 ff.): verantwortliches Handeln der Akteure ermöglichen, Informationswert der Finanzmarktprodukte steigern, Teilhabe der armen Länder ermöglichen, dienende Funktion des Finanzmarktes beachten, Wirtschaftsmacht an Kontrolle zurückbinden, verbindliche Selbstverpflichtungen der Akteure einfordern und den erwirtschafteten Mehrwert für globale Aufgaben nutzen.
In den Kapiteln 5–11 werden nun diese Maximen auf die verschiedenen Verantwortungsträger der globalen Finanzmärkte systematisch angewandt. Institutionelle Investoren (z. B. Investment-Fonds) handeln gegenwärtig als Getriebene unter Anreizen zur Ertragsbeschönigung, Kurzfristigkeit und Ausübung von Druck auf Unternehmen, die durch Anreize zu Transparenz (Zertifizierungspflicht) und langfristigen Kapitalanlagen (Tobinsteuer) ersetzt werden könnten (109 ff.). Hedge-Fonds bedürfen einer gesetzlichen Begrenzung ihrer hochspekulativen Geschäfte sowie eines Ausbaus ihrer Selbstverpflichtungen (130 ff.). Rating-Agenturen müssten angesichts der großen Bedeutung ihrer regulierenden Aufgabe durch ein unabhängiges Gremium kontrolliert werden (144). Banken, die gegenwärtig unter dem Druck stehen, ihre Eigenkapitalrendite kurzfristig zu erhöhen, benötigen Anreize, um sich wieder auf ihre eigentliche Funktion (Kapitalvermittlung) konzentrieren zu können (156). Die Schaffung einer ordnenden Instanz auf globaler Ebene wird angemahnt, ohne dass eine solche Institution so verstanden werden dürfe, als entlaste sie die Akteure auf der mittleren und unteren Ebene von ihrer Verantwortung (179). Diese gegenseitige Ergänzung von individualethischer und sozialethischer Perspektive ist unbedingt angemessen und durchzieht als eine seiner Stärken das ganze Buch. Dabei deutet sich allerdings gelegentlich eine merkwürdige Entgegensetzung der positiv verwendeten Begriffe ethisches Handeln und Anreize einerseits und der negativ verwendeten Begriffe Regulierungsmechanismen und Rahmenordnung andererseits (79 f.) bzw. eine Tendenz zur Gleichsetzung von Regulierung und Verstaatlichung (171) an. Die Warnung, dass »der Nationalstaat nicht zum allmächtigen Regulierer verkommen soll« (96), wirkt vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Ruinierung ganzer europäischer Nationalstaaten, die maßgeblich durch institutionelle Investoren und Rating-Agenturen verursacht wurde, etwas kurios.
Ein wirtschaftsethischer Ausblick in theologischer Perspektive (Kapitel 12) und eine kurze, übersichtliche Zusammenfassung wichtiger Gedanken (Kapitel 13) runden das Buch ab. Gegen eine grundsätzliche Dämonisierung des Geldes wird dessen positive Bedeutung als Mittel der Freiheit hervorgehoben. Ob die Begründung einer ethischen Neubewertung des Geldes unter Berufung gerade auf Lk 16,9 (vgl. Buchtitel) angemessen ist, bedürfte m. E. einer genaueren theologischen Untersuchung. Insgesamt sind die theologischen Verknüpfungen an verschiedenen Stellen des Buches zwar dogmatisch nicht zu bemängeln, aber sie erscheinen mitunter ein wenig aufgesetzt (z. B. 16.43.83).
Die genannten Kritikpunkte ändern jedoch nichts am positiven Gesamturteil. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, auf den Finanzmarkt als zentrales Thema der Wirtschaftsethik hingewiesen und damit eine Lücke in der Diskussion gefüllt zu haben. H. schreibt gut verständlich und argumentativ nachvollziehbar über ein sehr komplexes Thema. Auch wenn weder die Hoffnung H.s, dass durch das Aufgreifen des Themas Finanzmärkte die theologische Wirtschaftsethik nun endlich gebührend beachtet werden könnte (14), noch seine These, dass sich zukünftig aufwändige Ethikdebatten im Blick auf die menschengerechte Gestaltung der Weltgemeinschaft vermeiden lassen könnten, wenn der globale Finanzmarkt erst einmal angemessen geregelt sei (87), realistisch erscheinen, ist das Buch allen am Thema Interessierten sehr zu empfehlen.