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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

435-436

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Runggaldier, Edmund, u. Benedikt Schick [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Letztbegründungen und Gott.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2010. VIII, 167 S. gr.8°. Geb. EUR 59,95. ISBN 978-3-11-022680-5.

Rezensent:

Christian Polke

Letztbegründungsstrategien erfreuen sich derzeit keiner großen Beliebtheit in der philosophischen Szene. Das gilt erst recht, wenn es dabei um nichts Geringeres als den Gottesgedanken geht. Insofern zeugt der anzuzeigende Sammelband vom Wagemut seiner Herausgeber und Autoren, die sich im Wintersemester 2009/10 zu einer Ringvorlesung unter dem Titel »Letztbegründungen und Gott« in Berlin zusammenfanden. Im Zentrum des Bandes stehen klassische und neuere Begründungsversuche (V) der Exis­tenz Gottes. Analytische Ansätze kommen dabei ebenso zu Wort wie Pragmatismus, Idealismus und die Tradition negativer Theologie.
Den Auftakt macht Notger Slenczka (vgl. 6–30) mit einer Rekonstruktion der Gottesbeweise bei Thomas und ihrer gesetzestheologischen Funktion bei Luther. Konkret geht es ihm um den Nachweis des Zusammenhangs von »Gottesbeweis und Gotteserfahrung«. Während der Aquinate eine Analyse des lebensweltlichen Ge­brauchs des Gottesbegriffs vorlegt, gründet sich der rationale Beweis der Existenz Gottes bei Luther in der »Selbsterfahrung eigener Unfreiheit« (30). In äußerst konzentrierter Weise widmet sich William Lane Craig (vgl. 31–49) im Anschluss an Leibniz und unter Rekurs auf die u. a. von Cantor ins Zentrum der Diskussion gestellten Figur des »aktual Unendlichen«, das sich nicht einer sukzessiven Addition verdankt, dem Nachweis, »dass ein unverursachter, personaler Schöpfer des Universums existiert« (48). Craigs Beitrag bedürfte einer eingehenderen Untersuchung, die sich zudem mit dem in diesem Text nur angedeuteten dichten Geflecht von modallogischen und zeittheoretischen Argumenten auseinandersetzen müsste. Überhaupt scheinen mir seine Überlegungen, gemeinsam mit den Ausführungen von Thomas M. Schmidt (vgl. 100–114) noch am meisten einer Reaktualisierung von Letztbegründungsstrategien für die Gottesfrage nahezukommen. Bei Schmidt geschieht das freilich für ein dezidiert nachmetaphysisches Denken, welches die Spannung zwischen Glauben und Wissen im Verhältnis von Philosophie und Religion bewusst offen halten will – und das in Auseinandersetzung mit Hegel und Brandom tut.
Dazwischen werden wir durch Friedo Ricken über die faszinierenden Religionsphilosophien von William James und Charles Sanders Peirce (erst)informiert (vgl. 86–99). Friedrich Hermanni provoziert uns mit Ausführungen zur Theodizeeproblematik (vgl. 50–66), indem er dem Mythos vom leidenden Gott eine klare Absage erteilt und stattdessen mit Leibniz die Lösbarkeit des logischen Dilemmas verteidigt, wohingegen dessen empirische Anwendung scheitern muss. Winfried Löffler schließlich stellt auf knappstem Raum, dafür aber sehr gut lesbar die reformierte Erkenntnistheorie in der Gestalt von Alvin Plantinga vor (vgl. 67–85). Allerdings merkt man dem Aufsatz deutlich an, dass sein (katholischer) Autor eher wenig mit der von ihm selbst so charakterisierten »calvinis­tischen Position« zur Vernünftigkeit des Glaubens anfangen kann.
Zwei andere Autoren wiederum, Thomas Rentsch (vgl. 115–133) und Hans-Julius Schneider (vgl. 134–151), stellen in ihren Texten eigene Überlegungen zu einer philosophischen Theologie bzw. Theorie der religiösen Erfahrung in den Mittelpunkt. Rentschs negativistische Existentialpragmatik geht von der These aus, dass philosophisches Verstehen der Rede von Gott an den Grenzen der Vernunfterkenntnis entsteht (vgl. 123). Dies zeigt sich in dreifacher Weise an der Transzendenz der Welt, der Sprache und der menschlichen Existenz. Damit steht das Grundgerüst für die sich anschließende Interpretation des Gottesgedankens. H.-J. Schneider widmet sich unter dem Titel »Wahrheit oder Angemessenheit?« dem Problem der Begründung von religiösen Überzeugungen. Ausgehend von einer nicht-gegenständlichen oder auf Darstellung bezogenen Theorie religiöser Erfahrung, aber unter Zurückweisung non-kognitivistischer Positionen verteidigt er somit die Möglichkeit angemessenerer oder unangemessenerer Artikulationen von religiösen Sichtweisen, ohne jedoch mit James »dahinter« einen »Verursacher« im Sinne eines zu rezipierenden »Gegenstandes« vermuten zu müssen (vgl. 148 ff.). Diese Texte stellen offenkundig Einladungen zur vertiefenden Lektüre anderer Schriften ihrer Autoren dar. Den Abschluss macht ein Plädoyer des Herausgebers, Edmund Runggaldier, in der »Rede von Gott« dem Ausdruck »Gott« eine referentielle Rolle zuzusprechen (vgl. 154–166). Solange man die religiösen Sprechakte nicht von der Intentionalität ihrer Sprecher trennen und sich dadurch die Möglichkeit triftiger Analysen nehmen will, ist am »intentionalen Bezug auf Gott« (165) festzuhalten.
Der Band gibt einen guten Überblick über die Vielfalt gegenwärtiger religionsphilosophischer Ansätze zur Gottesfrage. Nicht immer stehen dabei jedoch Letztbegründungsstrategien im Vor­dergrund und nicht immer gelingt es den Autoren, eine ausge­wogene Kombination aus informativer Darstellung und eigener Expertise darzulegen. Doch das wird eher Hörer vor Rezeptionsschwierigkeiten gestellt haben, die Leser hingegen dürfte es weniger stören. So vermittelt der Band mehr als nur gutes Orientierungswissen; er gibt Einblicke in metaphysische Theoriewerkstätten, die es sich lohnt, auch in nach-metaphysischen Zeiten zu besichtigen.