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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

432-434

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gunton, Colin E.

Titel/Untertitel:

Revelation and Reason. Prolegomena to Systematic Theology. Transcribed and ed. by P. H. Brazier.

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2008. XIX, 226 S. m. 1 Porträt u. Abb. gr.8°. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-567-03356-7.

Rezensent:

Helmut Hoping

Die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft bildet eine zentrale Frage der Systematischen Theologie, die quer durch die Konfessionen zum Teil recht divergierende Antworten gefunden hat. Rationalismus und Fideismus bilden hierbei die beiden Extrempositionen. Der renommierte englische Theologe Colin E. Gunton (1941–2003) hat sich immer wieder mit dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft beschäftigt. G., Pastor der United Reformed Church, war zunächst Professor für Geschichte der Philosophie und Philosophie der Religion, später dann Professor für christliche Glaubenslehre am King’s College in London.
»Revelation and Reason« basiert auf Mitschnitten eines Kurses für Masterstudierende (1999/2000) und persönlichen Notizen G.s, transkribiert und herausgegeben von Paul F. Brazier PhD, einem Absolventen des King’s College. »Revelation und Reason« ergänzt G.s Barth-Vorlesungen, die postum bei »Continuum« (2005) er­schienen sind. Das Werk umfasst drei Teile sowie einen Anhang: 1. From Reason and Revelation to Revelation and Reason (11–90), 2. The Modern Problem in a Historical Context (91–138), 3. Aspects of Karl Barth on Faith and Reason (139–189). Der Anhang bietet einen Überblick zum Masterkurs »Revelation and Reason«, ein Verzeichnis der Sekundärliteratur und eine chronologische Bibliographie der Werke G.s (191–218).
In einer exzellenten Einführung macht Stephen R. Holmes, St. Mary’s College/St. Andrews, zunächst mit dem Denken und dem Unterrichtsstil G.s vertraut (1–10). Mit Karl Barth teilt G. die Überzeugung, dass kein Weg von der Vernunft zur Offenbarung führt und Theologie daher nur strictissime als Offenbarungstheologie möglich sei. Dies erklärt den Titel der Prolegomena: »From Revelation to Reason«, nicht »From Reason to Revelation«. Damit wendet sich G. gegen eine breite Strömung in der modernen Theologie, von Schleiermacher bis zu Karl Rahner und Wolfhart Pannenberg, die G. mit Ronald Thieman (Revelation and Theology, 1985) als foundationalism bezeichnet (33). Darunter versteht G. jeden Versuch, nach Grundlagen des Glaubens zu fragen, die der Offenbarung Gottes vorausliegen, sei es auf dem Weg der traditionellen philosophischen Theologie der praeambula fidei (Gottesbeweise) oder einer nachkantisch-kritischen Begründung, wie in Karl Rahners Transzendentaltheologie (55–63) oder Wolfhart Pannenbergs anthropologischer, religionstheoretischer und historischer Begründung (66–76).
Die Vermittlung der Offenbarung, die eine personale Wirklichkeit darstellt (Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus), ge­schieht nach G. durch eine irreduzible Textualität (Kanon der neutestamentlichen Schriften). Bei dieser Vermittlung handele es sich um eine indirekte, da die Worte der Schrift die Offenbarung nicht in sich tragen wie ein Behälter seinen Inhalt. Vielmehr bedürfen sie der In­terpretation. Da die Schrift aber verschiedene Interpretationen zu­lässt, brauche es zur Erschließung der Offenbarung die Kirche als primäre Interpretationsgemeinschaft für die Auslegung der Schrift und ihrer Aussagen (83). In diesem Zusammenhang wendet sich G. gegen George A. Lindbeck, der angesichts der un­hintergehbaren Pluralität kirchlicher Interpretationsgemeinschaf­ten christlichen Lehren einen nur regulativen Charakter zu­spricht. Nach G. führt dies in der Konsequenz zu einem unhaltbaren Relativismus (85–90).
Der zweite Teil von »Revelation and Reason« behandelt das mit dem Titel des Werkes angezeigte Problem in einem historischen Kontext, wobei ein diachroner Zugang gewählt wird. Ausgehend von der Offenbarungskonstitution »Dei Verbum« des 2. Vatikanischen Konzils geht G. bis zurück ins Mittelalter und in die Zeit der Patristik. Dabei behandelt er die Fragen der Schriftinspiration, des Verhältnisses von Schrift und Lehramt und die Frage der natürlichen Theologie. Bei der Interpretation von Anselm von Canter-bury, seiner Formel fides quaerens intellectum und seines ontologischen Gottesbeweises folgt G. der umstrittenen Interpretation Karl Barths. Der Schweizer Theologe sieht in Anselm einen Gewährsmann seines strikt offenbarungstheologischen, jede philosophische Glaubensbegründung ausschließenden Ansatzes (111–116).
Während G. in Anselms Programm der fides quaerens intellectum mit Barth keine philosophische Glaubensbegründung er­kennt, sieht er in Thomas von Aquin und seiner Aristotelesrezeption den Begründer des foundationalism (120–125), der bei René Descartes seine neuzeitliche Gestalt gewinnt (128–138).
Ausgehend von Barths Kritik an den Denksystemen Ritschls (Religion als Ethik), Schleiermachers (Religion des Gefühls) und Hegels (Aufhebung der Religion) (140–158), skizziert G. im dritten Teil von »Revelation and Reason« Barths Weg von der Kritik der liberalen Theologie über den Römerbriefkommentar (1919, 21922), mit seiner Unterscheidung zwischen göttlichem Glauben und menschlicher Religion, bis zur »Kirchlichen Dogmatik« (159–189). Auf wenigen Seiten bietet G. eine exzellente Rekonstruktion von Barths Offenbarungsbegriff, der sich gegen den Immanentismus in Schleiermachers Bewusstseinstheologie und Bultmanns Exis­tentialtheologie wendet. Mit Barth insisiert G. auf einem strikten Primat von Glaube und Offenbarung gegenüber der Philosophie und wendet sich gegen die Tradition der natürlichen Theologie.
Auch wenn Gott nur in dem Maße erkannt werden kann, wie er sich offenbart (so weit wird man Barth und G. folgen können), gehört doch zur fides quaerens intellectum, zumindest im Sinne Anselms und Thomas von Aquins, ein vom Glauben unabhängiger Aufweis, dass Gott und seine Offenbarung ein möglicher Wahrheitskandidat sind. So richtig es ist, dass die christliche Theologie mit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus (Deus dixit) zu beginnen hat, bedarf sie daher einer philosophischen Denkform, die es ihr ermöglicht, die Denkbarkeit der Offenbarung aufzuweisen. Nach Kant kann dies nicht mehr die natürliche Theologie der Gottesbeweise sein. G. lehnt aber auch jede andere philosophische Begründung der Offenbarung, etwa in einer transzendentalen Re­flexion der Struktur endlicher Freiheit, als foundationalism ab. G. folgt hier wiederum Barth, der auf Emil Brunners Versuch, das legitime Anliegen natürlicher Theologie festzuhalten, mit einem kategorischen Nein antwortete. Doch kann man in einem säkularen Zeitalter noch unvermittelt mit dem Glauben beginnen? Muss nicht außerhalb des Glaubens eine Möglichkeit für ihn und damit für eine göttliche Offenbarung bestehen. Brunner, der an dieser Stelle gegenüber Barth auf das philosophische Potential des Gott­ebenbildlichkeitsgedankens verwies, dürfte hier weiter gesehen haben als G.s theologischer Gewährsmann. Der Mensch muss auf eine göttliche Offenbarung ansprechbar sein, soll er glauben können. Er ist es, weil er in seiner endlichen Subjektivität, die aus ihren internen Bedingungen heraus nicht erklärbar ist, immer schon über sich hinausweist.