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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

429-432

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Puntel, Lorenz B.

Titel/Untertitel:

Sein und Gott. Ein systematischer Ansatz in Auseinandersetzung mit M. Heidegger, É. Levinas und J.-L. Marion.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XVII, 444 S. gr.8° = Philosophische Untersuchungen, 26. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-150146-3.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Im Nachwort der berühmten Freiburger Antrittsvorlesung »Was ist Metaphysik?« schreibt Heidegger 1943: »[Z]ur Wahrheit des Seins gehört, daß das Sein nie west ohne das Seiende, daß niemals ein Seiendes ist ohne das Sein.« (in: Wegmarken, 306) Dem Seienden kommt demnach wesentlich Sein zu, während es Sein allein als Sein des Seienden gibt. Wird nun der Gottesbegriff an den des Seins zumindest angenähert, wenn nicht gar mit ihm identifiziert, nimmt dieser »Immanentismus« (vgl. 224) problematische Formen an, da nach der zitierten Maßgabe Gottes Für-sich-Sein nicht mehr gedacht werden könne. – Es sind Heideggers ontologische These und ihr religionsphilosophisches Gefahrenpotential, woran sich Lorenz B. Puntel, geboren 1935 und seit 2001 emeritierter Professor für Philosophie an der Universität München, in dem hier zu be­sprechenden Buch abarbeitet.
Das tut P. in dreierlei Hinsicht. Erstens unterzieht er Heideggers Ansatz einer überaus kritischen Analyse, die in dem Vorwurf mündet, dieser habe sich um die Möglichkeit gebracht, Sein als solches zu denken, d. h. ohne Bezugnahme auf seiende Entitäten (94.97). Dies muss P. kritisieren, weil – zweitens – der Buchtitel Sein und Gott dahingehend ausgelegt wird, dass »Sein-im-Vollsinn«, »Sein-in-seiner-ganzen-Fülle« mit Gott gleichgesetzt wird (3; vgl. 394); in dieser Präzisierung (und nur in dieser) könnte der Titel folglich lauten: Gott als Sein. Deshalb wiederum wehrt sich P. drittens gegen »postmoderne« Ansätze, die dieses spezifizierte als nun gerade bestreiten. Jean-Luc Marion als Autor des Buches Dieu sans l’être (1982) wird daher ebenso zur Zielscheibe einer unversöhnlichen Destruktion wie Émmanuel Levinas, Ludwig Wittgenstein und einige andere, die sich P.s gesamtem Denkrahmen schlicht entziehen. Entsprechend ergibt sich der Aufbau des Buches, das mit einer knappen Kritik an vor allem formalen Unzulänglichkeiten unterschiedlichster philosophischer Zugänge einsetzt (Kapitel 1), dann die genannte Heidegger-Kritik vorträgt (Kapitel 2), endlich die konstruktive Theorie zu entwickeln versucht (Kapitel 3), um sich gegen die meist phänomenologischen Bestreiter der Hauptthese zu wehren (Kapitel 4).
Ich konzentriere mich auf den zentralen und umfangreichsten dritten Teil, den »Ansatz zu einer struktural-systematischen Theorie über Sein und Gott« (145; vgl. VII). Die erwähnte und wiederholt präsentierte Generalthese P.s lautet, dass nach Gott nur angemessen gefragt und die Gottesfrage rational behandelt werden könne, »wenn dies im Rahmen einer umfassenden Konzeption über die Realität oder das Sein als solches und im Ganzen geschieht« (1.9). Damit geht für P. die möglichst vollkommene Absehung theologischer und religionsphilosophischer Arbeit von allen praktischen und existentiellen Belangen einher (3), so dass Theologie als »Theorie über Gott« zu entwerfen wäre (261). Er begibt sich daher auf die Suche nach dem »heute bestmöglichen Theorierahmen« (147), um Sein und Gott endlich in angemessener Weise thematisch zu machen. P.s Buch beruht dabei auf der 2006 erschienenen Publikation Struktur und Sein, so dass der Autor nun die »Krönung« der dort entfalteten Gesamtsystematik verspricht (VII), um die immer noch bestehenden Unklarheiten in der Gottesfrage zu überwinden (1) und dabei Gott als Endpunkt einer »theory of everything« zu etablieren (3).
Diese aufs Ganze gehende Theorie besteht aus zwei recht traditionellen Ingredienzien, aus denen sich zusammengenommen ein panentheistisch gelesener ontologischer Gotteserweis ergibt (das ist allerdings nicht P.s Selbstbeschreibung; siehe aber 206–213 und 271). Das ›Erweisziel‹ – Gottesbeweise lehnt P. strikt ab – besteht in der begründeten Einführung einer absolut notwendigen Seinsdimension, welche die ontologische Zutat darstellt. Zu diesem Zweck legt er die Gegenannahme vor, nach der alles kontingent sei; entsprechend impliziere dies, dass potentiell absolut nichts ›da‹ ist; dies jedoch sei für uns unvorstellbar, das absolute Nichts also ein Pseudobegriff, woraus (gemäß des modus tollens) zu folgern sei, dass ein der Kontingenz entnommenes Etwas sein müsse, mithin eine »notwendige Seinsdimension« – »Q. E. D.«, wie P. am Ende ausruft (236; zum Argument im Ganzen vor allem 232–234).
Die zweite Zutat, die panentheistische, beruht auf der bereits erwähnten differenzierten Identifikation von Sein und Gott, nach der Gott formaliter dieses absolut notwendige Sein darstellt sowie materialiter Sein im Vollsinn und in seiner Fülle bilde. Eben daraus ergibt sich die für P. wesentliche Dopplung vom Sein als solchem (absolute Dimension) und Sein im Ganzem (kontingente Dimension). Dadurch ist P. mit einer zweifachen Herausforderung konfrontiert, denn es gilt, vom Partikularen zum anvisierten »everything« ontologisch fortzuschreiten, um dann dieses ›vollsinnige‹ Sein mit dem Gott einer gelebten Religion identifizieren zu können.
Beides gelingt nicht. Für den ersten Schritt – der gleichsam on­tologischen Aufbauarbeit – nimmt P. Heidegger ausnahmsweise konstruktiv auf, indem dessen Bestimmung des Seins als konstituierendes (transzendentales) und konstituiertes (seiendes) Moment alles Gegebenen rezipiert wird (196). Deshalb vertritt P. eine Identitätstheorie der Wahrheit, die das Dual von Aussage und Ausgesagtem hinter sich lassen will im alles umgreifenden Seinsmodus, ohne allerdings die particula veri des Korrespondenzgedankens gänzlich fallen zu lassen (179). Wie ist dies zu denken? Das Buch verbleibt in Andeutungen und beim (verständlichen) Verweis auf frühere Publikationen. So viel ist deutlich, dass zum einen Wahrheit nicht mehr als Prädikat, sondern als Operator aufgefasst wird (183), der die Sprache »(voll)determiniert« (176) und darin ihre ontologische Dimension festhält. Mit Quine ließe sich knapp resümieren: No truth-theory without ontology! Zum anderen werden Autoren wie etwa Tarski und spätere Vertreter deflationistischer Ansätze dafür kritisiert, dass der Bezug von (wahren) Sätzen auf Wirklichkeit nicht artikuliert worden ist. Ein Satz ›p‹ ist nicht nur wahr, wenn p der Fall, sondern wirklich der Fall ist, sofern also p volldeterminiert ist (179). Die einmal vertretene Identitätstheorie der Wahrheit wird hier von P. korrigiert: (Wahre) Propositionen gelten nicht mehr unumwunden als Tatsachen, sondern diese Identität wird auf ein Moment der Wahrheitstheorie beschränkt (180 f.). Man denkt an Wittgensteins Diktum »Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge« (Tractatus 1.1.) und wird P. zustimmen, dass für die Explikation seiner revidierten Auffassung eine Analyse des Tatsachenbegriffs nötig wäre, die im Rahmen dieses Buches nicht geleistet werden kann. Es zeichnet sich aber der ja durchaus interessante Versuch zumindest in Umrissen ab, den Graben zwischen Welt und Sprache ontologisch nicht zu überspringen, sondern gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Beim einzelnen Datum des Seins bleibt es aber nicht, weil im Anschluss an Aristoteles der Geist als »intentional koextensiv mit der Totalität der Seienden« gedacht wird (190; vgl. das Motto des Buches), so dass dieser Geist der Struktur nach schon über das Einzelne hinausgreift. Diese Strukturen sind von der erhofften Theorie einzufangen, wobei P. einen kantkritischen Realismus vorträgt (178.230), nach dem die Strukturen nicht in die Phänomene »hineingelegt« sind, sondern sich der Selbstexplikation der Seinsdimen sion verdanken (220). Doch dieser entscheidende Schritt bleibt bei P. unausgewiesen; die Gleichsetzung einer dezidiert formalen Theoriesprache (im Sinne obiger Identitätstheorie der Wahrheit) mit den ontologischen Mustern des Seins als solchem und im Ganzen ist sprachphilosophisch gesehen naiv. Denn diese theoretische Aufbauleistung (siehe das Diagramm 194) benötigt eine funktionale Notation, die nun von P. gerade nicht realistisch gedeutet wird; vielmehr will er sich einer »philosophischen Sprache«, die die Normalsprache semantisch »radikal transformiert« (154), bedienen, um die in Aussicht gestellte absolute Dimension fassen zu können.
Dieser gesamte erste Schritt scheitert daran, dass zum einen die Annahme, wonach der »Geist« »intentional koextensiv mit der Totalität der Seienden« ist, im Zirkulären verbleibt. Diese These lebt schon von P.s fragwürdigem Dreischritt Sein-Sprache-Theo­rie. Lehnt man ihn in dieser Form ab, kommt der (nicht-hegelsche) »Geist« stets als »Geist« von jemandem Konkreten in den Blick, dessen Extension (selbst im Modus des Potentialen) jeweils sehr differieren kann, ohne auf die »Totalität der Seienden« zu referieren. Zum anderen passt die realistisch gedeutete Idee der Selbstexplikation des Seins nicht zum Status P.s Theoriesprache, die erklärtermaßen ein gereinigtes Kunstprodukt ist, das gerade nicht Vorfindliches »spiegelt« (Wie sollte sie auch?). Schließlich ist die überaus positivistische Hoffnung auf einen kathartischen Prozess zwecks idealsprachlicher Vorzüge zu Recht verflogen – und das doch schon vor langer Zeit.
Der zweite Schritt, die gleichsam theologische Aufbauarbeit, führt in ein Szenario, das wir aus den Cartesischen Meditationen kennen. Denn ganz analog zu den Untiefen des ego cogito sehen wir uns auch hier mit dem abstrakten Nullpunkt eines absolut notwendigen Seins konfrontiert, das erst sekundär mit ebender Praxis in Berührung gebracht werden muss, die P. bewusst vor den Toren seines Theorieschlosses hat warten lassen, um sie nun notgedrungen hineinzubitten. Wie also gelangt man vom spätcartesianischen abstractum zu einem personalen Sein? Descartes zitierte den Gott, den er eigentlich beweisen wollte, heran, um diesen Schritt rechtfertigen zu können. P. will so weit gar nicht kommen, weil er das Personale rein geistig fasst als Wesen mit Intelligenz, Willen, Freiheit (239) und diese Annahme auf die weniger hohe Intelligibilität des Gegenteils – einer res non cogitans – gründet (241). Seit wann erklärt man das Obskure mit der Unwahrscheinlichkeit des noch Obskureren?
Dieser zweite Schritt scheitert also daran, dass P.s rationalistisches Verfahren defizitär ist – in doppelter Hinsicht. Wenn der ›Seins-Gott‹, den P. zuweilen zum Thema zu machen scheint (260), tatsächlich derjenige der christlichen Tradition im Modus der sukzessiven Anreicherung ›werden‹ soll, wird man kaum die schon in den Meditationen verunglückte Vision teilen, auf diesem Weg überhaupt in die Nähe eines lebendigen Gottes, an den Christen glauben, zu kommen. Sollte dies nicht das Ziel P.s gewesen sein – es bleibt unklar –, dann steht sein wiederholter Verweis auf den Schöpfungsglauben im Raum; demnach beantwortet der Glaube an den Gott des Seins nicht die Warum-Frage zum Dasein der Schöpfung, sondern die Wie-Frage bezüglich ihres Soseins (287). Wenn es tatsächlich um dieses Wie ginge (so 250), wäre jedoch dieser ›Glaube‹ eine kaum ernst zu nehmende Hypothese, die längst widerlegt ist. Stephen Hawking ist sicher nicht der allerbeste Partner für ein Gespräch über diesen locus (255–260).
P.s Projekt steht daher auf nicht einmal tönernen Füßen. Umso fragwürdiger muss seine überaus harsche Kritik an Heidegger wirken, die im vorgelagerten Kapitel dargestellt wird unter der Überschrift »Heideggers ›Seinsdenken‹: die Fehlentwicklung eines bedeutenden Ansatzes« (67). Darin ist zumindest ein Hauch von Wertschätzung zu spüren, die darauf gründet, dass Heidegger Sein als Sphäre zu sehen gelehrt habe, die sowohl die konstituierende Subjektivität als auch die konstituierte Welt umfasse (82) – ein Gedanke, den P. dankbar aufnimmt. Doch darüber hinaus habe sich Heidegger mit seiner Gleichsetzung von Metaphysik und Onto-Theologie regelrecht schuldig gemacht, insbesondere gegen Thomas, der auch für P. den Normaltheologen repräsentiert. Die Seinsvergessenheit, wie seit Heidegger behauptet, sei gerade kein Merkmal der Metaphysik (67 f.74); überhaupt bleibe das Verhältnis von Gott und Sein im Heideggerschen Denken weithin ungeklärt, dessen spätere Wendungen nach der »Kehre« leer seien (69.86), halbmythologische Sprachphantasien darstellten (123), mit inkohärenten Banalitäten aufwarteten (127) oder sogleich der ernsthaften Beschäftigung für unwürdig befunden werden (135).
Im vierten Kapitel zu den völligen Insuffizienzen der Ansätze von Levinas und Marion verschärft sich dieser Ton in einer Weise, dass mir eine sachliche Auseinandersetzung mit P.s kritischen Tiraden kaum sinnvoll erscheint. Das Anliegen der beiden Franzosen, ihr argumentatives Umfeld und die Hintergründe des Interesses an ihren Beiträgen seitens anderer Philosophen und Theologen bleiben fast gänzlich unterbelichtet. Ohne Licht allerdings wird das sehr wohl Problematische dieser Zugänge nur schwer zu erkennen sein. Einer der zahlreichen Steine des Anstoßes bildet der Unwillen insbesondere Marions, die Gottesfrage überhaupt noch im Rahmen des Seinsdenkens zu verhandeln (421), was in eine gänzliche Separierung radikal-negativitätstheologischer Couleur münde (398). Nun radikalisiert Marion in der Tat, und zwar den Begriff der »Reduktion« Husserls, indem er eine zusätzliche und dritte Form der Zurückführung ansetzt (349). Diese nennt er die Reduktion auf die »reine Phänomenalität«, wonach das (»saturierte«) phainomenon als Gabe, als Schenkung ohne das Konstituens erkannt werden könne (357.361). P. kritisiert diesen Begriff in aller Schärfe, meine doch »Phänomenalität« gerade die Konstitution der Gegenstände, ohne sie zu erschaffen (353.371). Diesem Bedenken wird man grundsätzlich zustimmen können, allerdings ähnelt Marions Emphase des Sich-Zeigens saturierter Phänomene P.s zentraler These von der Selbstexplikation des Seins so sehr, dass sein offensiver Furor eher einem Eigentor gleicht. – Zur Präzisierung seiner eigenen Position trägt dieses 140-seitige, regelrecht vernichtende Schlusskapitel leider kaum etwas aus, wie sich überhaupt dessen Aufwand in einem argen Missverhältnis zum Ertrag befindet, um das Buch nach vollbrachter Zerstörung im argumentativen Niemandsland ohne Bilanz und Ausblick verlaufen zu lassen.
Daher wird der Leser zurückgeworfen auf den konstruktiven Kern des Buches, dessen Ertrag sich an den Erfolgsaussichten von P.s Version eines ontologischen Arguments in panentheistischer Zuspitzung messen lassen muss: Folgt also aus der Unvorstellbarkeit absoluter Kontingenz in mente die Existenz eines absolut notwendigen Seins in re? Auch P. wird nicht bestreiten, dass aus Un­vorstellbarem alles oder nichts folgt. Nur nichts Überzeugendes.