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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

424-426

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Asmuth, Christoph, u. Kazimir Drilo [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Eine oder der Andere. »Gott« in der klassischen deutschen Philosophie und im Denken der Gegenwart.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. VIII, 270 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 44. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150112-8.

Rezensent:

Dietz Lange

Der Band mit dem änigmatischen Obertitel ist hervorgegangen aus einer Tagung an der Technischen Universität Berlin 2007, die das »Internationale Netzwerk Transzendentalphilosophie/Deutscher Idealismus« ermöglicht hat, »ein Zusammenschluss meist junger Nachwuchswissenschaftler« (Vorwort). Es enthält 16 fast durchweg knappe, übersichtliche und thematisch klar begrenzte Beiträge, denen offensichtlich ganz bewusst der Werkstatt-Charakter belassen wurde. Die Zusammensetzung der Autoren ist erfreulich international. Neben Deutschland sind vertreten: Kroatien (1), Italien (3), Frankreich (1), Polen (2), Niederlande (1). Darunter sind vier Frauen. Die ausländischen Autoren schreiben zumeist ein gutes Deutsch. Doch hätte es für die Korrektur etlicher verbliebener grammatikalischer Fehler dem Band gut getan, wenn der deutsche Herausgeber die Texte noch einmal durchgegangen wäre.
Die Tendenz des Buches geht ganz überwiegend dahin, die Überlegenheit und bleibende Aktualität der idealistischen Philosophie gegenüber Denkern des 20. Jh.s zu erweisen. Das Erste wird man in den meisten Fällen umstandslos zugestehen – nicht nur, wenn die modernen Gesprächspartner einem das so leicht machen wie Vattimo und Cupitt (Beitrag von P. Grünberg, 207–224). Das Zweite wird man wegen der enormen Wirkungsmacht jener großen Denker auch nicht ohne Weiteres bestreiten wollen. Doch scheinen mir grundlegende Einsichten, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten gewonnen wurden, wie z. B. die im Grunde ja schon bei Kant angelegte Erkenntnis W. Diltheys und anderer, dass man mit unterschiedlichen Gestalten von Rationalität zu rechnen hat, die nicht aufeinander abbildbar sind, zu einem differenzierteren Urteil zu nötigen. Immerhin klingt dieser Punkt in dem letzten Beitrag an, in der Kritik A. Lyssys (239–253) am naturwissenschaftlichen Reduktionismus z. B. der modernen Hirnforschung, wenngleich Lyssy seine Argumentation dadurch belastet, dass er der Neurotheologie die Religion mit Kant lediglich als die Basis der Moral gegenüberstellt. Schleiermachers Hinweis auf die Eigenständigkeit der Religion gegenüber Denken und Handeln wird hier – wie leider auch sonst in diesem Band – ignoriert.
Die am meisten vertretenen klassischen Autoren sind Fichte und Hegel. Das bedarf natürlich keiner Rechtfertigung. G. Zöller befasst sich mit dem späten Fichte (39–54), den er der »gängigen Vereinnahmung« für das Christentum (39) entziehen will. Dem Rezensenten scheint freilich trotz der scharfsinnigen Analyse Zöllers der Aufbau der »Anweisung zum seligen Leben«, die mit Christus als der Weltenwende schließt, doch eher für die herkömmliche Interpretation zu sprechen. K. U. Gregor (55–84) möchte dem Scheitern der Philosophie der »radikalen Fraglichkeit« bei W. Weischedel durch den Verweis auf Fichtes Erkenntnistheorie begegnen. M. Rampazzo Bazzan (85–95) bezieht Carl Schmitt auf Fichte (freilich mehr noch auf Hobbes); hier wird allerdings nicht recht klar, worauf Rampazzo hinaus will. C. Senigaglia (97–112) stellt die Auseinandersetzung von Levinas mit Fichte dar und votiert gegen die Wissenschaftslehre und für den neueren Denker, dessen Philosophie der Spur der Andersheit sie als dialogisch versteht.
Umgekehrt wendet W. Rogge (225–237) gegen Levinas ein, er müs­se die allgemeine Vernunft und das Sein, im Widerspruch zu seiner Polemik gegen Hegel, doch selbst voraussetzen. Er habe in seinem Konzept die Beziehung von Menschen untereinander und mit Gott nicht wirklich als solche gedacht, da sei ihm Hegels Konzept der gegenseitigen Anerkennung entschieden vorzuziehen. Hegel ist auch der Gegenstand mehrerer anderer Beiträge, die hier nicht alle referiert werden können. Behandelt werden der Dreischritt von Kunst, Religion und Philosophie in Hegels Religionsphilosophie ( D. Pätzold, 113–128), seine Staatslehre, die der Autor, J. Kloc-Konkolowicz (157–169) für nach wie vor aktuell hält, freilich mit nicht immer glücklichen Beispielen (so missversteht er den clash of civilizations von S. Huntington als den Konflikt zwischen Religion und Staat, 162), der ontologische Gottesbeweis im Vergleich mit dem analytischen Philosophen G. Priest (E. Ficara, 171–180) und die neothomistische Hegelkritik des Niederländers J. Hallak (A. Kok, 128–140). Für Theologen von besonderem Interesse ist K. Drilos Darstellung von F. Wagners Theorie des Absoluten (141–155). Sie konzentriert sich klar auf das Wesentliche und kann dem Leser die oft nicht einfache Argumentation dieses Denkers gut aufschließen. Wagners Abkehr von seiner Theorie gegen Ende seines Lebens wird nicht übergangen. Drilo erledigt sie aber m. E. zu rasch mit dem Hinweis, Wagner hätte sich statt der Wissenschaft der Logik besser einen anderen Orientierungspunkt innerhalb der Philosophie Hegels, nämlich die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, wählen sollen. Dabei ging es, wie Drilo an sich durchaus gesehen hat, um viel mehr: Wagner sah den ganzen Ansatz der spekulativen Philosophie im Stile Hegels für gescheitert an. Ob Drilos nachträglicher Rat zur Behebung des Problems vielleicht darauf beruht, dass ihm Wagners am Ende wieder positivere Wertung Schleiermachers suspekt war?
Es ist ein erfreuliches Kennzeichen der Themenauswahl, dass neben den ganz Großen, Kant (vor allem in B. Nonnenmachers Vergleich mit Heidegger, 23–37), Fichte, Schelling und Hegel auch zwei in diesem Zusammenhang eher am Rande stehende Gestalten zu Wort kommen: Friedrich Schlegel mit seinem »Pendel« zwischen »Enthusiasmus und Skepsis« (durch Chr. Binkelmann, 7–21) und K. W. F. Solger (durch M. Galland-Szymkowiak, 191–206). Leider er­wähnt der erstgenannte Artikel Schlegels Konversion zum Katholizismus nur en passant, ohne sie in der weiteren Analyse, die sich auf eine Jenenser Vorlesung beschränkt und deren eigentümliche Zwischenposition zwischen Fichte und Hegel beleuchtet, noch zu berücksichtigen. Dagegen wäre die Frage zu stellen, ob es vielleicht schon in dem frühen Text Aporien gibt, die auf die Möglichkeit einer solchen Wende hindeuten. Aber mit dieser Einschränkung ist das Gebotene, das einen bisher wenig bekannten Text behandelt, durchaus instruktiv, ebenso wie dann der Aufsatz über den heute fast vergessenen, aber durchaus interessanten Solger.
Insgesamt handelt es sich um einen anregenden Band, der trotz der erwähnten Einseitigkeiten doch ein weites Spektrum abdeckt. Reizvoll ist er auch gerade wegen seines Werkstatt-Charakters, weil er auf diese Weise umso wirksamer zum selbständigen Weiterdenken auffordert.