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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

139–141

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wacht, M.

Titel/Untertitel:

[Thraede, Klaus]: Panchaia. Festschrift für Klaus Thraede.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1995. 260 S. ’ 1 Porträt 4o = Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.Bd. 22/1995. Lw. DM 100,­. 1995. ISBN 3-402-08106-7.

Rezensent:

Rudolf Brändle

Der prächtige Band ehrt den Gelehrten Klaus Thraede, der zum Forschungsgebiet Antike und Christentum und insbesondere zur Erforschung der Stellung der Frau in der christlichen Spätantike viel beigetragen hat, zu seinem 65. Geburtstag. Auf den S. 7-9 ist ein Verzeichnis der Schriften des Gefeierten zu finden. Die Bezeichnung "Panchaia ist der künstlich gebildete Name der wichtigsten Insel der von Euemeros erdichteten Inselgruppe im indischen Ozean" (PRE XVIII,3,493). Der Titel der Festschrift knüpft an die Artikel ’Euhemerismus’ und ’Erfinder’ an, die Klaus Thraede für RAC geschrieben hat. Er soll daran erinnern, daß sein Forschungsinteresse den realen gesell-schaftlichen Verhältnissen wie den sozialen Ideen und Utopien des heidnischen und christlichen Altertums gilt.

Von diesem Interesse sind auch die 22 Beiträge des vorliegenden Bandes, der in der gewohnten hervorragenden Ausstattung erschienen ist, geleitet. Sie zeigen eine erstaunliche Vielfalt. Zeitlich reichen sie von Paulus (David L. Balch, Paul in Acts: "...you teach all the Jews... to forsake Moses, telling them not to... oberserve the customs" (Act 21,21]) bis zu Justinian (Gerhard Wirth, Zu Justinian und Theoderich) und Ermenrich (Werner Suerbaum, Ein heidnischer Klassiker als ’Dünger’ christlicher Bildung. Quellen und Bedeutung des Vergil-Bildes bei Ermenrich von Ellwangen [um 850]. Inhaltlich behandeln sie kirchliche Autoren wie Tertullian (Albrecht Dihle, Tertullians Lehre vom zweifachen Willen Gottes), Minucius Felix (Hans Armin Gärtner, Die Rolle und die Bewertung der skeptischen Methode im Dialog Octavius des Minucius Felix), Pseudo-Cyprian (Eberhard Heck, Pseudo-Cyprian, Quod idola dii non sint und Lactanz, Epitome Divinarum Institutionum), Prudentius (Kurt Smolak, Die Katastrophe am Himmel. Eine Analyse von Prudentius, Apotheosis 611/638), Ambrosius (Carl P. E. Springer, The concinnity of Ambrose’s Inluminans Altissimus), Paulinus von Nola (Siegmar Döpp, Baebianus und Apra. Zu Paulinus Nolanus (?) c. 33), Dracontius (Willy Evenepoel, Dracontius, De laudibus Dei, 1,329/458: Adam and Eve before the fall) und Dionysius Ps.-Areopagita (Adolf Martin Ritter, Proclus christianisans? Zur geistesgeschichtlichen Verortung des Dionysius Ps.-Areopagita), gehen auf die Interpretation biblischer Texte ein (Ernst Dassmann, "Als Mann und Frau erschuf er sie". Gen 1,27c im Verständnis der Kirchenväter; Gal 2,11/14: Alfons Fürst, Origenes und Ephräm über Paulus’ Konflikt mit Petrus [Gal 2,11/14]), wenden sich Aspekten der Ideengeschichte (Norbert Brox, Hermas und eine "politische Metaphysik"? Carsten Colpe, Utopie und Atheismus in der Euhemeros-Tradition), Problemen der Alten Kirche (Emiel Eyben, Young priests in early christianity; Wolfgang Speyer, Das christliche Ideal der geschlechtlichen Askese in seinen negativen Folgen für den Bestand des Imperium Romanum), einer Begriffsuntersuchung (Gerhard Perl, Nomen als organisatorischer Terminus) oder Realien des Alltagslebens zu (Josef Engemann, Kritische Überlegungen zur Bezeichnung der Meteriola als ’soro’ auf ihrem Grabstein aus Remagen; Werner Gauer, Konstantin und die Geschichte. Zu den ’Spolien’ am Konstantinsbogen und zur Schlangensäule; Wolfgang Luppe, Das Grabepigramm auf den Architekten Perikles von Mylasa, Georg Schöllgen, Balnea mixta. Entwicklungen der spätantiken Bademoral im Spiegel der Textüberlieferung der Syrischen Didaskalie).

Nachstehend soll auf drei Beiträge, die nach der gegenwärtigen Interessenlage des Rezensenten ausgewählt sind, näher eingegangen werden. In einem großen Bogen gibt Ernst Dassmann einen Überblick über die patristische Exegese von Gen. 1,27c. Die Kirchenväter ­ vorgestellt werden Klemens, Origenes, Methodius, Aphrahat, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus, Tertullian, Cyprian und Augustin ­ halten zum einen an den klaren Aussagen des Schöpfungsberichtes fest, in dem sowohl die Ebenbildlichkeit als auch die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau ausgesagt sind, haben indes unter dem Einfluß des Jesuswortes vom engelgleichen Leben der auferstandenen Gerechten (Mt22,30) und verschiedenen anderen Einflüssen (Philo, Gnosis) Leib, Geschlecht und Frau zunehmend negativ beurteilt. Daß die Entwicklung so verlaufen ist, hängt m.E. direkter mit negativen ntl. Aussagen zusammen, als es der Autor annimmt, der in diesen Stellen nur "einen Hauch von Legitimation" (46) der späteren Interpretationen sehen möchte.

Gerhard Schöllgen geht in seinem Beitrag auf die Entwicklungen der spätantiken Bademoral im Spiegel der Textüberlieferung der Syrischen Didaskalie ein. "Die syrische Didaskalie gibt in ihren verschiedenen Fassungen bzw. Bearbeitungen ein prägnantes Beispiel für die Differenzierungsmöglichkeiten, die Autoren, Übersetzern und Bearbeitern einer Kirchenordnung trotz prinzipieller Ablehnung der balnea mixta offenstanden" (182). Die Didaskalie macht in dieser Frage trotz der großen Zurückhaltung gegenüber Männern und Frauen gemeinsamen Bädern weitgehende Zugeständnisse. Das strikte Verbot gilt nur für Orte, an denen eigene Frauenbäder vorhanden sind. Solche Bäder gab es aber nur in größeren Städten, darum ist anzunehmen, daß die Didaskalie ihr Zugeständnis für einen großen Teil der in Frage kommenden Gemeinden formuliert hat. Der lateinische Übersetzer hat dieses Zugeständnis zwar nicht unterdrückt, aber doch modifiziert, der Redaktor der Apostolischen Konstitutionen geht viel weiter. Nicht nur das Baden in Männern und Frauen offenen Bädern soll unterbleiben, sondern auch das Baden im Frauenbad eingeschränkt werden. Schöllgen zeichnet an einem konkreten Beispiel die Entwicklungslinien von der Spätantike ins Mittelalter. Er vermeidet dabei das Cliché, daß der Kirche allein die Verantwortung für den neuen Umgang mit dem Körper zuzuschreiben sei. Der verschärfte Kampf gegen die gemischten Bäder ist auch in der Zeit nach Konstantin nichts spezifisch Christliches. "Es scheint sich um ein gemeinsames Charakteristikum der Spätantike zu handeln" (191).

Wolfgang Speyer versucht mit alten und neuen Materialien, die These zu erhärten, daß die christlichen asketischen Bewegungen im Osten wie im Westen als eine "keineswegs gering zu veranschlagende Mitursache bei einer Bewertung aller in Betrachtung kommenden Gründe für den Untergang des Imperium Romanum zu berücksichtigen sind" (208). In einer Welt, in der jede Frau durchschnittlich fünf Kinder zur Welt bringen mußte, damit die Bevölkerung auch nur konstant blieb, mußten die asketischen Forderungen tatsächlich provozieren. Das zeigt sehr schön die Vita Theclae, ein Text aus dem 5. Jahrhundert (16, G. Dagron [ed.], Vie et miracle de Sainte Thècle, 190/192). Dennoch bin ich der Meinung, daß der Autor die Bedeutung der christlichen asketischen Bewegungen für das Römische Imperium überschätzt. Er schreibt: "Die Hinwendung zur Askese muß im 4. und 5. Jahrhundert eine bestimmende massenpsycho-logische Erscheinung gewesen sein" (217). Für Randgebiete wie Ägypten und Syrien mag das zutreffen. Aber für das gesamte Gebiet des Imperiums reichen die vorhandenen Quellen m.E. nicht aus, um von einer Massenbewegung zu sprechen. Das Urteil des Autors gibt wohl eher ein in christlichen, besonders in monastischen Kreisen in der Spätantike verbreitetes Wunschdenken wieder. Ich schließe mich Peter Brown an, der formuliert hat: "mediterrane Römer hüllten sich nicht in nennenswerter Zahl in Mönchskutten". (Die Keuschheit der Engel, München 1991, 440).