Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2011

Spalte:

416-417

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Winterstein, Ulrike

Titel/Untertitel:

Vertriebener Klerus in Sachsen 1945–1955.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2010. 288 S. m. Abb. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 118. Lw. EUR 38,00. ISBN 978-3-506-76978-7.

Rezensent:

A. B.

Diese interessante Detailstudie wurde von der Fakultät für Ge­schichte, Kunst und Orientwissenschaften der Universität Leipzig im Wintersemester 2008/09 als Dissertation angenommen. Sie un­tersucht den vielschichtigen und ambivalenten Prozess der Eingliederung des seit 1945 geflohenen oder vertriebenen katholischen Klerus in Sachsen und im südöstlichen Brandenburg (Bistum Meißen, Diözesangebiet Görlitz-Cottbus) im Spannungsfeld zwischen allgemeiner politischer Repression und individueller biographischer Realisierung. Aufgrund sorgfältiger, umfassender Auswertung der einschlägigen archivalischen Quellen gelingt es der Vfn., die religionspolitischen Rahmenbedingungen in der SBZ und DDR ebenso präzise zu rekonstruieren wie die kirchenrechtlichen, institutionellen und mentalen Voraussetzungen sowie die konkreten ökonomischen, sozialen, religiösen und theologischen Manifestationen des langwierigen, schwierigen, oft schmerzhaften und bisweilen auch scheiternden Integrationsprozesses.
In der Durchführung dieser Analyse bewährt sich insbesondere die Entscheidung, nicht etwa effekthaschend sogleich mit prosopographischer Anschaulichkeit einzusetzen, sondern die unterschiedlichen Karriereverläufe des betroffenen Personenkreises (ca. 200 Priester) erst nach der umsichtigen Erhebung der Verhältnisse, auf die sie trafen und in denen sie sich zurechtfinden mussten, in ihrem jeweiligen Kontext tiefenscharf zu vermessen. Insofern verdient das letzte, fünfte Kapitel, das die Integration des vertriebenen Klerus als Beispiel für den Elitentransfer in der katholischen Kirche zu verstehen sucht, besonderes Augenmerk, und darin wiederum der minutiös erkundete »Fall des Priesters Arthur Langer« (236–243).
Natürlich hätte die Exemplarizität des Untersuchungsgegenstandes dadurch noch erheblich an Profilierung gewonnen, dass er mit entsprechenden Vorgängen in der evangelischen Geistlichkeit sowie in der frühen Bundesrepublik ins Verhältnis gesetzt worden wäre. Andererseits würde solche Feldforschung aber unweigerlich einen empfindlichen Differenzierungs- und Präzisionsverlust mit sich gebracht haben. Da die vorliegende, wertvolle Studie als ein Teil des von der Universität Leipzig und der Kommission für Zeitgeschichte (Bonn) getragenen Projekts »Kollektive Biographien geflohener und vertriebener Eliten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR nach 1945« entstanden ist (9), steht zu erwarten, dass eine integrative Auswertung des Gesamtvorgangs, die allein auf der Basis solcher präzisen, soliden und konkreten Fallstudien aussichts- und ertragreich sein kann, dann noch folgen wird.