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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

415-416

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Leugers, Antonia

Titel/Untertitel:

Jesuiten in Hitlers Wehrmacht. Kriegslegitimation und Kriegserfahrung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2009. 224 S. m. Tab. gr.8° = Krieg in der Geschichte, 53. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-76805-6.

Rezensent:

Thomas Martin Schneider

Die kleine Studie ist im Sonderforschungsbereich »Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« der Universität Tübingen entstanden. Die katholische Theologin Antonia Leugers war dort 2007–2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin und legte bereits eine Reihe von Arbeiten zur Katholizismusforschung insbesondere im »Dritten Reich« vor.
Die Untersuchung beruht auf der Auswertung eigentlich noch gesperrter Bestände aus dem Archiv der Deutschen Provinz der Societas Jesu in München. Sie versteht sich nicht als »erschöpfende Gesamtanalyse«, sondern als »notwendige[r] Beitrag zur Debatte um die spezifische ›Kriegserfahrung‹ katholische Soldaten im Krieg Hitlers« und als »Anregung für weitere Forschungsprojekte« (9). Erkenntnisleitende Frage ist die »nach der Motivation für die Beteiligung katholischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg unabhängig von einer neuen Traditionsbildung« (21).
Die einleitenden Kapitel zum Forschungsstand, zur Quellenlage, zum methodischen Vorgehen, zur Untersuchungsgruppe und zu den spezifischen Kommunikationsprozessen mittels Feldpost- und Rundbriefen (11–42) sind sorgfältig gearbeitet, stehen allerdings schon quantitativ in einem gewissen Missverhältnis zur eigentlichen Analyse der 2.605 Briefe von 289 Verfassern sowie der gut 100 Rundschreiben (43–116). Manche Angaben der einleitenden Kapitel, etwa die Hinweise zur Schreibfrequenz und zu einer Vergleichsstichprobe zum Ersten Weltkrieg (35 f.; vgl. auch die Tabellen im Anhang, 188–196), sind für die Hauptteile kaum von Belang, könnten aber Grundlage für eine umfassendere Fortsetzungsstudie sein.
Die Hauptteile sind – mit Ausnahme einiger Abschnitte, in denen L. sich überwiegend auf Sekundärliteratur bezieht (etwa 64ff.) –, gründlich aus den Quellen heraus gearbeitet. Zahlreiche Zitate illustrieren anschaulich die Analyse und vermitteln einen authentischen Einblick in die Mentalität der Jesuitensoldaten, die sich, so L., vor allem in drei Diskursgemeinschaften bewegten: »in der nationalsozialistischen ›Volksgemeinschaft‹, in der Kasernen- und Frontgemeinschaft der ›Kameraden‹ und nach ihrem Selbstverständnis zu allererst in ihrer Ordensgemeinschaft« (60). L. zeigt u. a., dass die »Identifikationsfigur des soldatischen Ordensgründers, Ignatius von Loyola … im Krieg gezielt revitalisiert und … als leuchtendes Vorbild genutzt« wurde (51), dass das Feindbild durch antibolschewistische und antisemitische, teilweise auch durch andere rassistische (anti-»asiatische«) Stereotype geprägt war (70. 9 0f.), dass »die katholische Missionierung Russlands und die Wie­dervereinigung der getrennten Kirchen eine der größten Wunschprojektionen« war (75), dass man dementsprechend zum Teil unbefangen von einem »hl. Krieg« bzw. »Kreuzzug« sprach (76.78), dass man zwar nicht für das nationalsozialistische, aber für ein neues, besseres Deutschland, für die »religiöse Wiedergeburt unseres Vaterlandes« kämpfte: »Alles für Deutschland – Deutschland für Christus« (77), dass bei der Kriegsführung menschenverachtende Vokabeln wie »Niedermähen« und »Vernichten« Verwendung finden konnten (85), dass man sich als »Werkzeug Gottes« sah (93) und eine gesteigerte Gottesnähe und -führung sowie ein intensiveres Ge­meinschaftserlebnis empfand (99).
Demgegenüber konstatiert L., dass »eine typisch christliche Sprache des Erbarmens, Mitleids und der Nächstenliebe« »fast durchweg« gefehlt habe (97). Erst gegen Kriegsende sei es ganz vereinzelt zu einem »Bruch mit der … von den Oberen und Weltkriegsveteranen bewusst reaktivierten soldatisch-kämpferischen Identität« ge­kommen (107). Die auf Anordnung Hitlers im Mai 1941 verfügte Entlassung der Jesuiten aus dem aktiven Wehrdienst wurde durchweg als ehrverletzend empfunden, auch wenn sie ausdrücklich nicht mit dem Stigma der »Wehrunwürdigkeit« verbunden war (10 9ff.). Die genauen Hintergründe der Verfügung bleiben leider im Dunkeln. Ebenso bleibt der Weg des mehrfach kurz erwähnten Jesuitenpaters Alfred Delp in den Widerstand rätselhaft. In einem kurzen Schlussteil (117–120) zieht L. folgendes Fazit: »Somit waren auch sie [die Jesuitensoldaten] voll verantwortlich Beteiligte dieses Zweiten Weltkrieges mit allen Opfern und Folgen.« (119)
Die im Anhang (123–187) sorgfältig edierten 62 Dokumente lassen die Leserschaft eintauchen in die Gefühlswelt der Jesuitensoldaten, die ihrem Orden und Vaterland gleichermaßen dienen wollten – sich zu besonderer Mission berufen sahen und zugleich gute Kameraden ihrer weltlichen Volksgenossen sein wollten. Die Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte 1939–1945 weist noch erhebliche Lücken auf. L.s Arbeit trägt dazu bei, eine davon zu schließen.