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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

413-415

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Feldkamp, Michael F.

Titel/Untertitel:

Mitläufer, Feiglinge, Antisemiten? Katholische Kirche und Nationalsozialismus.

Verlag:

Augsburg: Sankt Ulrich 2009. 205 S. 8°. Geb. EUR 18,90. ISBN 978-3-86744-065-3.

Rezensent:

Bernhard Schneider

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Höller, Simone: Das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung in Deutschland 1933–1945. Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2009. 365 S. m. Abb. gr.8° = Veröffent­lichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: For-­ schungen, 114. Lw. EUR 44,90. ISBN 978-3-506-76686-1.


Dass im sog. katholischen Milieu Sammelvereine zugunsten der katholischen Missionen die ältesten Vereine und mit einer Repräsentation in nahezu jeder katholischen Pfarrei auch die mitgliederstärksten waren, wird leicht übersehen. Von daher wundert es auch nicht, wenn nach vielen Einzelstudien zum katholischen Vereinswesen in der NS-Zeit erst jetzt eine detaillierte Studie zum Schick­sal des Päpstlichen Werks zur Glaubensverbreitung (PWG), bis zu seiner Umbenennung und Umorganisationen im Jahr 1922 auch als Franz-Xaverius-Verein bekannt, vorgelegt wird. Insofern schließt die von Simone Höller an der Universität Köln im Fach Geschichte bei Günther Wollstein angefertigte Dissertation eine echte Lücke und sie tut es mit großem Gewinn für die Katholizismusforschung.
Den Nationalsozialisten war die Bedeutung dieser religiösen Vereine für den deutschen Katholizismus offenkundig nicht entgangen, und so ist es nur auf den ersten Blick erstaunlich, in welchem Ausmaß Missionsvereine und die kirchliche Missionstätigkeit in den Fokus der NS-Propaganda gerieten und zahllosen Übergriffen der verschiedenen Organe innerhalb des NS-Staates ausgesetzt waren. Das reichte von polemischen Angriffen in der NS-Presse, gezielten Nadelstichen gegenüber der Missionspresse (über 50 Titel mit teils riesigen Auflagen) über massive Hindernisse beim Transfer der gesammelten Spendengelder und deren Besteuerung bis hin zu brachialen Methoden des Sammelverbots außerhalb des Kirchenraumes und dem sukzessiven Verbot der Missionspresse. Erfolgte das alles entsprechend der plutokratischen Struktur des NS-Systems eher unkoordiniert, so war es in der Summe für das PWG existenzgefährdend. Immerhin ließ diese Vorgehensweise auch Schlupflöcher, deren sich die Verantwortlichen im PWG geschickt zu bedienen wussten.
Die Auseinandersetzung wurde vor dem Hintergrund einer sehr fundamentalen weltanschaulichen Dissonanz geführt: Der Anspruch der Rassenideologie auf eine Rassereligion und die kirchliche Lehre mit ihrem Universalitätsanspruch standen sich grundsätzlich diametral gegenüber. In aller gewünschten Klarheit sprachen auch Artikel in den katholischen Missionszeitschriften diesen Widerspruch immer wieder aus. Rasse als Denkkategorie fand sich freilich auch bei den engagierten Gegnern innerhalb des PWG, wo sich ein Referent zu der Aussage verstieg, in dieser Hinsicht habe man vom Nationalsozialismus manches sehen gelernt (96).
Im wirtschaftlichen Bereich ging es darum, Wege zu finden, wie das materielle Überleben gesichert und wie das eingenommene Geld aus den Beiträgen und Schenkungen dem Vereinszweck entsprechend noch für missionarische, wenigstens aber für kirchliche Zwecke eingesetzt werden konnte. Trotz schwerer Einbußen ge­lang beides, wobei auf dem Umweg über die sog. Lazaretthilfe sogar noch ca. 50 Ordenseinrichtungen in Deutschland vor dem Zugriff von NS-Organen im sog. Klostersturm gerettet werden konnten.
Im Unterschied zu manchen anderen Darstellungen versteht es Höller hervorragend zu differenzieren. So bleibt die ganze Arbeit frei sowohl von apologetischer als auch von polemisch beschuldigender Argumentation. Höller zeigt den mutigen inhaltlichen Widerspruch im Weltanschaulichen ebenso auf wie das große Geschick der Leiter des PWG, sich mit Finessen und manchen Bündnispartnern (z. B. im Auswärtigen Amt und der Wehrmacht) zu behaupten. Nicht nur das nackte Überleben wurde erreicht, sondern in der Kriegszeit sogar ein neuer Boom hinsichtlich Mitgliederzahlen – 1933/34 ca. 275.000; 1944: 504.000 – wie Spendenaufkommen – knapp 10 Mio. Reichsmark. Höller scheut sich genauso wenig, Fehleinschätzungen klar zu benennen (das Vertrauen auf das Reichskonkordat; die erfolglose Eingabepolitik), und übersieht auch kritische Aspekte des Handelns um der Selbsterhaltung willen nicht (Verbiegungen bis über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus; nationalkonservative Kolonialideen). Nicht eindeutig ist immer zu erkennen, was bei den katholischen Akteuren dabei taktisches Kalkül war oder wo doch auch inhaltliche Affinitäten bestanden. Mit dieser Problematik geht Höller insgesamt sensibel um, doch hätte vielleicht ein Blick auf das PWG und seine Zeitschriften wenigstens in den letzten Jahren der Weimarer Republik geholfen, um mögliche Veränderungen noch besser identifizieren zu können (punktuell, 146).
Zur Erforschung des Deutschen Vereinskatholizismus leistet die Studie von Höller auch gewissermaßen nebenbei manch wertvollen Beitrag. Sie macht auf die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Missionsvereinen und damit auf die partikularen Interessen innerhalb des katholischen Milieus aufmerksam. Erst der nationalsozialistische Druck führte zu einem gemeinsamen Vorgehen (178–198). Dieser Druck war es auch, der im Krieg ökumenische Kontakte der sonst konkurrierenden konfessionellen Missionswerke brachte, freilich unter der Annahme, in künftigen deutschen Kolonien eng zusammenarbeiten zu müssen, um Mission dort überhaupt möglich zu machen. Anschaulich werden Dissonanzen im Verhältnis zwischen Kurie und deutschem Katho­-lizismus aufgezeigt. So vermochten der römische Generalrat der Päpstlichen Missionswerke wie auch die kurialen Behörden die deutsche Sondersituation (besondere Devisengesetze; Beschränkung der Presse) erstaunlicherweise nur unzureichend bzw. verspätet zu erfassen, womit sie den Überlebenskampf der deutschen Institutionen zusätzlich erschwerten – anders Papst Pius XII. (129. 180–183).
Einen völlig anderen Charakter hat die zweite hier zu besprechende Darstellung. Michael Feldkamps Buch ist gerade keine Spezialstudie, sondern möchte einen Überblick über das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus für eine breite Leserschaft bieten. Es reagiert damit auf die nicht selten polemische Diskussion um dieses Thema insbesondere im eher populärwissenschaftlichen Genre. Dieser populären Ausrichtung ist der Umstand geschuldet, dass im ganzen Buch auf Anmerkungen verzichtet wird, wodurch selbst wörtliche Zitate ohne Nachweis bleiben, was mehr als bedauerlich ist. Feldkamp bietet seinen Lesern in der Tat einen gut lesbaren Überblick über alle wesentlichen Aspekte des Themas. Die harten Fakten stimmen fast immer und Feldkamp kennt zweifels-ohne auch die Literatur – dem Leser werden im Literaturverzeichnis allerdings nur solche Titel genannt, welche Feldkamps eigener Position entsprechen – sowie die einschlägigen Quellen. Das will bei diesem Thema schon einiges heißen. Wo das Buch Probleme bereitet, geht es um indirekte Wertungen durch ausgelassene Fakten, und zwar solche, die den Eindruck relativieren oder differenzieren könnten, die katholische Kirche habe durchgängig in klarer Distanz zum Nationalsozialismus gestanden und sei nur dessen Opfer gewesen. So wird etwa die Verurteilung des Antisemitismus durch das Hl. Offizium im Jahr 1928 richtigerweise angeführt (39 f.), doch wird der komplexe Kontext nur so weit geschildert, als er geeignet erscheint, die kirchliche Distanzierung von jedem Antisemitismus oder Antijudaismus zu belegen. Die Forschungen u. a. von Hubert Wolf haben demgegenüber gezeigt, dass diese Verurteilung keineswegs ein reines Ruhmesblatt gewesen ist. Völlig unkritisch ist die Sicht auf die Erklärung der deutschen Bischöfe vom 28. März 1933, wo das einseitige und übereilte Vorgehen von Kardinal Bertram unbeachtet bleibt. Angesichts der jüngs­ten Entwicklungen im Bereich des sexuellen Missbrauchs erscheint es als peinlich, wenn die Sittlichkeitsprozesse von 1936/37 nur (!) unter dem Aspekt ungerechtfertigter NS-Propaganda be­handelt werden, obwohl längst bekannt ist, dass auch echte Fälle von Übergriffen vorhanden waren. Die Reihe ließe sich fortsetzen, doch finden sich auch sehr differenzierte Passagen (z. B. zur geplanten Anti-Rassismusenzyklika). Summa summarum: Feldkamp löst den eigenen Anspruch, eine ausgewogene Darstellung jenseits von Apologetik und Polemik zu bieten, nicht durchgängig ein.