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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

403-405

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lee, Simon

Titel/Untertitel:

Jesus’ Transfiguration and the Believers’ Transformation. A Study of the Transfiguration and Its Development in Early Christian Writings.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XI, 244 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 265. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150003-9.

Rezensent:

Stefanie Lorenzen

Das Thema der überarbeiteten Dissertationsschrift ist die Rezeption des Verklärungsmotivs in der frühchristlichen Literatur. Die Arbeit wurde 2008 an der Harvard Divinity School eingereicht und von François Bovon betreut.
Ausgangs- und Angelpunkt der Untersuchung stellt die markinische Verklärungserzählung (Mk 9,2–10) dar, die zunächst mit dem paulinischen Verwandlungsmotiv in 2Kor 3 (vor allem 2Kor 3,18) verglichen wird, um auf diese Weise mögliche Traditionen herauszuarbeiten. Der Schwerpunkt der Arbeit aber liegt nicht auf der eher herkömmlichen Frage nach der Traditionsgeschichte, sondern auf der Rezeption der Erzählung in der frühchristlichen Literatur. Dazu werden neben den Seitenreferenten Mt und Lk auch 2Petr 1,16–18 sowie die Petrusapokalypse (ApkPetr) und die Petrusakten (ActPetr 20–21) untersucht.
Die Konzentration auf die Rezeptionsgeschichte stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, der den Blick weg von den vieldis­kutierten »Ursprungsfragen« und hin zu einer Rekonstruktion frühchristlicher Sozial- und Ideengeschichte lenkt. Folgerichtig betrachtet L. sein Werk auch als Beitrag zur Geschichte des frühen Christentums: Untersucht werden soll, wie die »hinter« den Texten stehenden frühchristlichen Gruppierungen mit der Verklärungserzählung umgehen, wie sie sie interpretieren und inszenieren, um Antworten auf ihre aktuellen theologischen Fragen und Probleme zu finden. Dem Anliegen angemessen, verwendet L. eine Mischung aus synchronen und diachronen methodischen Zugängen.
Die Arbeit kommt dabei zu durchaus interessanten Einsichten, von denen hier einige besonders herausgestellt werden sollen: Be­merkenswert ist zum Beispiel die Annahme einer frühchristlichen Tradition, die laut L. sowohl hinter dem markinischen Verklärungs- wie auch hinter dem paulinischen Verwandlungsmotiv stehe. Jesus sei also schon vor Paulus in Aufnahme der jüdischen Tradition des verklärten Mose (Ex 34) als Mose überbietender Träger der göttlichen Doxa dargestellt und auf diese Weise legitimiert worden. Einen im Vergleich zur jüdischen Tradition spezifisch christlichen Akzent stelle dabei die (sowohl bei Paulus wie auch bei Mk erkennbare) Verknüpfung des Doxa- mit dem Leidensmotiv aus der Gottesknechtstradition dar: Sie gelte nicht nur für Jesus und dessen Legitimation als Gottessohn, sondern auch für seine Anhänger, die bereit sein müssen, die Erhöhung mit Christus durch Erleiden von Bedrängnissen zu erlangen.
Während die Verklärungsperikope im Mk-Evangelium die Funktion erfülle, das Paradoxon von Leiden und Verklärung als Teil des göttlichen Heilsplanes zu erklären, nutze Paulus diese Vorstellung, um seinen Apostolat gegen die Angriffe konkurrierender Apostel zu legitimieren: Einerseits interpretiere er durch den Hinweis auf die Mose-Verklärung sein eigenes Damaskuserlebnis als Beweis für die Rechtmäßigkeit seines Apostolats, andererseits sei die von den Korinthern selbst erfahrene Verwandlung sein »Empfehlungsschreiben« als legitimer Apostel. L. liest den Text in Ab­grenzung zur New Perspective mit stark christologischer Akzentuierung. Tendenzen, die schroffe Gegenüberstellung zwischen Ge­setz und christlicher Heilsbotschaft harmonisierend aufzulösen, sieht er darum kritisch. L.s Argumentation ist im Ganzen nachvollziehbar; etwas unklar bleibt meines Erachtens sein Umgang mit dem paulinischen Damaskuserlebnis als »Erfahrungshintergrund« für die Verwandlungsvorstellung in 2Kor 3; hier wäre eine stärkere Problematisierung nötig gewesen.
In Bezug auf die Rezeptionsgeschichte macht die Arbeit drei interessante Entwicklungen deutlich: Zum einen wird das Motiv der Verklärung Jesu zunehmend mit seiner Wiederkehr verknüpft und erlangt so vor dem Hintergrund der Parusieverzögerung »Beweis­charakter«. Es geht vor allem darum, die bedrängten frühchristlichen Gemeinden durch die Aussicht auf die bei der Parusie bevorstehende Verklärung in ihren Bedrängnissen zu stärken.
Zum anderen ist aufschlussreich, wie die Tradition der Verklärung Jesu immer stärker mit dem Inkarnationsgedanken verbunden wird: In ActPetr erscheinen Verklärung und Inkarnation schließlich als die zwei komplementären Seiten des Christusereignisses: Die Offenbarung der für Menschen nicht fassbaren göttlichen Gestalt Jesu in der Verklärung macht deutlich, dass die Inkarnation Jesu als göttlicher Gnadenakt zu verstehen ist, der es den Menschen ermöglicht, Gott zu erfahren.
Bemerkenswert ist drittens die Entwicklung, die die Figur des Petrus erfährt: Die bereits bei Mt und Lk erkennbare Tendenz, den von Mk zum Teil kritisch gezeichneten Petrus zu rehabilitieren, wird im Laufe der Zeit weiter verstärkt, bis die Apostel schließlich zu Garanten der christlichen Tradition werden.
Die Arbeit vermeidet ausschweifende Darstellungen zugunsten pointierter Diskussionen wichtiger Forschungsergebnisse und ist darum in vielfältiger Weise anschlussfähig an die Forschungsdis­kussion. Die mehrfachen Zusammenstellungen der Ergebnisse (teilweise in gleichem Wortlaut) lassen den Text zwar an manchen Stellen etwas redundant erscheinen, erleichtern aber das Nachvollziehen der Argumentation.