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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

389-390

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Dimant, Devorah, u. Reinhard G. Kratz [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Dynamics of Language and Exegesis at Qumran.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. VIII, 226 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe, 35. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-16-149849-7.

Rezensent:

Michael Becker

Der von Devorah Dimant und Reinhard G. Kratz herausgegebene Sammelband führt die Ergebnisse eines Symposions zusammen, welches im Mai 2007 in Göttingen abgehalten wurde. Er vereint ein breites Spektrum von elf englischsprachigen Studien, deren Basis die Beiträge aus den beiden Forschungsgruppen in Göttingen und Haifa bilden. Sie werden ergänzt durch Aufsätze einer Reihe von renommierten europäischen Forschern.
Unter drei Überschriften: I. Language and Methods, II. Biblical and Related Writings und III. Sectarian Writings werden die Artikel gegliedert. Neben hochspezialisierten Detailstudien sind metho­-dische Fragen und Ansätze von besonderem Interesse. Die für das Gesamtprojekt im Vorwort (S. Vf.) angedeutete Orientierung, die Qumranfunde als eine Art von »missing link« in sprachlicher, traditionsgeschichtlicher und interpretatorischer Hinsicht zwischen dem biblischen Hebräisch bzw. seinen textlichen Zeugnissen und den späteren rabbinischen Zeugnissen verständlich zu machen, be­schreibt dabei die integrative Option. Es wäre freilich wünschenswert, auch die jeweiligen Diskussionszusammenhänge transparenter zu machen. So könnte die subtile Arbeit an vielen Texten und Traditionen über das im Vorwort Gesagte hinaus verständlicher werden, wenn eine Einleitung die einzelnen Diskussionsstränge zu bündeln und ihre komplexen Zusammenhänge zu er­hellen versucht hätte oder auch die bestehenden Aporien in man chen Diskussionsprozessen markiert hätte. So bleiben vielfach einzelne Steinchen in einem riesigen Mosaik, deren Wert und Relevanz für weiter außen stehende Beobachter oft kaum noch er­kennbar ist. Der im Vorwort festgehaltene Komplexitätssprung im Verständnis der Schriftwerdungsprozesse des frühen Judentums, wo­zu die Entdeckung der Qumranbibliothek entscheidend mit beigetragen hat und der sich aktuell in verschiedenen Diskussionen insbesondere um die Kanonbildung und Schriftinterpretation niederschlägt, ist jedenfalls ein markantes Kennzeichen vieler Beiträge und spiegelt die Brisanz, zu welcher der Tagungsband seinen Anteil beiträgt.
In Abschnitt I kommt neben einer morphologischen Studie von M. Bar-Asher zur Entwicklung des Hebräischen und einer Problematisierung der Datierung exegetischer Texte aus Qumran durch A. Steudel ein Beitrag von G. J. Brooke zu stehen, welcher neuen Perspektiven des Verständnisses von Bibel und deren Interpretation in den Schriftrollen aus Qumran ein besonderes Augenmerk zollt. Prägnant werden dabei die Probleme einer autoritativen Unterscheidung wie des damit verbundenen Kanonkonzepts herausgearbeitet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sich mit neuen integrierten bzw. integrierenden Ansätzen dem Problem von Text und Interpretation zu nähern.
Die Studien zur Flutgeschichte (A. Feldman), zu Abraham (R. G. Kratz), Dtn 29 (J. Joosten) sowie zur Tobit- (D. Dimant) und zur Ahiqar-Tradition (I. Kottsieper) des zweiten Abschnitts, welche vom Um­fang her den größten Raum einnehmen, widmen sich der In­terpretation von Texten und Textpartien mit primär biblischem Ausgangspunkt. Dabei liegt der Akzent nicht ausschließlich auf den Interpretationstendenzen der Texte aus der Qumranbibliothek, und ein Teil der Studien ist noch recht deutlich der »klas­sischen« Konzeption von (kanonischer) Schrift und deren Interpretation verhaftet. Dennoch ergeben sich vielfältige Ansätze, die über dies Paradigma hinausweisen und die Vernetzung der frühjü­dischen Tradition dokumentieren. Dies deutet nicht nur auf eine sehr viel größere Pluralität des frühjüdischen Verständniskontextes hin, sondern einmal mehr bestätigt sich auch die Problematik einer strikten Unterteilung der frühjüdischen Tradition in einen palästinischen und einen Diaspora-Kontext.
Im dritten Bereich tritt die Untersuchung von Texten aus der Qumranbibliothek selbst in den Fokus des Interesses. Mit dem Geistverständnis in 1QS (A. Klein), einer Analyse der Pesherexegese in CD iiif. (L. Goldman) und der Lade-Tradition in den Qumrantexten (P. Porzig) sind ganz verschiedene Themen und Texte angesprochen. Als Teile von mitunter breiter angelegten Studien geben sie nicht nur einen Einblick in die Projektarbeit, sondern auch in die manchmal nur tastend und vorläufig voranschreitende Methodendiskussion auf der Suche nach neuen Wegen.
Der Band belegt darin auch, wie Forschung weitergeht. Es deutet sich nicht nur ein Generationswechsel, sondern nach Abschluss der Publikation der Texte auch ein inhaltlicher Wandel an, da die vielfältige und vernetzte Interpretation der Fülle textlicher Zeugnisse neue Ansätze im methodischen Bereich notwendig macht. Man hat auch das Gebot der Stunde erkannt, dass lokale Alleingänge in der heutigen Forschung oft nicht fruchten. Insofern ist es wichtig, dass hier wie an anderen Stellen Spitzenforschung und Nachwuchsförderung eng zusammengebracht werden. Die Relevanz dieses Vorgehens bestätigt die Göttinger Tagung und lässt Schwächen in der Kohärenz eines derartigen Bandes in den Hintergrund treten.