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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

387-389

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Bakhos, Carol, and M. Rahim Shayegan [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Talmud in Its Iranian Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XVIII, 270 S. gr.8° = Texts and Studies in Ancient Judaism, 135. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-150187-6.

Rezensent:

Catherine Hezser

Die Erforschung des Babylonischen Talmuds im Kontext der sasanidischen und zoroastrischen Kultur, Literatur sowie Rechtsgeschichte und die Kooperation von Talmudisten und Iranisten ist als eine der wichtigsten neuen Entwicklungen der Rabbinistik der letzten Jahre anzusehen. Der vorliegende Band, der auf einer im Jahr 2007 am UCLA Center for Jewish Studies durchgeführten interdisziplinären Konferenz basiert, zeigt, wie hilfreich diese Zusam­menarbeit für ein besseres Verständnis sowohl des Babylonischen Talmuds als auch der mittelpersischen Pahlavi-Literatur ist. Die zehn Beiträge verdeutlichen, wie vielfältig die Vergleichsmöglichkeiten zwischen der babylonisch-rabbinischen und der sasanidisch-zoroastrischen Literatur sind. Sie reichen von Untersuchungen zur Entwicklung des rabbinischen und zoroastrischen Rechts bis zu exegetisch-hermeneutischen und ideologiegeschichtlichen Themenstellungen. Insofern können die Beiträge als wichtiger Ansatzpunkt für die weitere Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen der spätantiken rabbinischen und der persischen Kultur dienen.
In ihrer Einleitung weisen die Herausgeber bereits auf die beiderseitigen Vorteile dieses neuen interdisziplinären Ansatzes hin: Für unser Verständnis der Kultur Persiens in sasanidischer Zeit mag sich der Babylonische Talmud als ebenso wichtig wie das persische Christentum erweisen. Dabei ist sowohl beim rabbinischen Judentum als auch beim persischen Christentum mit einem Zusammenwirken von hellenistischer und persischer Kultur und Lebenspraxis zu rechnen. David Goodblatts Überblick über die Forschungsgeschichte des Babylonischen Talmuds seit dem Ende der 70er Jahre behandelt leider nur die text- und literargeschichtlichen Ansätze, bei denen angeblich keine bedeutenden Fortschritte ge­macht wurden, ausführlich, während historische Ansätze nur am Ende kurz erwähnt werden. Eine Besprechung der neueren ver­-gleichenden Arbeiten zum Verhältnis zwischen Talmud und per­-sischer Kultur und Literatur, die vor allem von Yaakov Elman und seinen Schülern und Kollegen vorangetrieben wurde, wäre hier passender gewesen.
Yaakov Elman plädiert in seinem Beitrag für ideengeschichtliche Vergleiche der Lehrmeinungen babylonischer Rabbinen und zoroastrischer Rechtsgelehrter. Er geht dabei allerdings davon aus, dass die rabbinischen Attributionen verlässlich und die überlieferten Aussagen zoroastrischer Gelehrter auf das 4. bis 6. Jh. zurück­zuführen sind – Annahmen, die heutzutage von einigen Forschern bezweifelt werden. Sowohl die rabbinischen als auch die zoroas­trischen Lehrmeinungen sind über Jahrhunderte hinweg münd­-lich überliefert worden und werden dabei viele Veränderungen und Adaptionen erfahren haben (siehe den Beitrag von Shai Secunda). Elman hat aber sicher Recht in seiner Behauptung, dass es sich lohnen würde, das zoroastrische Lehrwesen mit dem der babylo­nischen Amoraim zu vergleichen. Während Geoffrey Herman zeigt, dass der Babylonische Talmud Hinweise auf die persische Admi­-nistration der sasanidischen Zeit enthält und zwei persische Ämter aus jüdischer Perspektive darstellt, sieht Richard Kalmin Zu­sam­menhänge zwischen der Trauminterpretation der persischen Ma­gie und babylonisch-rabbinischer Abneigung gegen professionelle Traumdeuter. Die Rabbinen mögen versucht haben, den Einfluss der Magie auf babylonische Juden einzudämmen.
Maria Macuchs Beitrag ist eines der »highlights« dieses Bandes. Sie weist auf Spuren sasanidischer Rechtsterminologie im Babylo-nischen Talmud hin und stellt fest, dass es sich dabei nicht um Formulierungen der sasanidischer Rechtsbücher (Avesta und Zand) handelt, da diese den Rabbinen wohl zu pagan erschienen. Stattdessen wird es sich um Begriffe handeln, die der Rechtspraxis entstammen. Sie zeigen, »that the rabbis were well acquainted with the professional jargon of Iranian jurists and used the same terms« (103). Sasanidische Rechtsterminologie wird von den Rabbinen benutzt, wenn sie sich auf spezifische Aspekte persischen Rechts beziehen; sie wird aber nicht auf die jüdische Rechtspraxis über­-tragen. Außerdem scheinen die Rabbinen gelegentlich umgangssprachliche Rechtsbegriffe aufgegriffen und verwendet zu haben.
Ein weiterer Höhepunkt dieses Bandes ist Shai Secundas Beitrag zur Mündlichkeit und mündlichen Überlieferung des mittelpersischen und rabbinischen Quellenmaterials, das von den Redaktoren in die großen Sammelwerke aufgenommen worden ist. Ein überlieferungsgeschichtlicher Vergleich des Babylonischen Talmuds und der mittelpersischen Rechtsliteratur weist auf interessante Gemeinsamkeiten hin, die vom Fehlen einer offiziellen Veranlassung bis zur Mündlichkeit der Überlieferung reichen. Sowohl im rabbinischen als auch im zoroastrischen Schulbetrieb waren die mündliche Lehre, Besprechung und Weitergabe wichtig. Sowohl der Bavli als auch die zoroastrischen Sammelwerke (Avesta und Zand) müssen deshalb, was ihre Struktur und Terminologie betrifft, im Kontext mündlicher Kultur- und Kommunikationspraxis verstanden werden. Nur aufgrund der Annahme einer mündlichen Überlieferung können die in diesen Werken auftauchenden Parallelen und Textvarianten angemessen verstanden werden.
Auf strukturelle Ähnlichkeiten gehen auch zwei Beiträge der Iranologen ein. Prods Oktor Skjaervo bietet eine detaillierte Untersuchung zu Terminologie und Stil der scholastischen Pahlavi-Literatur. Wie technisch diese Texte formuliert worden sind, wird erst durch einen Vergleich mit dem Babylonischen Talmud deutlich. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Talmudisten hat, seiner Meinung nach, dazu geführt, die Pahlavi-Literatur von ganz neuen Perspektiven her zu sehen. Der Einfluss neuer methodischer Ansätze zur rabbinischen Literatur wird auch in Yuhan Sohrab-Dinshaw Vevainas Artikel deutlich. Hier wird gezeigt, dass das Konzept der »Intertextualität« auch für die zoroastrischen Kommentare zur Avesta fruchtbar gemacht werden kann und zu überraschenden Ergebnissen führt: Einige dieser Kommentare »share certain striking structural similarities with midrash with its multiple interpretations« (208). Insofern ist die Pahlavi-Literatur als »un­tapped source for studying comparative exegesis and hermeneutics« anzusehen (ebd.).
Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit spezifischen thematischen Zusammenhängen. Jason Sion Mokhtarian führt die negative Darstellung des persischen Herrschers Cyrus im Babylonischen Esther Midrasch auf entsprechend negative Bezugnahmen auf Cyrus in der persischen Historiographie zurück. Shaul Shaked beleuchtet den zoroastrischen Hintergrund der babylonisch-rabbinischen Ermahnung, das Sprechen während Mahlzeiten zu un­terlassen.
Der mit einer ausführlichen Bibliographie und diversen Indices versehene Band ist als Meilenstein in der Erforschung des persischen Kontextes des Bavli anzusehen. Hier werden vielfältige Möglichkeiten und Wege aufgezeigt, die interdisziplinäre Arbeit und vergleichende Studien zukünftig fortzusetzen.