Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2011

Spalte:

386-387

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tubach, Jürgen, Drost-Abgarjan, Armenuhi, u. Sophia Vashalomidze [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sehnsucht nach dem Paradies. Paradiesvorstellungen in Judentum, Christentum, Manichäismnus und Islam. Beiträge des Leucorea-Kolloquims zu Ehren von Walther Beltz (†).

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2010. VI, 199 S. m. Abb. gr.8° = Studies in Oriental Religions, 59. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-447-06147-6.

Rezensent:

Reinhard Leuze

Der Sammelband geht auf ein Symposion zurück, das zum Gedenken an den 2006 verstorbenen Religionswissenschaftler Walter Beltz veranstaltet wurde. »Sehnsucht nach dem Paradies« war ein von diesem Gelehrten verfasstes Buch, das die Mythologie des Korans behandelte. So lag es nahe, diese Thematik auszuweiten und die Paradiesvorstellungen anderer Religionen einzubeziehen. Dass dieser Versuch noch nie unternommen worden ist (vgl. 2), zeigt, dass die religionsvergleichende Forschung noch nicht über bescheidene Anfänge hinausgekommen ist und die wichtigsten Themen nach wie vor auf ihre Bearbeitung warten.
Man muss es zugeben: Paradiesvorstellungen sind ein dankbares Feld für die Religionskritik. Denn nirgendwo sind mensch­-liche Wunschvorstellungen und inhaltliche Bestimmungen des Glaubens so eng miteinander verbunden wie hier. Die Aussagen des Korans geben dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Wenn man die berühmt-berüchtigten Huris, also die Paradiesjungfrauen, nicht auf dem kalten Weg der Philologie entmythologisiert und als weiße Trauben deutet, wie das Ch. Luxenberg vorschlägt und J. Tubach in seinem Beitrag wohl zu Recht mit skeptischer Distanz betrachtet (181 f.), muss man feststellen, dass der Islam hier eigene Wege geht, weil er für das Paradies ein »nach Geschlechtern getrenntes Personal« (188) vorsieht, während für das Judentum wie für das Christentum »der Unterschied zwischen Mann und Frau … in den himmlischen Welten aufgehoben« ist bzw. nicht existiert (ebd.). Wenn man darüber hinaus zur Kenntnis nimmt, dass der Koran mit den von der Mythologie auch zur Verfügung gestellten Paradiesjünglingen nicht viel anzufangen weiß, wird man Tubach in seiner Beurteilung zustimmen müssen, dass diese Schrift »einem einseitigen männlichen Blickwinkel verhaftet ist« (193, Anm. 116).
Allerdings würde man dem Islam Unrecht tun, wenn man die spirituellen Deutungen der Paradiestexte, wie sie besonders in der von R. Hajatpour referierten schiitischen Theologie anzutreffen sind (159–170), außer Acht ließe. Hier wird eine Welt vorgestellt, »in der man nicht mit seinem irdischen Körper existiert …, sondern als intelligibles Wesen« (160). Auch wenn diese Auffassung der offiziellen Lehre der islamischen Theologie widerspricht, wird sie in der nichtislamischen Welt größere Sympathien hervorrufen als die festgefügte Orthodoxie.
Auch sonst zeichnen sich die Bemühungen schulischer Denker dadurch aus, dass sie Paradoxien der koranischen Erzählungen auflösen und eben so den rationalen Zugang möglich machen.’Azīz ad-Dīn Nasafī will den Menschen, der das Verbot Gottes missachtet und vom Baum der Erkenntnis kostet, nicht wie der Koran als widerspenstig (Sure 20; 121) disqualifizieren, sondern sieht in diesem Handeln einen notwendigen Schritt, der die Verantwortlichkeit und Moralität des menschlichen Seins begründet (163 ff.). Damit bewegt er sich bereits in die Richtung der von Hegel vorgelegten spekulativ-dialektischen Deutung des Sündenfalls.
Die von G. P. Luttikhuizen referierte gnostische Rezeption der Genesiserzählung (71–81) darf auf Umdeutungen dieser Art verzichten, weil sie davon ausgeht, dass der »Schöpfer-Gott ›die höhere Erkenntnisfähigkeit des Menschen fürchtet und ihm den Genuss vom Baum der Erkenntnis … verbietet.‹« (71)
Kehren wir zurück zur eschatologischen Prägung der Paradiesvorstellung. Man muss die Frage stellen: Ist das Paradies als eigentliches, definitives Heilsziel anzusehen? Für den Islam ist diese Frage ohne Einschränkungen zu bejahen. Im Christentum, jedenfalls in seiner byzantinischen Ausprägung, stellt sich der Sachverhalt komplizierter dar, wie W. Klein in seinem interessanten Beitrag (3–13) ausführt. Wenn auch hier das Paradies das eigentliche Heilsziel sein soll, dann ist es »ganz in die Ferne gerückt« (11) und gilt als unerreichbar und unbeschreibbar. So wird die Frage nach einem nachtodlichen Zwischenziel (vgl. 11) wichtig. Dieses Zwischenziel wird in der byzantinischen Literatur als ein wenig angenehmer Aufenthaltsort dargestellt, der partiell mit der griechischen Hadesvorstellung übereinstimmt (6 ff.).
Die Scheidung von Zwischenziel und endgültigem Zustand findet eine erstaunliche Parallele im Amida-Buddhismus, wo das Nirvana das Letztgültige und zugleich völlig Unanschauliche bezeichnet (11), während die Vorstufe des Paradieses mit der Vorstellung des »Reinen Landes« zusammenfällt (10). In dieser Hinsicht finden diese beiden Religionen, die auf den ersten Blick einander so fremd gegenüberstehen, zu einer Einheit, die sich dem Wagnis einer umfassenden Transzendierung des Irdischen verdankt.
Also im Ganzen: ein Buch, das man mit Gewinn liest. Völlig aus dem Rahmen fällt allerdings der Beitrag von B. J. Diebner, der wissenschaftlichen Ansprüchen in keiner Weise genügt (61–70). Diebner vertritt die These, dass die Schöpfungserzählungen der Bibel von Plato und Aristoteles beeinflusst worden sind. So findet sich unter der wolkigen Überschrift »Platonisches« ein kleiner Ab­schnitt zu Gen 1 (66 f.), zu »Aristotelischem« wird er sogar bei Gen 1 und Gen 2 fündig (67–69). Nur was findet er wirklich? Nichts, es sei denn, das Aristoteles und die Genesis parallelisierende Schaubild (68) könnte als plausible Begründung dienen. Aber mit einer solchen Begründung könnte man auch die These vertreten, dass die biblischen Erzähler von den Schöpfungsmythen der Indianer beeinflusst worden sind.