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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

380-383

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Delgado, Mariano, u. Guido Vergauwen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Interkulturalität. Begegnung und Wandel in den Religionen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 358 S. m. Abb. gr.8° = Religionsforum, 5. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-17-021033-2.

Rezensent:

Theodor Ahrens

Mariano Delgado, Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte sowie Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog, und Guido Vergauwen, Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Universität Fribourg, Schweiz, legen die Beiträge des 4. Religionsforums der Universität Fribourg vor, das im November 2008 stattfand. Es stand unter der Leitfrage: »Welche Metamorphosen sind bei der Begegnung des Christentums mit anderen Religionen entstanden, und wie versuchen die beteiligten Religionen ihre ›Identität im Wandel‹ zu bewahren?« (8) Bislang wurde vor allem in der katholischen Diskussion der Begriff der Inkulturation zentral gestellt, um einerseits den Bruch zwischen Evangelium und mo­derner Kultur zu überwinden und andererseits die Wege des Chris­tentums in außereuropäischen Ländern und Kulturen zu interpretieren. Dieser Begriff blendet die Frage aus, wie sich in der Überschneidungssituation der Begegnung die beteiligten Religionen selbst verändern. In der Begegnung entsteht etwas Neues, Drittes, kreativ Synkretistisches, das die Herausgeber als Interkulturalität bezeichnen und programmatisch anstelle des alten Inkulturationsbegriffs und Projektes setzen. Der vorliegende Band bringt also den Begriff der Interkulturalität zur beschreibenden und analytischen Erfassung der Begegnung und des Wandels in den Religionen in einem »konsequenten und repräsentativen Durchgang durch die Religionsgeschichte in Anschlag« (8). Dieser Ansatz wird in den meisten Beiträgen des vorliegenden Bandes auch durchgehalten.
Er berührt sich mit dem Vorschlag der Fachgruppe der »Wissenschaftlichen Ge­sellschaft für Theologie, Religionswissenschaft und Missionswissenschaft«, das eigene Fach künftig als Interkulturelle Theologie zu bezeichnen – und zwar mit einer ausdrücklichen Hinwendung zu der als eigenständige Disziplin verstandenen Religionswissenschaft als ihrem Bezugspunkt, mit den Schwerpunkten Theologie und Christentumsgeschichte der außereuropäischen Welt, kontextuelle Theologien im en­geren Sinne sowie Theologie und Hermeneutik interreligiöser Beziehungen und Ökumenik. Der Band wirft ohne Bezugnahmen auf die ak­tuellen protestantischen Diskussionen einen Blick auf diese drei Gegenstandsbereiche, ist aber ausdrücklich auch mit der europäischen Situation befasst. Es handelt sich also um einen Beitrag zur Bestimmung des Gegenstandes der bislang als Missionswissenschaft bezeichneten Disziplin.
Das Buch hat drei Teile. Der erste Teil »Religion heute« ist befasst mit dem Stellenwert der Religion im kulturwissenschaftlichen Dis­kurs: Gregor Maria Hoff in Würdigung von und Auseinandersetzung mit der atheistischen Religionskritik Peter Sloterdijks, Klaus Müller diskutiert das Religionsverständnis bei Jürgen Habermas und Dieter Henrich. Horst Bürkle lotet die Tragfähigkeit des vorchristlichen religio-Begriffs im Blick auf sozio-religiöse Erneuerungs- und An­passungsbewegungen in der außereuropäischen Welt aus.
Der zweite Teil »Interkulturalität und Religion« enthält fünf Beiträge zu Interkulturalität als interpretative Kategorie in außereuropäischer religiöser Kunst, Philosophie und Missionswissenschaft. Hervorgehoben sei der programmatische Beitrag von Norbert Hintersteiner, Dozent am Trinity College für World Chris-tianity and Interfaith Studies an der Irish School of Ecumenics in Dublin. Er diskutiert ausgehend von der veränderten Gesamtlage, die sich in der außereuropäischen Welt während des 20. Jh.s ab­zeichnete, was diese Veränderungen für das Verständnis des Fachs Missionswissenschaft und für das Studium außereuropäischer Theologien bedeuten (100). Die missionswissenschaftliche Veranlassung, indigene religiöse Traditionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu studieren, sieht Hintersteiner – m. E. zu Recht – damit gegeben, dass diese die Un­terschicht christlichen Glaubens und christlichen Lebens für die Mehrheit der Christen in der Welt bilden. Missionswissenschaft unter dem Paradigma der Interkulturalität wird dementsprechend die interkulturellen und interreligiösen Dimensionen missionarischer Prozesse in den Vordergrund rücken (101).
Thema der Interkulturellen Theologie, die das missionarische Moment nicht vernachlässigt, ist die Spannung zwischen kultureller Partikularität christlicher Glaubensäußerungen einerseits und dem transkulturellen Wahrheitsanspruch dieses Glaubens (121). Hintersteiner plädiert für eine Comparative Theology US-amerikanischer Provenienz, die sich nicht auf den innerchristlichen Austausch beschränkt, sondern einen Dialog mit den intellektuellen religiösen Aktivitäten in verschiedenen Kulturen aufnimmt, die Hintersteiner nicht zögert, als Theologien anzusprechen (122 ff.). Es geht ihm um eine Verschiebung von dem Konzept der Weltmission zu dem einer interreligiösen Zeugenschaft (125). Aufgabe gegenwärtiger Missionswissenschaft sei es, das globale interkulturelle Gespräch verschiedener kontextueller Theologien und ›übersetzter Christentümer‹ sowie eine qualifizierte theologische Aus einandersetzung zwischen den Religionen zu befördern (126). Wenn das zugestanden wird, gilt es, das jeweilige Proprium von Kultur und Religion genauer zu bestimmen, kulturelle Sinnvorgaben und religiöse Geltungsansprüche zu unterscheiden und nachvollziehbar darzustellen, inwiefern religiös motivierte Gesprächsteilnehmer den interkulturellen Dialog nicht notwendigerweise unmöglich machen, sondern gerade darin befördern, dass sie ihn für die Erörterung der Wahrheitsfrage offen halten. Diese Fragen diskutiert Franz Gmainer-Pranzl in Auseinandersetzung mit der re­ligionskritischen Problemwahrnehmung bei Franz Martin Wim­mer in einem anschließenden Beitrag (129 ff.).
Der dritte Teil »Begegnung und Wandel in den Religionen« enthält acht kompakte, durchgängig gehaltvolle und in den Anmerkungen für genauer Interessierte mit nützlichen Hinweisen versehene Studien zum Wandel, der sich in den Religionen aufgrund ihrer Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen Religionen ergeben kann. Martin Baumann skizziert die Einwanderung asi­atischer Religionen in Europa am Beispiel buddhistischer und hinduistischer Traditionen. Dienen die neu gegründeten Stätten religiöser Vergemeinschaftung der ersten Generation noch der Stabilisierung mitgebrachter Identitäten, so erwachsen in der zweiten Generation »skilled cultural navigators«, denen die kulturellen Codes beider Traditionen vertraut sind und die beide Kulturen kreativ verbinden (193 ff.)
Anregend und lehrreich rekonstruiert Johannes Maier in einer Studie, die diachronische und synchronische Perspektiven verbindet, den Wandel des Judentums in der Begegnung mit dem Chris­tentum – mit einigen Klarstellungen zum jüdisch-christlichen Dialog (220 ff.). Felix Körtner schildert den auf höchster Ebene geführten katholisch-islamischen Dialog, der nach einem offenen Brief von 38 führenden Muslimen in Forschungs- und Leitungs­positionen nach Papst Benedikts Regensburger Vorlesung sowie einem weiteren Schreiben A Common Word von nun 138 islamischen Autoritäten in Gang kam. Körtner analysiert schwerpunktmäßig das erste gemeinsame Seminar, das daraufhin im November 2008 im Vatikan stattfand, unter Berücksichtigung der verschiedenen Religionstheologien der beteiligten Akteure und legt gemeinsame Perspektiven ebenso frei wie sensible Punkte in den gegen­-seitigen Beziehungen. Vor dem Hintergrund der aktuellen und manchmal scharfen Konflikte zwischen Hindus und Christen in mehreren indischen Bundesstaaten eruiert Andreas Nehring die Wurzeln der aktuellen Antagonismen in früheren Phasen christlich-missionarischer und hinduistischer Interaktionen. Inkulturationsversuche, die Kernbegriffe hinduistischer Religiosität aufgreifen, gleichzeitig Polytheismus als Idolatrie verurteilen und Monotheismus als die einzig denkbare Religionsform postulieren, finden auf hinduistischer Seite spiegelbildliche Response.
In der Begegnung zweier Religionstraditionen werden beide Seiten missionarisch virulent. Das verdeutlichen die Beiträge von John Mbiti und Mariano Delgado. Mbiti beschreibt kenntnisreich die gegenseitigen Beeinflussungen, die in Schwarzafrika durch Bibelübersetzungen, die eigenständige Rolle indigener Evangelisten u. a. freigesetzt wurden. Im Ergebnis kommt es zu einer Afrikanisierung des Christentums, welche die Kirchen schließlich ak­zeptieren und Intellektuelle dann aufgreifen und bearbeiten. Delgado unterbreitet in auf einer Lateinamerika bezogenen Studie analoge Beobachtungen, allerdings mit etwas anders akzentuierten Schlussfolgerungen. Die Indianisierung des Christentums, die sich aus den Interaktionen indianischer Religionen und des Missionschristentums ergeben hat, bezeichnet Delgado im Sinne von Carsten Colpe als eine nachchristliche synkretistische Religion (321). Delgado plädiert für eine positive Aufgeschlossenheit gegenüber diesen Prozessen, die sensibilisieren könnten für Transformationen des Christlichen in der europäischen Christentumsgeschichte.
Es bleibt die Frage, ob Interkulturalität mehr als ein gemeinsames Frageinteresse markiert, das so unterschiedliche Disziplinen wie Philosophie, Ethnologie, Systematische Theologie, Exegese und eben auch Missionswissenschaft befasst, aber zu nicht mehr als wechselseitig wohlwollendem Interesse beiträgt, oder ob die Vorgabe »Interkulturalität des Christentums« die Einheit des Fachs stärkt. Der Band beansprucht keine Alleinzuständigkeit der Missionswissenschaft auf Interkulturalität. Der Anteil der Philosophie, Geschichtswissenschaft, Ethnologie, der Exegese und der Systematischen Theologie wird durchgängig deutlich. Der Band zeigt aber wohl, dass eine Missionswissenschaft, die ihre Gegenstände konsequent in der Perspektive des Leitbegriffs Interkulturalität bearbeitet, eine Zukunftswissenschaft in der Theologie werden könnte.