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Ausgabe:

April/2011

Spalte:

377-379

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bertelsmann Stiftung[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008.

Verlag:

Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2009. 788 S. m. Abb., Tab. u. CD-ROM. gr.8°. Lw. EUR 49,00. ISBN 978-3-89204-949-4.

Rezensent:

Anne Koch

Dieser Komentar zum »Religionsmonitor 2008« (hrsg. v. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2007) liefert weitere Analysen und Kommentare zu der Umfrage von 2007 zu allen 21 Ländern weltweit, die je nach Land online, über Telefonbefragung bzw. Interviewteams durchgeführt wurde, sowie zu einigen qualitativen Interviews über Dimensionen der Religion. 31 ausgewiesene Theologen, Religionssoziologen und -psychologen (erfreulicherweise auch fünf Kolleginnen) kommentieren für ein internationales Fachpublikum die Daten, auf die sie unterschiedlich stark eingehen. Hier wird interdisziplinär empirische Religionsforschung vorangetrieben. Verglichen werden gezielt Länder mit unterschiedlichen religiösen Mehrheitstraditionen. Anfangs wird erneut in die Methodologie der Studie eingeführt und Religion unter Bedingungen der Spätmoderne behandelt, darauf folgen Länderanalysen und -vergleiche sowie Beiträge zu speziellen Themen wie den dominanten christlichen Konfessionen (europäischer Katholizismus: Dubach, weltweiter Protestantismus: Ah­rens/Schulz/Wegner), muslimischen Glaubensüberzeugungen und dem Zusammenhang von Alter und Frömmigkeit (Bucher, Ebertz). Auf einer CD-Rom sind die Auswertungen aller 21 Länder beigelegt.
Die Studie stellt sich den Herausforderungen der Messbarkeit von Religion. Die Kategorien, unter denen Religion gefasst wird, wie Intellektualität, Erfahrung, öffentliche und private Praxis etc. werden von dem amerikanischen Religionssoziologen Glock aus den 1960er Jahren aufgegriffen, der die sog. Einstellungsforschung wesentlich mitentwickelte. Diese Kategorien kombiniert der Religionspsychologe Huber, der die Studie maßgeblich entwickelte, mit drei Graden von Zentralität, um die subjektive Wichtigkeit jeder Kategorie zu charakterisieren. Dadurch würde Religiosität in einer für quantitative Zugänge einzigartigen Weise ausdifferenziert und aufgezeigt, wie bestimmte inhaltliche religiöse Vorstellungen ganz bestimmte Bedeutungszuschreibungen zur Folge haben (667). Huber führt das daran vor, wie sich be­stimmte religiöse Vorstellungen auf politische auswirken. Der eigenen Religiosität werde nur dann eine hohe politische Relevanz zugesprochen, wenn hohe Reflexivität (also die Fähigkeit, eigene Überzeugung aus mehreren Blickwinkeln betrachten und kritisch überdenken zu können) und Fundamentalismus (exklusive Bindung an ein Überzeugungssystem) zusammenkommen. Fundamentalismus ist demnach z. B. nicht als unüberlegt charakterisierbar und wird politisch nur gepaart mit Reflexivität brisant.
Die Methodik und der substantielle oder zu weite Religionsbegriff ist von Rezensenten des ersten Bandes kritisiert worden (Püttmann in Die Neue Ordnung 2008, Pastoralblatt 2009/06, Wentz in Heiliger Dienst 62:2008) und wird im vorliegenden mehrfach reflektiert. Der Leser/die Leserin mag im Eigenversuch testen, wie sehr die Fragen sich beantworten lassen, und die Verzweiflung spüren, nichts erläutern zu können: Die Umfrage ist auf www.religionsmonitor.com online. Doch bei aller nachvollziehbaren Kritik an der Methodik lesen sich die Beiträge insofern interessant, als die Autoren die Daten als weiteren Mosaikstein im Kontext ihrer eigenen Forschungen diskutieren. Der Berliner Soziologe Knoblauch z. B. (zu­sammen mit Graff) rezipiert den Religionsmonitor für seine These einer sich in populäre Kultur entgrenzenden Spiritualität. Die Leipziger Soziologin Wohlrab-Sahr schreibt über das stabile Drittel der Religionslosen und religiösen Konfessionslosen in Deutschland. Religiös zu sein oder nicht, zeigt sich als eine habituelle Konfiguration, die sich in Haltungen z. B. zu Familie oder Politik niederschlägt. Ähnlich zeigt der Münchner Soziologe Nassehi, wie Religionslose religiöse Kommunikation beherrschen. Der Erfurter Soziologe Joas bettet die Daten in die US-amerikanische Religionsgeschichte ein. Sie bestätigen die höhere religiöse Intensität der USA im Vergleich zu allen europäischen Ländern. Weitere Beiträge bieten interessante Einblicke in Lateinamerika und die Pfingstbewegung (Schäfer), das hochreligiöse, katholischer Sozialmoral nicht gerade anhängende Polen (Zarzycka), Spanien (Casa­-nova), das einzige arabische Land der Studie, Marokko (Hegasy), Nigeria mit erstaunlich verbreiteten apokalyptischen Vorstellungen auf christlicher wie muslimischer Seite (Hock), einen Vergleich der laizistischen europäischen Länder Frankreich und Türkei (Koenig) und der Länder nach Weltanschauungen (Meulemann), um nur einige wenige zu nennen.
Eine Einschätzung des reichhaltigen Bandes wird man in der transdiziplinären Religionswissenschaft nur perspektivisch vornehmen können, allerdings geht diese über eine nur religionssoziologische, -geschichtliche und -psychologische Perspektivität hinaus (vgl. Huber/Krech, 55). Wer aus einer diskurstheoretischen Aufmerksamkeit für Wissens-Macht kommt, dem werden z. B. An­thropologisierungen der Dimension des religiösen Wissens in eine Schelersche und Plessnersche Geöffnetheit auf Welt und Gott hin (Huber, 22) aufstoßen, da doch die ›Singularisierung‹ von Religion ein Effekt des 19. Jh.s und keine Konstante ist. Das Buch wird Anklang bei Anhängern gängiger (religions-)soziologischer Kate­-gorien finden, die hier eine gewisse Ausdifferenzierung erhalten, weniger bei grounded theory-Anhängern, da viele Fragen doch sehr aus einer christlichen Position formuliert sind (Würde jemand, der Yoga spirituell betreibt, sagen, dass er an einem »spirituellen Ritual« teilnimmt? Wohl kaum.) Der Religionsmonitor meint, der religionsgeschichtlichen kulturellen Komplexität durch eine Potenzierung der Parameter sozialwissenschaftlich Herr zu werden: Die sechs Kerndimensionen werden mit drei Wichtigkeitsgraden und diversen inhaltlichen Ausgestaltungen der Kerndimensionen multipliziert. Die Plausibilisierung der gefundenen Konfigurationen klingt teils sehr nach common sense und wird erst rund, wenn Feldkenntnisse und historische hinzukommen. So beißt sich die Katze manchmal in den Schwanz. Verdienstvoll ist, dass zunehmend der kulturelle Kontext einbezogen wird, etwa die Multireligiosität einer Gesellschaft (z. B. Heine/Spielhaus zu Indonesien). Die Daten zeigen ihre Stärke, wenn sie weiterführende Fragen aufwerfen, etwa nach der Geschlechtersegregation in Indonesien, wo mehr als 60 % der Frauen zum öffentlichen Freitagsgebet gehen.
Der Religionsmonitor lockt mit Versprechen, wie schon einige sozialwissenschaftliche Surveys vor ihm: Religiosität zu objektivieren, den »Sonderweg« einzelner Länder als Abweichung von einem Trend zu erfassen, verallgemeinerbare Zusammenhänge soziometrischer Faktoren etwa von Wohlstand und Religiosität aufzuzeigen, die Zu- oder Abnahme von Religion weltweit zu beurteilen – also immer noch zum Teil den reifizierenden säkularisierungstheoretischen Blick in Anschlag zu bringen. Das ist das eigentliche kulturwissenschaftliche Ungenügen. Denn vielleicht untersucht der Religionsmonitor Religiosität »tiefer« – so sein Anspruch – als mancher Survey, nicht aber als Feldforschung.